"Der Vajda und die Vajdzina sind so offen mit einander, daß sie kein Geheimniß gegen einander haben?"
"Die Vajdzina ist die Königin des Stammes; sie braucht ihrem Manne nichts zu sagen, was er nicht wissen soll."
Sie ahnte nicht, daß sie mit diesem Ausspruche ihrem Vater das Leben rettete.
"Weißt Du, daß ich soeben mit der Vajdzina gesprochen habe?"
"Jetzt?"
"Ja. Sie hat Dir gesagt, daß sie kommen werde." "Sie sagte es."
Er zog eine Schnur hervor, an welcher ein kleiner, lederner Wickel hing. Er hatte sie vorhin der Leiche vom Halse genommen, ehe er diese in das Wasser warf.
"Hier sendet sie Dir dies Zeichen. Du sollst bei mir bleiben, bis sie kommt, um Dich abzuholen."
"Bei Dir? Ich kam doch nur für eine Stunde!"
Er zog sie an sich und strich ihr mit der Hand liebkosend über das Haar.
"Hast Du mich wirklich lieb, Zarba?"
"Ja."
"Und mußt Du der Vajdzina in Allem gehorchen?" "Ja."
"So wirst Du bei mir bleiben; sie befiehlt es Dir. Denn nur unter dieser Bedingung kann ich Katombo retten und den Andern, der ihm gegen mich beistand."
Sie blickte verwirrt vor sich nieder. Der Gehorsam gegen die Vajdzina und die Liebe stritten gegen das Gefühl mädchenhafter Scham und Zurückhaltung in ihrem Innern. "Und was soll ich hier?"
(\92\)B Er drückte sie noch inniger an sich und küßte sie wiederholt auf die schwellenden Lippen.
"Meine Gebieterin sollst Du sein, meine Braut, mein Weibchen."
Er sprach weiter zu ihr und immer weiter. Seine Stimme hatte jenen einschmeichelnden Klang, welcher selbst ein erfahreneres Mädchen, als Zarba war, zu bethören vermag. Er erzählte ihr von der Pracht und Herrlichkeit, die ihrer wartete und umstrickte sie mit so glanzvollen Schilderungen und Versprechungen, daß ihr Widerstand immer schwächer wurde, bis sie endlich frug:
"Hat die Vajdzina wirklich befohlen, daß ich bleibe?" "Wirklich! Ich habe Dir ja zur Beglaubigung ihr Zeichen gebracht."
"Es ist ihr Talisman, den sie noch niemals aus den Händen gegeben hat; ich glaube Dir und werde bleiben, bis sie kommt. Aber nun gibst Du auch Katombo frei?"
"Ja."
"Jetzt gleich?"
"Sofort. Ich werde den Befehl geben, ihn zu entlassen."
Er erhob sich. Sie hielt ihn zurück. Hatte trotz alledem der Zweifel seine warnenden Stimme in ihr erhoben?
"Ich muß dabei sein; ich muß mich überzeugen, daß er wirklich gehen darf!" Er lächelte.
"Du lieber, kleiner Unglaube! Ich muß Dir Deinen Willen thun, um Dich ganz und gar zu beruhigen und zu überzeugen. Aber ist es Dir denn lieb, daß Katombo Dich sieht?" "Nein, aber er soll erfahren, daß ich bei Dir bleibe, um ihn zu retten."
Der Herzog trat hinaus auf den Korridor und von da in ein Zimmer, in welchem zwei Männer auf sein Erscheinen gewartet zu haben schienen. Sie trugen seine Livr,e und waren wohl seine Vertrauten.
"Holt den Zigeuner! Ich werde Euch befehlen, ihn sofort frei zu geben, dennoch aber nehmt ihr ihn unten wieder fest und bringt ihn in den Keller zurück. Sorgt dafür, daß der ganze Vorgang keine Zeugen findet!"
Er kehrte zu Zarba zurück, der man es ansah, daß sie dem Erscheinen ihres bisherigen Geliebten doch nicht ohne Bangen entgegen (\93\)A sah. Nach einiger Zeit wurde die Thür geöffnet und einer der Männer trat ein. "Befehlen Excellenz den Gefangenen?" "Herein mit ihm!"
Katombo trat ein. Sein erster Blick fiel auf das Mädchen.
"Zarba!" Er fuhr zurück, als habe er ein Gespenst erblickt. "Was thust Du hier?"
"Ich habe um Gnade für Dich gebeten." "Zu dieser Stunde! Ich brauche keine Gnade; ich will nur Gerechtigkeit."
"Nenne es wie Du willst, Gnade oder Gerechtigkeit," fiel der Herzog ein. "Ich will Dir Deinen Wunsch erfüllen, Du bist frei. Nehmt ihm die Fesseln und geht!"
Die Diener gehorchten dem Befehle und verließen das Zimmer. Katombo dehnte und reckte seine Arme, um das Blut in Umlauf zu bringen; dann wandte er sich an Zarba:
"Komm!"
Der Herzog legte den Arm um das Mädchen und zog sie an sich.
"Du gehst allein; Zarba bleibt bei mir."
"Was soll sie hier?"
"MeinLiebchen sein. Geh!"
"Ah!"
Er sprach nur diese eine Silbe aus, aber ihr Ton gab deutlich Zeugniß von den Gefühlen, welche jetzt auf ihn einstürmen mußten.
"Die Vajdzina hat es geboten," entschuldigte sich das Mädchen in sichtlicher Verlegenheit. "Ich konnte Dich nicht anders retten."
"Um diesen Preis will ich nicht frei sein," klang es verächtlich. "Du warst auch ohnedies für mich verloren, aber Du sollst Deine Untreue nicht mit einer angeblichen Großmuth bemänteln, die eine Lüge ist. Du erniedrigst Dich zur Buhlerin; ich habe keine Pflicht mehr, Dich zu retten; es würde auch vergebens sein; aber ich bitte Dich, kehre zur Vajdzina zurück, denn ich gehe wieder in meine Gefangenschaft."
"Das wird Dich nichts nützen, denn sie bleibt bei mir, auch wenn Du verschmähst frei zu sein."
Trotz des Schmerzes, der in seinem Innern wühlte, vermochte es Katombo, ein Lächeln fertig zu bringen; es war ein unendlich stolzes. Er reckte sich in die Höhe und trat einen Schritt näher.
"Glaubst Du wirklich, daß es meine Absicht war, gefangen zu bleiben? Ich wollte nur sehen und beweisen, daß meine Rettung nichts als eine eitle Vorspiegelung war. Ich gehe. Zarba bedaure ich; Dich aber verachte ich. Du hast mir das Liebste geraubt, was ich hatte; Du wirst mich wiedersehen, wenn ich komme, Abrechnung mit Dir zu halten!"
Er trat zur Thüre hinaus und schritt der Treppe zu. Unten standen die beiden Diener; er mußte an ihnen vorüber, wenn er zum Hauptportale gelangen wollte. Der Eine trat ihm entgegen. "Hier ist bereits verschlossen. Komm hier nach hinten!"
Er schritt voran, einen langen Flurgang hinab. Katombo folgte, hinter ihm der zweite Domestike. Der Andere öffnete am Ende des Ganges eine Thür, hinter welcher eine Treppenöffnung sichtbar wurde. "Hier hinab!"
Dem Zigeuner kam blitzschnell die Erkenntniß, was man mit ihm vorhabe. Rasch wandte er sich um, warf den hinter ihm Stehenden zu Boden und sprang den Gang zurück. Neben dem Portale befand sich eine Thür, in deren Schlosse der Schlüssel steckte. Mit der Geschwindigkeit des Gedankens riß er sie auf, trat ein und schob den Riegel vor. Die Diener waren ihm gefolgt.
"Er wird durch das Fenster fliehen wollen. Schnell das Thor auf und hinaus!" gebot der Eine. Die Innenriegel flogen zurück; das Thor sprang auf, und die beiden Männer traten hinaus. Der kleine Raum, in welchen Katombo gerathen war, war das Zimmer des Portiers. Dieser befand sich nicht in demselben, da man ihn entfernt hatte, um nach dem Befehle des Herzogs jede unnöthige Zeugenschaft zu vermeiden. Auf dem Tische lag ein Messer. Katombo ergriff es, öffnete das Fenster, schwang sich hinauf und sprang nach außen. Seine Füße berührten in dem Augenblicke den Boden, in welchem seine Verfolger aus der Thür traten. Sie warfen sich sofort auf ihn, aber mit einem lauten Weheschrei stürzte der Vorderste zur Erde; Katombo hatte ihm das Messer in die Kehle gestoßen und flog in weiten Sätzen nach dem Wasser zu. "Hilfe! Mörder! Haltet ihn!" rief der Unverletzte und eilte hinter ihm her.
Neben dem Portale stand ein Schilderhaus, in welchem ein Militärposten lehnte. Der Mann war Zeuge des ganzen Vorganges (\93\)B gewesen; doch war Alles so schnell geschehen, daß er sich erst, als Katombo bereits den Fluß erreicht hatte, auf das besann, was ihm zu thun oblag.
"Steh oder ich schieße!" gebot er und erhob das Gewehr.
Der Zigeuner warf sich in das Wasser. Der Schuß krachte, und die Kugel pfiff hart über seinem Kopfe hinweg. Die Hilferufe des Dieners und der weithin dröhnende Schuß blieben nicht ohne für Katombo höchst bedenkliche Folgen. Die zahlreiche Dienerschaft des Herzogs eilte auf den Alarm aus dem Palaste und besetzte das diesseitige Ufer. Am jenseitigen sammelten sich Leute; es war dem Fliehenden unmöglich, hüben oder drüben zu landen. Ein Glück für ihn war es, daß gerade gegenwärtig nur ein einziges Boot auf dem Flusse sichtbar war. Es hielt sich in der Mitte und wurde stromauf gerudert. Ein einziger Mann saß in demselben. Konnte Katombo ihn überwältigen, so war er gerettet. Als ein ausgezeichneter Schwimmer strebte er schnell dem Kahne entgegen. Der Mann zog das Ruder ein und richtete sich empor. "Wer da?"