Katombo antwortete nicht. Das Messer in der Rechten, stieß er mit den Füßen kräftig aus, so daß er fast über den Bord des Kahnes gehoben wurde. Sich mit der Linken festhaltend, holte er mit dem Messer aus. Der Mann im Kahne sah die Klinge blitzen; mit einem blitzschnellen Griffe faßte er die Rechte des Zigeuners, der unter dem furchtbaren Drucke, den er fühlte, das Messer fallen ließ, ergriff ihn dann an der Jacke und warf ihn mit einem riesenkräftigen Schwunge zu sich herein. Bei dieser Bewegung drohte das schwanke Fahrzeug umzukentern; es hob und senkte sich, und das Wasser spritzte von beiden Seiten herein. Den Mann schien das nicht im Mindesten zu berühren; er hielt mit eisernen Fäusten Katombo gepackt und meinte in beinahe gemüthlichem Tone:
"Heda, mein Bürschchen, da bist Du wohl an den Unrechten gekommen! Wer sind wir denn eigentlich?"
"Rette mich; ich bin unschuldig!" stieß der Zigeuner hervor.
"Unschuldig? Und dabei schießt man hinter Dir her und schreit nach Mördern? Wer bist Du?" "Ich bin ein Zigeuner und dem Herzoge von Raumburg entsprungen, der mich in seinen Keller sperrte, um mir meine Braut nehmen zu können."
"Der Raumburger? Hm! Ich bin dem Kerl keineswegs gewogen; aber Du greifst mich mit dem Messer an."
"Aus Verzweiflung!"
"Möglich!" Der Sprecher blickte aufmerksam nach den beiden Ufern und meinte dann gelassen: "Höre, Bursche, ich will Dir einmal Etwas sagen: Ich kenne den Herzog, und was Du mir da sagst, klingt allerdings wahrscheinlich. Bist Du unschuldig, so werde ich mich Deiner annehmen; im andern Falle aber übergebe ich Dich der Polizei. Erzähle mir Alles aufrichtig und versuche nicht, mir zu entkommen. Bis Du fertig bist werden wir trotz den Schreihälsen da drüben ein wenig spazieren fahren."
Er nahm die Hände von Katombo weg, so daß sich dieser aufrichten konnte, und griff nach den Rudern. Jetzt erst erkannte der Zigeuner, daß er einen Mann von ganz ungewöhnlich kräftigen Körperformen vor sich hatte, der sich allerdings vor Niemand zu fürchten brauchte. Von zwei starken Armen getrieben, flog der Kahn jetzt wieder stromabwärts, so daß die Verfolger ein lautes Geschrei erhoben, welches aber der Besitzer des Kahnes nicht im Geringsten beachtete.
"Also erzähle!" gebot er zum zweiten Male.
Sein Gesicht war so ehrlich und Vertrauen erweckend, daß Katombo Muth faßte. Er stattete einen ausführlichen Bericht über das Erlebte ab, und war mit demselben erst zu Ende, als die Residenz längst hinter ihnen lag. Der Andere zog die Ruder ein und ließ den Kahn nur noch mit dem Wasser treiben.
"Hm! Ich glaube Dir Alles, was Du mir da gesagt hast; aber eine verteufelte Geschichte ist es dennoch, da Du das Messer gebraucht hast. Hätte der Lärm nicht stattgefunden, so glaube ich, ließe der Herzog die Sache am liebsten auf sich beruhen. Am Besten ist es, Du machst Dich so schnell wie möglich aus dem Staube." "So willst Du mich freigeben?"
"Allerdings; man hat mich nicht erkannt, und Du scheinst mir ein ganz braver Kerl zu sein."
"So bitte ich Dich, mich an das Land zu setzen. Ich muß sofort nach dem Gehege."
"Was fällt Dir ein! Du kannst Dir leicht denken, daß bereits Boten unterwegs sind, um Dich dort abzufangen."
"Aber ich muß zur Vajdzina!"
"Jetzt nicht, mein Junge! Es ist keineswegs meine Absicht, Dir zu helfen, damit sie Dich wieder erwischen. Willst Du den (\94\)A Deinen Nachricht geben, so werde ich selbst nach dem Gehege gehen." "Wirklich?"
"Ja, und zwar noch heut in der Nacht, wenn Du es verlangst."
"Und wo bleibe ich?"
"In meiner Wohnung; da bist Du sicher."
"Wer bist Du?"
"Ich heiße Brandauer und bin der Kurschmied seiner Majestät des Königs." "Ich verstehe mich auch auf die Schmiederei."
"Ich habe davon gehört, daß die Zigeuner oft die besten Pferdeschmiede sind. Das freut mich! Jetzt gehen wir an das Land." "Und dann in die Stadt zurück?"
"Ja. Doch habe keine Sorge; Du bist bei mir vollständig sicher."
"Und der Kahn? Er kann Dich verrathen."
"Er gehört einem Fischer; er mag ihn morgen holen."
Sie stießen an und zogen das Boot an das Land. Dann schritten sie in einem weiten Bogen nach der Stadt zu. Jede Begegnung sorgfältig vermeidend und sich stets im Dunkel haltend, gelangten sie glücklich an die Hofschmiede, deren Fenster alle dunkel waren. "Wir gehen durch die Hinterthür," meinte der Schmied und sprang über den Zaun. Katombo folgte ihm. Als sie in die Werkstatt traten, machte Brandauer Licht. Das Erste, was den beiden Männern in die Augen fiel, war eine weiße Gestalt, die sich hinter den Blasebalg niedergekauert hatte, um sich dort zu verstecken. Jedenfalls war es ein Lehrjunge, der hier auf verbotenen Wegen von dem Meister überrascht wurde, den er wohl bereits zu Hause gewähnt hatte. Der Schmied zog ihn hervor, und nun zeigte es sich, daß der Bursche nur mit Hemd und Unterhose bekleidet war. "Was thust Du hier, Thomas?"
"Ich - ich - ich weiß es selper nicht, Meister Prandauer."
"So!" Er leuchtete in den Winkel, wo der Bursche gesteckt hatte, und brachte eine noch glimmende Cigarre zum Vorschein. "Was ist das?" ""Das? Hm, das ist vielleicht gar eine Ampalema!" "Du hast geraucht?"
"Nur ein ganz kleines Pischen, Herr Meister." "Und warum hier?"
"Dropen kann ich nicht in der Kammer; da könnte ich pei dem Opergesellen schöne Ohrfeigen pesehen!"
"Verdient hättest Du sie!" lachte Brandauer, der dem Lehrjungen nicht ungewogen zu sein schien. "Aber da sie einmal brennt, so magst Du sie fortrauchen. Dabei aber sorgst Du für diesen Mann, den ich Dir übergebe, bis ich nachher wiederkomme."
"Ganz zu Pefehl, mein pester Meister Prandauer!" schmunzelte der Junge und folgte den beiden Leuten in die Stube, wo der Schmied einen Kleiderschrank öffnete.
"Hier, ziehe Dich um, und laß Dir dann von Thomas zu essen und zu trinken geben. Er mag so vorsichtig wie möglich sein, daß Niemand aufgeweckt wird. Jetzt gehe ich nach dem Gehege."
Nach einigen weiteren Bemerkungen verließ er das Haus. Katombo sah sich von dem Lehrburschen aus das Beste bedient, der, als sich der Zigeuner umgekleidet hatte und mit Essen fertig war, hinaus in die Werkstatt ging und mit einer Cigarre zurückkehrte. "Willst Du Dir auch eine anprennen?" frug er. "Ja."
"Da hast Du sie; aper rauche sie mit Verstand; es ist nicht etwa plos Cupa oder Hapanna, sondern die peste Ampalema. Ich hape sie von meinem Pruder Palduin, der ist Kenner, zwei Stück für drei Pfennige!"
Damit hatte die Unterhaltung ein Ende, denn der Lehrling hatte keine Lust, sich den Hochgenuß seiner Ambalema durch unnützes Reden zu beeinträchtigen, und Katombo war zu sehr mit seinen Gedanken und Gefühlen beschäftigt, als daß er ein Bedürfniß nach einem Gespräche empfunden hätte.
So vergingen beinahe zwei Stunden, ehe Brandauer zurückkehrte. Er schickte den Jungen zur Ruhe und gab dann kurzen Bericht. "Ich habe sie nicht getroffen."
"Warum? Der Ort ist auch bei Nacht leicht zu finden."
"Weil sie überhaupt nicht mehr da sind. Ich traf ganz unerwartet auf einen Militärposten, der mich anrief. Ich gab an, daß ich mich verirrt hätte, und frug nach dem Grunde, daß Posten ausgestellt seien. Er erzählte mir, daß einer der Zigeuner einen Mann erstochen habe und entflohen sei; nun ist das ganze Gehege (\94\)B besetzt, um ihn zu fangen, sobald er zurückkehrt. Die andern Zigeuner aber sind sofort unter militärischer Bedeckung transportirt worden, wohin, das wußte er nicht." "So werde ich morgen nachforschen!"