"Du siehst allerdings nicht aus wie ein Bummler; ich werde hinaufgehen und den Meister holen," fügte Heinrich hinzu.
"Ist es nicht möglich, daß ich vielleicht Arbeit hier bei Euch bekommen könnte?" frug Helbig treuherzig. "Ich habe etwas gelernt und immer nur bei tüchtigen Meistern in Arbeit gestanden."
"Ich glaube nicht, doch kannst Du ja den Meister selber fragen."
Heinrich ging, und Helbig wandte sich nun ausschließlich zu Baldrian:
"Nicht wahr, Euer Meister heißt Brandauer?"
"Das ist am Den!"
"Hat er Kinder?"
Baldrian nickte.
"Einen Sohn?"
Ein zweites folgte.
"Ist dieser daheim?"
Ein Drittes Nicken.
"Wohnt Ihr allein im Hause?"
"Das ist nicht am Den!"
"So wohnen auch noch Fremde hier, die eigentlich nicht zur Familie des Meisters gehören?" Jetzt warf ihm Baldrian einen höchst verweisenden Blick zu. "Höre, Fremder, halte das Maul; ich halte es auch am Liebsten!"
Diese Rede des schweigsamen Gesellen war kurz und sehr deutlich. Helbig öffnete den Mund zu einer Entgegnung, als sich droben (\98\)A eine Thür öffnete. Max kam mit dem Vater die Treppe herab. Helbig wiederholte seinen Gruß und seine Bitte. "Zeige mir Dein Buch!" antwortete Brandauer.
Helbig reichte es ihm entgegen. Der Meister blickte es durch und nickte dann zufrieden. "Du kannst und sollst hier bleiben. Lege ab!"
Helbig stellte seinen Stock in eine Ecke und schnallte das Felleisen vom Rücken. In dem Augenblicke, als er es an einen Nagel hängen wollte, trat Brandauer hinter ihn und legte ihm die Arme um den Leib; zugleich zog Max zwei bereit gehaltene Riemen hervor, und ehe die Andern ihrer Überraschung über dieses unvorhergesehene Ereigniß Ausdruck geben konnten, war der falsche Schmiedegeselle so gefesselt, daß er sich nicht im Geringsten zu rühren vermochte. Auch ihn hatte das Plötzliche des Angriffs so außer aller Fassung gebracht, daß kein einziger Laut von seinen Lippen zu hören war. Die Gesellen und Lehrlinge standen wortlos und staunten; der Meister legte den Gefesselten zur Erde.
"Also ein Nachtlager bekommst Du, mein Junge, das habe ich Dir versprochen; nur weiß ich nicht, ob es nach Deinem Gusto sein wird. Laß einmal sehen, was Du bei Dir hast!" Er zog ihm zunächst das Geld aus der Tasche.
"Das also war zum Gratial für meine Gesellen. Seine Durchlaucht werden es ehrlich wieder bekommen!"
Jetzt fand er das Messer und den Revolver.
"Und das war für die drei Menschen, welche Euch im Wege sind! Ich werde Dir diese Sachen bis Morgen aufheben und sogar auch Deine Kleider aus der hintersten Gartenecke holen lassen, damit Du nicht in Verlust geräthst. Baldrian!" "Herr Meister!"
"Dieser Mensch ist ein gefährlicher Verbrecher; ich muß ihn heut hier behalten und übergebe ihn Dir und Heinrich. Schließt ihn in die Eisenkammer und seht darauf, daß er Euch nicht etwa abhanden kommt. Ich weiß, ich kann mich auf Dich verlassen!" "Das ist am Den!"
Der starke Geselle nahm den Gefangenen von der Erde auf, warf ihn mit Leichtigkeit über die Schulter und trug ihn nach dem bezeichneten Orte. Heinrich und die Lehrjungen folgten; es gab ja hier ein Abenteuer, welches sie ganz gehörig durchkosten mußten.
"Ich werde morgen Vormittag zum König gehen, um ihm die Sache vorzutragen," meinte Brandauer. "Er und kein Anderer hat hier zu entscheiden, da der Herzog seine Hand im Spiele hält. Willst Du noch hin zu diesem?"
"Ja, und zwar sofort, er ist ein Meuchler; aber ich biete ihm mein Schach in das Gesicht." Er ging. Nachdem er über den Fluß gerudert war, passirte er das herzogliche Palais und sprang dann über die Gartenmauer. Er brauchte keine Vorsicht anzuwenden, da Helbig ja von Raumburg erwartet wurde. Er schritt offen zur Laube; in ihrer Nähe angekommen, griff er in die Tasche, in welcher er ein Phosphorlaternchen stecken hatte, deren Schein ihm jede Feindseligkeit von Seiten des Herzogs zeigen mußte. "Helbig!" klang es ihm halblaut entgegen. "Durchlaucht!" antwortete er ebenso.
"Schon! Ich hatte Dich viel später erwartet; es muß sehr günstig gestanden haben. Wie ist es abgelaufen?"
"Schnell und gut."
"Sind sie todt?"
"Nein."
"Alle Teufel; warum kommst Du dann?"
Jetzt öffnete Max die Laterne, deren genügend heller Schein auf den Herzog fiel.
"Um Ihnen zu sagen, Durchlaucht, daß Sie ein Schurke sind!" antwortete er mit fester, ruhiger
Stimme.
"Ein Schur - - ah, wer ist das? Wer sind Sie? Was wollen Sie hier?" Max ließ das Licht einen Augenblick lang auf sein Gesicht fallen. "Sehen Sie her! Sie kennen mich ja wohl."
"Brandauer! Hölle und Teufel! Mensch, was thun Sie in meinem Garten? Ich lasse Sie sofort arretiren!"
"Das werden Sie bleiben lassen, mein Herr! Ich komme nicht als Dieb und Einschleicher, denn ich wußte sehr genau, daß ich Sie hier treffen würde." "Nun, was wollen Sie?"
"Ich bitte sehr höflich um die Erlaubniß, mir einen Gegenstand holen zu dürfen, welcher sich gegenwärtig in Ihrem Garten befindet."
"Welchen Gegenstand?"
"Die Kleidung eines gewissen Helbig."
(\98\)B "Helbig? Kleidung? Wer ist das? Ich weiß von Nichts." "Lügen Sie nicht?" "Herrrr - - !"
Er trat mit erhobenem Arme auf Max zu. Dieser jedoch wich keinen Zoll breit zurück, sondern antwortete:
"Herrrr - -! Sie sehen, Durchlaucht, mir stehen ganz dieselben Stimmmittel zur Verfügung wie Ihnen, die Vertheidigungswaffen ganz unerwähnt, welche ich gebrauchen würde, falls Sie Lust bekämen, den offenen Kampf mit mir aufzunehmen. Also bitte, darf ich mir die Kleider nehmen?"
"Ich verstehe Sie nicht. Sie reden wahrscheinlich irre!"
"Dann muß ich, um Sie von dem Gegentheile zu überzeugen, ausführlicher sein." "Nun? Ich befehle Ihnen das allerdings!"
"Seit wann steht Ihnen die Erlaubniß zu, mir irgend etwas zu befehlen? Jetzt reden wohl Ew. Hoheit irre, denn was ich Ihnen gegenüber thue, geschieht einzig und allein nur, weil es mir so beliebt. Sie erinnern sich wohl eines gewissen Helbig, welcher einst in Ihren Diensten stand?"
"Möglich. Weiter!"
"Er scheint von Ihnen vorzugsweise zu Missionen verwendet worden zu sein, welche nicht ganz heller Natur gewesen sind, denn - - -"
"Schweigen Sie!" herrschte ihn der Herzog an.
Das Innere desselben kochte förmlich vor Grimm. Er wußte jetzt, daß sein Anschlag gescheitert, daß Alles verrathen sei; er fühlte, in welcher Gestalt er seinem Gegner erscheinen müsse, und wenn ihm auch seine hohe Stellung eine gewisse Sicherheit gab, er war nicht nur besiegt, er war entlarvt von einem stolzen, unüberwindlich scheinenden Gegner, von einem -Schmiedesohne, der vor ihm stand und bereits schon vor ihm gestanden hatte so ruhig und hehr, wie der Löwe vor dem schmutzigen Gewürm, welches im Staube kriecht. Das steigerte seinen Grimm bis zum höchsten Grade, aber es war eine ohnmächtige Wuth, der lächelnden Ruhe gegenüber, mit welcher Max antwortete:
Wollen Sie nicht Ihre Stimme dämpfen, Durchlaucht? Es kann unmöglich in Ihrem Interesse liegen, unsere Unterredung für Andere hörbar werden zu lassen. Also ich sagte, diese Missionen können nicht ganz heller Natur gewesen sein, ebenso wie zum Beispiel der Auftrag, welchen er heut in Ihrem Interesse ausführen sollte." "Sie sprechen in Räthseln. Verlassen Sie meinen Garten!"
"Das Erstere ist nicht wahr, und das Letztere ist nicht Ihr Wunsch, denn es muß Ihnen sehr daran liegen zu erfahren, warum ich an Stelle dieses Helbig komme. Er läßt sich nämlich durch mich entschuldigen, da es ihm unmöglich ist, Ihnen seinen Bericht selbst abzustatten. Er liegt gebunden bei mir; Ihr Messer und Revolver wurde ihm abgenommen und ebenso das Geld, welches er zum Gratial für die Gesellen meines Vaters verwenden sollte." "Elender Verräther!"
"Sie irren wieder, Durchlaucht. Helbig hat Sie nicht verrathen; er hat sogar nicht einen einzigen Laut von sich gegeben; dennoch aber wußte ich bereits ehe er als Handwerksbursche bei uns erschien, welche Gefahr mir, der Zigeunerin Zarba und dem Hauptmann von Wallroth drohte."