Der Direktor stöhnte vor Entsetzen. Max, welcher sicher annahm, B daß es Zarba mit ihrer Drohung blos darum zu thun war, die beiden Ärzte einzuschüchtern, begann:
"Ich wiederhole, daß ich bei der geringsten Lüge winken werde; mehr bedarf es nicht zu einer Kugel. Herr Direktor, Sie kennen einen Herrn Aloys Penentrier?"
"Ja."
"Er besuchte Ihre Anstalt sehr oft?" "Ja."
"Im Auftrage des Herzogs von Raumburg?" "So ist es."
"Er hatte Ihnen die Befehle desselben zu bringen?"
"Denen ich natürlich gehorchen mußte," versuchte er sich zu entschuldigen.
"Ich theile diese Ansicht natürlich nicht. Sie konstatiren hiermit gewisse Fälle, in denen geistig vollkommen Gesunde als wahnsinnig eingeliefert und behandelt wurden?"
"Ja," klang es nach einigem Zögern.
"Ebenso gestehen Sie Fälle ein, in denen Sie angehalten waren, gefürchtete Internirte durch Tödtung zu entfernen?"
"Ja."
"Ihr Oberarzt war ausnahmslos Ihr Mithelfer?" "Ja."
"Gestehen Sie das ein?" wandte sich Max an diesen.
Er warf dem Direktor einen fürchterlichen Blick zu, schielte nach der bereitgehaltenen Pistole und antwortete:
"Bei solchen Gewaltmitteln kann ich nicht anders als ja sagen." "Gut, so sind wir fertig. Wo sind die Effekten dieser Männer?" "Hier," antwortete Tirban, indem er zwei Koffer herbeischob. "Untersuchen!"
Sie wurden geöffnet, enthielten aber nichts als Wäsche und Toilettengegenstände. Daher ließ Max die Kleidung der Gefangenen untersuchen. Jetzt kam das Reisegeld und außer demselben ein Portefeuille zum Vorschein, welches einige versiegelte Briefe ohne Adresse enthielt. Max erbrach sie, und kaum hatte er einen Blick auf den ersten geworfen, so griff er in die Tasche und zog sein Notizbuch hervor. Er hatte ganz dieselbe Geheimschrift erkannt, zu welcher er aus der Bibliothek des Herzogs von Raumburg sich den Schlüssel mitgenommen hatte. Er trat an das Tageslicht und begann zu dechiffriren.
Es dauerte lange, ehe er fertig war. Die Andern ahnten, daß er etwas sehr Wichtiges gefunden haben müsse, und vermieden, alle Störung. Als er geendet hatte, steckte er die Briefe zu sich und überlegte einige Zeit.
"Ich werde über diesen Fund später berichten. Können die Gefangenen für diese Nacht noch hier bleiben?"
"Ja," entschied Zarba.
"So schließt sie wieder ein! Jetzt vorerst wieder zurück zum Kruge, wo wir versuchen wollen, die Räthsel zu lösen, vor welche wir uns heute gestellt sehen."
"Halt!" gebot Zarba. "Ehe wir diesen Ort verlassen, verlange ich von Euch Allen den Schwur, ihn niemals zu verrathen."
"Ich schwöre es gern," antwortete Max.
"Ich auch," stimmten die Andern bei.
Der Rückweg wurde angetreten. Tirban blieb in seiner Hütte; die Übrigen begaben sich nach dem Kruge. Als sie dort angekommen waren, näherte sich Thomas Schubert seinem jungen Herrn.
"Herr Doktor, darf ich einmal ein Pischen neugierig sein?" "Nun?"
"Warum ist der Herr Hauptmann von Wallroth zurückgeplieben und nicht lieper auch mitgekommen?"
"Der König erlaubte es nicht. Er hat ihn zum Major avancirt und gewünscht, ihn für jetzt im Schlosse zu behalten."
"Donnerwetter, da pleipe ich ein anderes Mal auch zu Hause!"
Er trat befriedigt zu seinem Bruder. Dieser verwandte kein Auge von Nurwan Pascha, welcher sich wieder zu seiner Tochter gesetzt hatte, und drehte sich endlich ärgerlich um. "Thomas, ich wette doch mit Dir, daß dieser Mann der schwarze Kapitän ist. Je länger ich ihn mir betrachte, desto gewisser werde ich!"
"Ein Seeräuper? Dann hat er dieses Mädchen wohl auch aus der See geraupt und giept sie nun für seine Tochter aus. Darüper zerpreche ich mir aper den Kopf nicht; lieper will ich einmal nachdenken, wie ich es anfange, daß mein junger Herr auf den glücklichen Gedanken kommt, mir eine von seinen Cupa oder Hapanna anzupieten?"---
Zwöftes Kapitel. Ein Rückblick.
Es war zu Siut in Egypten. Die glühende Mittagssonne verbreitete eine drückende Schwüle über die Stadt, in deren engen Straßen selten der eilende Schritt eines Menschen, der kurze Trab eines Esels oder das Schnauben eines Kameels zu hören war. Sprühende Gluth vibrirte über den Wassern des Nils, und kein einsamer Kahn, keine Barke war auf den Wogen zu sehen. Einige Sandals lagen im Hafen, aber von der Besatzung war kein Kopf, kein Glied zu sehen, da sich die Leute vor der Hitze an das Ufer zurückgezogen hatten, um sich in dem kühlen Raume eines Kawuah (Kaffeewirthes) zu erholen.
Am Ufer des Flusses stand ein großes Gebäude, von welchem allerdings nicht viel zu erkennen war, da das ganze zu ihm gehörige Areal von einer sehr hohen Backsteinmauer umgeben wurde. Diese Letztere umschloß zunächst einen Garten, der mit großer Kunst und Sorgfalt angelegt war; dann starrten Einem die vier fensterlosen Mauern des ein Rechteck bildenden Gebäudes entgegen. Das durch die Mauer gebrochene Thor lag dem Flusse zu, und ihm gegenüber öffnete sich der Eingang des Gebäudes, welches mit seinen vier Seiten einen mit Säulengängen eingefaßten Hof umschloß. Stieg man von diesem Hofe aus eine breite aus dem Syenit des Dschebel Mokkhadam gebaute Treppe empor, so gelangte man in ein weites Gemach, in welchem eine sehr angenehme und erquickende Kühle herrschte. Dieselbe wurde hervorgebracht durch die Ausdünstung des Wassers in den vielen porösen Thongefäßen, welche in zahlreich angebrachten Maueröffnungen standen. Der Boden war mit einem einzigen großen persischen Teppich von wundervoller Arbeit und Färbung belegt, und auf einer erhöhten Estrade stand ein mit rothem nubischem Sammet überzogener Divan, auf welchem ein Mann in jener Stellung (mit untergeschlagenen Beinen) Platz genommen hatte, welche der Türke Rahat otturmak. d.i. Ruhe der Glieder nennt.
Er mochte achtundvierzig oder neunundvierzig Jahre zählen, aber der Ausdruck von Betrübniß, welcher auf seinen edlen, männlich-schönen Zügen lag, ließ ihn um Einiges älter erscheinen. Der sicherste Werthmesser für den Reichthum eines Mannes pflegt in Egypten die Pfeife zu sein. Diesen Maßstab angelegt, mußte der Reichthum dieses Mannes ein sehr bedeutender genannt werden, denn der Kopf der Pfeife, welche er rauchte, war sicher aus einem Stücke Meerschaum von seltener Größe geschnitten, das Rosenholzrohr zeigte eine massive Golddrahtumwindung, zwischen welchen zahlreiche ächte Perlen hindurchblickten; die Spitze bestand aus einem großen Stücke jenes halbdurchsichtigen Bernsteines, welcher im Oriente theurer bezahlt wird als der wasserhelle, und der kristallene Kondensirknauf schimmerte von Brillanten, Smaragden und Rubinen, welche an sich schon ein Vermögen repräsentirten.
Zu seinen Füßen hockten zwei schwarze Sklaven; der Eine war beschäftigt, die Pfeife in stetem Gang zu erhalten, und der Andere kredenzte in kleinen, kaum mehr als fingerhutgroßen Tassen den schwarzen Trank des Mocca, der vollständig rein, ganz ohne Zucker und Sahne genossen wurde.
Da öffnete sich eine Seitenthür und eine verhüllte Frauengestalt trat ein. Sie näherte sich dem Manne, hob den Schleier ein wenig und küßte ihn auf die Stirn; dann strich sie ihm mit der kleinen, weißen Kinderhand über dieselbe und meinte mit halblauter und doch goldig reiner Stimme:
"Wieder lagern Wolken um Dein Haupt, und Schatten ziehen durch Dein Herz. Die Geschicke der Sterblichen stehen geschrieben und verzeichnet im Buche des Schicksals, und keine Hand kann wider Allahs Willen."
"Du sagst recht, Ayescha; aber doch thut der Wille Allahs wehe, wenn er das Herz zerreißt. Allah lenkt die Geschicke wie Wasserbäche, doch gibt er dem Manne Spielraum, seine Kraft zu erproben und zu entfalten. Mein Leben war ein schwerer Kampf; das Kismet (Vorherbestimmung) ist mir gütig gewesen; jetzt aber hat es mich getroffen mit dem Schlage einer Keule, die mein Leben zerschmettern kann. Ich kämpfe und ringe dagegen, doch all mein Reichthum, all meine Macht bringt mir keine Hilfe. Ich werfe mit Gold um mich, als besäße ich die Schätze der tausend und einen Nacht; ich schicke meine Freunde, meine Diener und meine Sklaven aus, aber Keiner will kommen, um mir die Kunde zu bringen, nach welcher ich mich sehne, wie die Nacht nach dem Lichte des Tages, wie die Wüste nach Thau und Regen und wie der Nil nach der gnadenreichen Leilet en Nuktha ("Nacht des Tropfens," jene Nacht, in welcher nach dem Glauben der Nilanwohner ein Thränentropfen vom Himmel fällt, um alljährlich die segensreichen Überschwemmungen hervorzubringen)." B "Vater, es gibt nur Einen, welcher klug und tapfer genug ist, das Geheimniß zu enthüllen und Dir die ersehnte Kunde zu bringen; aber dieser ist nicht da." "Wer?" "Katombo."