"Ich will, Sihdi. Als Du mich mit der Dahabi, hinaufsandtest in das unbekannte Land, wußte ich, daß ich Deinen Willen erfüllen würde, und jetzt, da Du mich nach Deinem geraubten Kinde suchen heißest, sagt mir eine geheime Stimme, daß ich es finden werde." "Hab Dank, Katombo! Du gibst mir Hoffnung und neues Leben. Hier kommt Speise und Trank. Ich werde Beides wieder genießen können, denn ich vertraue auf Dich und Deine Geschicklichkeit. Wann wirst Du gehen?"
"Erlaube mir, Sihdi, daß ich heut noch bleibe. Ich muß mir Alles genau betrachten und überlegen, um einen richtigen Plan bilden zu können. Die Andern haben nichts vermocht, weil sie ohne ein bestimmtes Ziel von Dir gingen."
"Du redest klug und richtig. Auch mußt Du Dich von Deiner Reise erholen. Iß und trink und verlange getrost von mir; Du sollst Alles reichlich haben, was Du zur Erfüllung meines Auftrages von mir forderst!"
Die Diener stellten einen nach orientalischer Sitte niedrigen Tisch vor die Beiden hin und bedeckten ihn mit Speisen, wie sie nur ein reicher Mann bezahlen und genießen kann. Katombo langte fleißig zu; Manu-Remusat aber aß nur sehr wenig. Der Gram ist der schlechteste Koch, den es geben kann.
Nach vollendetem Mahle verabschiedete sich der frühere Zigeuner von seinem Herrn. Er hatte sich bereits während des Essens Alles reiflich überlegt und schritt nach dem Garten, um zu dem Kiosk zu gelangen, aus welchem Sobe<de seiner Meinung nach entführt worden war. Dieses war ein aus Holz gezimmertes Gartenhaus in persischem Stile. Die Thür stand offen; einige Backsteinstufen führten zu ihr empor. Die Schritte Katombos verursachten auf dem weichen und sorgfältig gepflegten Rasen nicht das mindeste Geräusch; auf den Stufen aber knirschten seine Schuhe, und in demselben Augenblicke vernahm er ein leichtes Geräusch im Innern des Kiosk. Er öffnete die nur angelehnte Thür und - blieb mit einem Laute der Überraschung unter derselben stehen: Auf dem im Gartenhause befindlichen Divan hatte Ayescha gesessen und sich beim Schalle seiner Schritte erhoben. "Katombo!" rief sie unwillkürlich, aber dieselbe Stellung beibehaltend.
Sie hatte den Schleier niedergelassen, doch wenn auch durch diese Hülle ihre Züge nicht zu erkennen waren, ihre großen, dunklen Augen waren doch zu sehen; ihre kleinen Füßchen, welche in den feinsten Saffianpantoffeln steckten, blickten unter dem halb aufgerafften B Gewande hervor, und auch die kleinen weißen Finger ihrer Rechten, welche den Schleier zusammenhielt, ließen sich deutlich bemerken.
"Verzeihe, Herrin, wenn ich Dich störe, und erlaube mir, mich wieder zurückzuziehen!" meinte Katombo.
"Was wolltest Du hier?" frug sie mit beinahe leiser Stimme.
"Dein Vater gebot mir, Sobe<de aufzusuchen, und ich glaubte, hier die erste Spur von ihr zu finden."
"Wirst Du sie wiederbringen?"
"Das weiß nur Allah und sein Prophet; aber ich werde Alles thun, was in meinen Kräften steht, Dir Deine Schwester wiederzugeben." "Ich weiß es, Katombo!"
Diese süße, metallisch-reine Stimme nannte ihn beim Namen! Er mußte sich zwingen, ruhig zu bleiben.
"So darf ich gehen?"
"Nein, bleibe und suche!"
Er hatte ganz unmöglich glauben können, diese Erlaubniß zu erhalten. Sie erweckte Gefühle in ihm, die bereits einmal wach gewesen waren und bisher im tiefsten Herzen geschlummert hatten. Ayescha setzte sich wieder nieder, doch ohne ihr Händchen zurückzuziehen oder ihre Füße zu verhüllen. Er bemerkte dies sehr wohl; doch durfte er auf diese hohe Vergünstigung keine Rücksicht nehmen, da er seine ganze Aufmerksamkeit auf den Zweck seiner Anwesenheit zu verwenden hatte. Leider waren alle etwaigen Spuren auf dem Fußboden und den wenigen im Kiosk befindlichen Gegenständen bereits unvorsichtiger Weise verwischt worden, und all sein Scharfsinn konnte ihn zu keiner Entdeckung führen. Jetzt trat er an das eine Fenster, welches nach außerhalb der Mauer führte. Die dasselbe gegen die Sonne schützende Matte war aufgezogen. Er untersuchte die Einfassung der Öffnung und bemerkte in dem unteren Gewände die Bruchfläche eines stählernen oder eisernen Gegenstandes, welcher in dem Holze gesteckt hatte. Ein Nagel konnte es unmöglich gewesen sein, da die Fläche lang und schmal wie der Durchschnitt einer Messerklinge war. Schnell nahm er seinen Dolch zur Hand und grub den Gegenstand heraus. Es war die Spitze eines zweischneidigen Dolches.
Jetzt blickte er an der Außenseite des Kiosk und der Mauer hinab. Einige Zoll oberhalb der
Stelle, wo der erstere auf der letzteren ruhte, stak ein tief eingeschlagener Nagel, und an ihm hing ein schimmernder Gegenstand. Katombo griff hinab und nahm ihn empor. Es war ein kleines Stück Goldschnur, wie man sie zur Verzierung von Jacken gebraucht.
Indem er lautlos dastand und nachdenklich die beiden Gegenstände betrachtete, klang es hinter ihm:
"Hast Du eine Spur?"
Er drehte sich um und stand hart vor Ayescha, welche aufgestanden und herbeigetreten war. "Ich weiß es noch nicht. Hast Du oder Sobe<de jemals Waffen mit ihm Kiosk gehabt?" "Nein."
"Oder ein Anderer?"
"Nein. Dieser Kiosk war blos für uns Beide, und Niemand konnte ihn öffnen als wir."
"Aber Dein Vater war hier?"
"Nur einmal als Sobe<de fort war."
"Du warst dabei?"
"Ja."
"Hatte er einen Dolch bei sich?" "Nein."
"So stammt diese Spitze von einem Fremden! Trägt einer unserer Diener ein Kleid, an welchem sich eine solche Schnur befindet?"
Sie nahm das Stück und hielt es nahe an den Schleier, doch schien sie es durch das Gewebe hindurch nicht genau erkennen zu können, denn sie drehte sich ein wenig abseit, öffnete den Schleier und sah nun die Goldschnur genau und ziemlich lange Zeit an.
Wollte sie Katombo Gelegenheit geben, ihre Züge zu sehen? War dies nicht der Fall, so hätte sie sich weiter fortwenden müssen, denn der junge Mann erblickte das unvergleichliche Profil eines Angesichtes, dessen Schönheit ihm das Blut siedend durch die Adern pulsiren machte. Was war Zarba gegen diese köstliche orientalische Perle, Zarba, die ihn verlassen und verrathen und dann sich selbst verloren hatte! Was seit jenen schweren Tagen tief in seinem Innern vergraben gewesen war, in diesem Augenblick sprengte es seine Hülle und bäumte sich mit Riesengewalt empor, hochauflodernd wie ein Feuer, welches durch den Zutritt der Luft neuen Raum und neue Bahnen gewinnt. A Da schloß sie den Schleier und wandte sich ihm wieder zu. "Es trägt Niemand in unserem Hause solche Schnur."
Er senkte den Blick zur Erde; er brauchte Zeit, um seine Ruhe, seine Fassung wieder zu gewinnen. Da plötzlich leuchtete sein Auge auf, und es ging hell über sein intelligentes Gesicht.
"Ich habs, ich habs! Allah kerihm, Gott ist gnädig!"
"Was hast Du? Weißt Du, wo Sobe<de sich befindet und wer sie geraubt hat?"
Sie war vor Erregung schnell zu ihm herangetreten und legte ihm das Händchen auf die Schulter. Er zuckte unter dieser Berührung zusammen wie unter einem kräftigen Faustschlage; ihr Gesicht befand sich nahe dem seinigen; er fühlte den linden würzigen Athem ihres Mundes - er konnte nicht anders, er legte die Linke um sie und öffnete mit der Rechten ihren Schleier.
"Ayescha!"
"Katombo, was wagst Du, was thust Du!" flüsterte sie, erschrocken, verwirrt und beseligt zugleich.
"Ayescha, Licht meiner Augen, Stern meiner Seele, Sonne meines Lebens, darf ich Dich ohne Schleier sehen?"
"Nein - ja - nein!" antwortete sie, beim letzten Worte die Hand erhebend, um sich wieder zu verhüllen.
Er wehrte ihr diese Bewegung.
"O, laß mich den Strahl Deiner Augen und den Glanz Deines Angesichtes trinken, Du Holde, Du Reine, Du Unvergleichliche. Laß mich Deine Lippen küssen und dann sterben vor Wonne, vor Entzücken und vor Seligkeit!"
Er bog sich zu ihr nieder und berührte mit seinem Munde zweimal, dreimal ihre Lippen, ohne daß sie es ihm wehrte. Ihr Angesicht erglühte, aber sie griff weder zum Schleier noch suchte sie sich seinem Arme zu entziehen.