Er reichte Katombo die Waffe sammt der Lederscheide entgegen. Der Re<s betrachtete zunächst die Letztere und zog dann die Klinge hervor; sie war auf jeden Fall früher länger gewesen, dann an der Spitze abgebrochen und wieder zugespitzt und geschärft worden. "Ein sehr guter Stahl; es muß viel Kraft gekostet haben, die Spitze abzubrechen," meinte Katombo.
"Ich erhielt die Waffe so von meinem Vater."
"Wirklich? Dann muthest Du mir zu, kein Kenner zu sein. Siehst Du nicht, daß noch nicht drei Wochen vergangen sein können, seit diese Klinge wiederhergestellt wurde? Jedenfalls ist Dein Vater schon länger als diese Zeit todt."
"Du zweifelst an der Wahrheit meiner Worte?" frug der Armenier in halb beleidigtem und halb stolzem Tone.
"Ja," antwortete Katombo, ihn jetzt mit scharfem Auge fixirend. "Betrachte Deine Jacke!" "Warum, Sihdi?"
"Hast Du nicht bemerkt, daß etwas an ihr fehlt?" "Nein."
"So werde ich es Dir zeigen."
Er steckte wie in Gedanken sowohl den Dolch als auch die Pistolen zu sich und stand auf. Der Gegner stand jetzt waffenlos vor ihm; er deutete mit dem Finger nach einer der Schnuren, welche die Jacke desselben zierten. "Fehlt hier Nichts?"
"Ein wenig von der Schnur," antwortete der Mann, ohne nach der beschädigten Stelle zu blicken. Er hatte den Mangel also selbst auch bemerkt, aber keine Gelegenheit gehabt, die Stelle ausbessern zu lassen.
"Warum hast Du die Jacke nicht in den Laden eines Schneiders gebracht?"
"Was geht Dich meine Jacke an?" frug der Mann, dem das Gespräch jetzt sonderbar und unangenehm zu werden begann.
"Ich frage Dich, weil ich um Dein Wohl besorgt bin, denn diese Stelle an Deiner Jacke kann ebenso verhängnißvoll für Dich werden wie Dein Dolch." "Ich verstehe Dich nicht, Sihdi, sprich deutlich!"
"Das werde ich sogleich. Dein Stahl wurde in demselben Augenblick zerbrochen, in welchem Du die Schnur Deiner Jacke zerrissest. Sieh hier die verlorene Spitze und sieh hier das abgerissene Stück der Schnur."
Er griff in die Tasche und hielt ihm Beides entgegen. Der Armenier prallte zurück, faßte sich aber sofort wieder.
"Was geht mich dieses Eisen und diese Schnur an?"
"Sehr viel! Dieses Eisen ist die Spitze Deines Dolches und diese Schnur ist auch von Dir; siehe, wie sie paßt!"
Er hielt das Stück auf die Brust des Mannes und überzeugte sich, daß er sich nicht geirrt habe. Der Armenier ahnte jetzt, welchen A Zweck das ganze Gespräch verfolgte, und daß er sich von einem gewandten Gegner hatte übertölpeln lassen. Er trat um einige Schritte zurück. "Was willst Du von mir? Ich verkaufe meine Waffen nun nicht: gib sie mir zurück, ich will gehen."
"Warte noch ein wenig. Wohin hast Du Sobe<de, die Tochter des Obersten der Schiffsführer, Manu-Remusat, gebracht?"
"Der Gefragte entfärbte sich, suchte aber eine gleichgiltige Miene zu erzwingen.
"Hat Dich die Sonnenhitze um den Verstand gebracht, daß Du mich fragst, wie nur ein Wahnsinniger fragen kann?"
"Hat Dir der Scheitan (Teufel) das Gehirn gestohlen, daß Du thatest, was nur ein Verrückter thun konnte? Weißt Du nicht, daß Mohamed sagt: "Wer Böses thut, den wird die Strafe treffen?" Sofort, als ich Dich zum ersten Male sah, fiel mir die Stelle auf, an der Dir die Schnur fehlte, und dies fiel mir wieder ein, als ich hörte, daß Sobe<de geraubt sei und ich die Spitze nebst der Schnur dort fand, wo die That geschehen ist. Der Kuran sagt: "Das Geständniß sühnt die halbe Schuld, und die Reue läßt auch die andere Hälfte vergessen." Denke an dieses Wort und öffne Deine Seele, damit Dir Vergebung werde!" "Ich weiß von Nichts, geh von mir und suche Deinen Kopf, den Du verloren hast; zuvor aber gib mir meine Waffen zurück!" "So leugnest Du?"
"Ich leugne. Heraus mit meinen Waffen!" Er trat auf Katombo zu und faßte ihn am Arm. "Hier hast Du sie!"
Der Re<s zog die eine Pistole hervor und schlug sie ihm so gegen die Stirn, daß er betäubt zurücktaumelte. Im Nu hatte ihn Katombo gepackt, riß ihn zu Boden nieder und wand ihm seine Schärpe um die Arme; dann schnitt er ihm einen Fetzen von der Jacke und steckte ihm denselben als Knebel in den Mund. "Abd-el-Oman!"
Die Thür öffnete sich und der Kawuahschi, welcher draußen gewartet hatte, trat ein. Er sah den Gebundenen am Boden liegen und schlug vor Schreck die Hände zusammen. "Sihdi, was thust Du meinem Hause! Soll ich Dich für einen Räuber, einen Mörder oder einen Henker halten?"
"Für keins von allen Dreien. Der Räuber liegt hier, ich habe ihn überwunden und werde Gericht über ihn halten."
"So mußt Du ihn zum Kaschef (Polizeivorsteher) oder zum Kadi (Richter) bringen lassen!" "Das werde ich nicht thun, oder ich werde es auch thun, je nachdem sich dieser Mensch verhalten wird. Für jetzt übergebe ich ihn Deiner Obhut; feßle ihm noch die Beine und sperre ihn ein, bis ich ihn in einer Viertelstunde holen lasse." "Ist er denn auch wirklich ein Räuber, Sihdi?" "Ja."
"Allah kerihm, Gott ist gnädig! Wie leicht hätte er auch bei mir sein Handwerk versuchen können; ich werde ihn so binden, daß ihm die Seele wackeln soll, ich werde Alle, die bei mir sind und noch zu mir kommen, vor ihm warnen, ich werde um - - -"
"Nichts wirst Du, verstehst Du mich? Es soll jetzt noch Niemand wissen was vorgefallen ist, und darum darfst Du es nicht eher erzählen, als bis ich es selbst Dir erlaube. Du weißt, wie reich und mächtig Manu-Remusat ist; er kann Dich verderben, wenn Du plauderst!" "Sihdi, Du sprichst weiser als ein Kalif und klüger als die Männer des Kuran; ich werde schweigen wie der Fisch im Wasser."
"Das ist verständig von Dir. Ich werde meine Diener mit der Sänfte senden, um ihn abzuholen; laß es Niemand sehen, wenn er aufgeladen wird."
Der Kawuahschi verbeugte sich dreimal statt einmal, als er die Münze erblickte, welche Katombo ihm als Bezahlung für den Kaffee und die Pfeife reichte.
"Allah segne Deine Hand, Sihdi, sie spendet Gutes und schüttet Wohlthat aus über Deine Diener. Kehre bald wieder ein im Hause dessen, welcher der gehorsamste Deiner Sklaven ist!"
Katombo verließ die Kaffeeschenke und kehrte auf demselben Wege in das Haus seines Gebieters zurück. Dieser saß noch auf dem Divan und rauchte seine Pfeife; er blickte erwartungsvoll auf, als der junge Re<s eintrat.
"Du kehrst zurück, Deine Augen leuchten und Deine Wangen erglühen wie die Morgenröthe, wenn sie den jungen Tag verkündet. Was hast Du mir zu sagen?" "Sihdi, Du weißt, daß ich mit Deiner Tochter gesprochen habe?" "Ich weiß es, denn sie selbst sagte es mir, daß Du im Kiosk gewesen bist, um nach den Spuren meines Kindes zu suchen. Wir haben auch gesucht, aber der Schmerz verdüsterte unsere Augen; Du B hast die Spitze eines Dolches und das abgerissene Stück einer goldenen Schnur gefunden?" "So ist es, Sihdi."
"Stammen sie von jenem Abende her?" "Ja."
"Aber wie willst Du den finden, dem Beides gehört? Nur Allah allein ist groß, er sieht und hört Alles, der Mensch aber ist nicht allwissend, er kann nicht in das Dunkel blicken." "Sihdi, weißt Du nicht, daß der Geist des Menschen von Gott stammt und wieder zu Gott geht? Der Mensch ist ein Kind Allahs, und Vieles, was der Vater weiß, theilt er dem Sohne mit; von der Allwissenheit Allahs fiel ein Strahl hernieder auf das Geschlecht der Menschen und dieser Strahl wird Verstand genannt. Den Einen traf er viel und den Andern wenig, darum sieht der Eine, was der Andere nicht bemerkt." "Und Du, was hast Du gesehen?" "Den Räuber Deiner Tochter."
Manu-Remusat sprang empor wie von einer Feder in die Höhe geschnellt. Bei dieser unvermutheten Nachricht ließ er ganz die anerzogene muselmännische Ruhe und Würde außer Acht.
"Ihn, ihn hast Du gesehen? Das ist unmöglich, ich selbst habe ihn gesucht - vergebens, meine Diener haben ihm nachgeforscht drei Wochen lang - ebenso vergebens, und Du, der Du kaum einige Minuten lang von ihrem Verschwinden weißt, willst ihn bereits gesehen haben?" "Sihdi, ich habe ihn bereits seit einer Woche gesehen!" "Wo?"