"Wir werden jetzt hinausgehen." "Mit welchem Schiffe?"
"Mit unserer "Djuhr-el-Djinne". Wir dürfen kein anderes Fahrzeug nehmen, weil Niemand unseren Aufenthalt erfahren soll."
"Aber wird der Sandal auch seetüchtig sein?"
"Er würde es nicht sein, wenn er so flach auf den Bug gebaut wäre, wie andere Flußschiffe; Du aber hast ihn scharf auf den Kiel gesetzt und wenn wir Einiges im Takelwerk verändern, so können wir bei nicht gar zu bösem Wetter eine Fahrt von mehreren Tagen wagen." Jetzt verging eine längere Zeit; dann wurde nebenan die Kajüte geöffnet, und der Kaschef trat ein, begleitet von einem seiner Khawassen, welcher die Lampe anzündete. Er setzte sich auf eines der daliegenden Polster und meinte, mit einem behaglichen Gähnen die Beine unterschiebend:
"Hier werde ich bleiben bis es Tag ist. Kommt etwas Wichtiges vor, so ruft Ihr mich; jetzt aber holst Du mir meine Pfeife."
Er lag mit dem Rücken gegen die Thür, welche ihn von den Lauschern trennte; der Khawaß entfernte sich; Katombo stieß Manu-Remusat an.
"Jetzt!" flüsterte er.
"Warum? Übereile Dich nicht!"
"Wir bekommen ihn nicht besser, und die Leute können es im Ballastraume nicht lange aushalten."
Er ergriff den Riegel leise, schob ihn mit einem schnellen Rucke auf, zog die Thür herüber und hatte in demselben Augenblicke auch schon den Kaschef so bei der Kehle gepackt, daß dieser keinen Laut auszustoßen vermochte. Er zog ihn herein zu Remusat. "Halte ihn, bis ich den Khawassen habe!"
Remusat griff zu, und Katombo trat in die Kajüte. Nur wenige Augenblicke später trat der Polizist herein, das Nargileh in der Hand. Er bemerkte sofort, wen er vor sich hatte, bekam aber keine Zeit zu entfliehen oder auch nur aufzuschreien, denn Katombo ergriff ihn rasch beim Halse und riß ihn herein, so daß er die Pfeife fallen ließ und die Hände weit auseinanderschlug.
In diesem Augenblicke ertönte hinter ihm ein lauter Schrei; er blickte sich überrascht um und sah im Scheine des Lichtes draußen im Verschlage eine Waffe blinken. Schnell entschlossen riß er seinen Dolch aus dem Gürtel und stieß ihn dem Khawassen in die Brust. Remusat hatte den Fehler begangen, seine Hand vom Halse des Kaschef zu nehmen, und dieser war dadurch zu Athem und zu der Kraft gekommen, seine Pistole zu ziehen. Er wollte schießen; Remusat ergriff ihn bei der Faust, konnte aber nicht verhindern, daß der Schuß losging. Glücklicher Weise schlug die Kugel, ohne Jemand zu treffen, in das Gebälk des Verschlages. "Nieder mit ihm!" rief Katombo, welcher Ayescha zu Boden sinken sah. Eine Ohnmacht hatte sie ergriffen; er aber glaubte, daß sie A von der Kugel getroffen worden sei, stürzte sich auf den Kaschef und stieß ihm den Dolch von hinten so kunstgerecht in das Herz, daß der Getroffene leblos zusammenbrach. Dann zog er die Kajütenthür zu und verriegelte sie von innen. "Bist Du verwundet, Vater?" "Nein," antwortete Remusat.
"So eile nach dem Ballastraume und rufe die Leute. Ich halte hier die Kajüte, und Du gehst auf das Deck; es darf keiner entkommen!"
Manu-Remusat schob die Bretter des Verschlages zurück und kroch hinaus. Schon klopfte es laut und heftig an die Kajütenthür; Katombo aber kümmerte sich nicht darum, sondern bückte sich zu Ayescha nieder, um nach ihrer Wunde zu sehen.
"Hamdullillah, Preis sei Gott; sie ist nicht verwundet; sie ist nur ohnmächtig, und die Kugel ist hier in diesen Balken gedrungen!"
Jetzt stellte er sich hinter die Thür und zog seine beiden Doppelpistolen.
"Kaschef - Sihdi - Effendi - Effendina!" rief es draußen, und als keine Antwort ertönte,
krachten kräftige Fußtritte gegen die Thür.
Da erscholl vom Verdecke herab ein lauter Ruf des Schreckes, und nun war es Zeit für Katombo. Er stieß die Thür auf, drei Männer standen auf der engen Treppe; der Hinterste wandte sich soeben um, um zu sehen, was droben am Decke vorgegangen sei. Zwei Schüsse krachten und noch einer, alle gut gezielt. Der kleine Raum füllte sich mit dichtem Pulverdampf. Katombo zog die Thür wieder in den Riegel und wandte sich nach dem Verschlage.
"Vater - Katombo!" hörte er Ayescha rufen.
Der Knall der Schüsse hatte sie aus der Ohnmacht geweckt.
"Hier, Ayescha!"
"Allah helfe uns! Was ist vorgegangen?"
"Wir siegen. Bleibe noch hier; ich komme gleich wieder!"
Er drang hinaus in den Raum, welcher leer war und eilte zur Treppe empor. Oben leuchteten die Sterne wie vorher, und beim Scheine derselben konnte er sehen, wie Remusat einen Khawassen niederstieß, den letzten, welcher zu sehen war. "Fertig?" frug er.
"Erst sieben. Wo sind die andern?"
"Todt, auf der Kajütentreppe."
"Holt sie herauf!" gebot Remusat seinen Leuten.
In kurzer Zeit lagen die Leichen auf dem Vorderdeck, und Ayescha ruhte, angegriffen von dem Geschehenen, unter demselben Zelte, unter welchem vor ihr Sobe<de sich befunden hatte. Jetzt wurden Steine aus dem Raume geholt, um die Todten zu versenken. Während dieser Arbeit leuchteten zu beiden Seiten des Stromes hinter dem Sandal helle Schilffeuer auf. Man hatte an den Ufern die Schüsse und das Geschrei des Kampfes vernommen; das stattliche Fahrzeug aber war mittlerweile mit dem Strome so weit fortgegangen, daß man es nicht mehr erblicken konnte. Endlich war die letzte Leiche den Fluthen übergeben, und nun galt es, die Spuren des Kampfes zu verwischen
"Schöpft Wasser, Ihr Männer, und scheuert das Deck und die Kajüte," gebot Remusat. "Am Morgen muß Alles blank sein wie zuvor; dann ziehen wir die Segel auf und holen die Dahabi,s ein."
Zwischen Bord und Masten tummelten sich nun die Schiffer; Manu-Remusat beaufsichtigte sie, und Katombo saß im Zelte bei Ayescha, um sie zu beruhigen und ihre Bangigkeit über die Folgen ihres heutigen Abenteuers zu verscheuchen. Sie lag an seinem Herzen und schlummerte endlich ein, eingewiegt von den süßen Worten, welche er nicht müde wurde ihr in das Ohr zu flüstern. Auch er war müde nach den anstrengenden Ereignissen der letzten Tage; er legte den Kopf an die Zeltwand und schloß die Augen; Der Schlaf umarmte ihn gerade so, wie er sein junges Weib in den Armen hielt.
Als er erwachte, blickte die Sonne bereits über die Höhen des Dschebel Nokkladam herüber. Er ließ den Kopf Ayeschas auf das Kissen gleiten und erhob sich.
Das blanke Deck zeigte nicht die geringste Spur des stattgefundenen Gefechtes, und an den Masten flatterten bereits die Segel, welche Manu-Remusat soeben aufnehmen ließ. Sie wurden straff gespannt; der Wind fing sich in ihnen, und bald war die Schnelligkeit des
Sandals um mehr als das Doppelte vergrößert. Über den blitzenden Wassern kreuzten die Schwalben, jene Namensschwestern des Sandals, welche der Araber Djuhr-el-Djienne, Vögel des Paradieses nennt, weil die fromme Sage von ihnen erzählt, daß sie den Menschen nicht verlassen wollten, als dieser aus dem Paradiese getrieben wurde, sondern an dem flammenden Schwerte des Engels vorüberflogen, um den Ureltern des menschlichen Geschlechtes in die B Verbannung zu folgen; im Schilfe schnäbelten sich die weißen Niltauben, die dem Eingeborenen heilig sind, ziemlich unbekümmert um die Krokodile, welche hier und da mit dem Aussehen von schlammüberzogenen Holzklötzen am Ufer oder irgend einer Sandbank lagen, und hoch droben in der Luft ließ der Geier bereits seinen schrillen Ruf vernehmen, während der schlanke Falke an ihm vorüberschoß, um ihm seine Beute abzujagen. An den Ufern wechselten Reis- mit anderen Feldern, eine grünende Pflanzung folgte der andern, und über ihnen allen ragten die schwanken, gefiederten Wedel der Palmen empor. Zuweilen sah man einen nackten Fellah in sein ärmliches Boot steigen, um Fische zu fangen, oder es trat ein Fellahmädchen an das Wasser, um den thönernen Krug zu füllen und ihn auf dem Kopfe heimzutragen und dabei einem bronzenen Bilde zu gleichen, dessen Formen der Künstler nicht schöner und plastischer darzustellen vermocht hätte. Dann fuhr man wieder an einem Felde vorüber, dessen Besitzer mit einem Joch Ochsen einen Holzpflug von demselben primitiven Baue regierte, wie die alten Egypter schon vor dreitausend Jahren sich desselben bedienten. Es war eine Scenerie, die jeden Fremden in ihrer streng individuellen Eigenthümlichkeit auf das Höchste interessiren mußte.