Er beobachtete Catherine und dachte: Sie ist viel hübscher, als ich erwartet habe. Das macht alles interessanter. Und sie hat Schmerz erlitten. Das kann ich in ihrem Blick lesen. Ich werde sie lehren, wie exquisit Schmerz sein kann. Wir werden ihn miteinander genießen. Und wenn ich mit ihr fertig bin, schicke ich sie dorthin, wo 's keinen Schmerz mehr gibt. Dann heißt es Himmel oder Hölle für sie. Das wird Spaß machen. Es wird großen Spaß machen.
Catherine zeigte den drei Männern ihre Büros. Als sie nicht mehr benötigt wurde, wollte sie an ihren eigenen Schreibtisch zurückkehren. Auf dem Korridor hörte sie, wie der Franzose den Jungen anbrüllte.
«Das ist die falsche Aktentasche, Dummkopf! Mir gehört die braune. Meine ist braun! Verstehst du kein Englisch?«
«Doch, Sir. Tut mir leid, Sir. «Seine Stimme klang ängstlich.
Ich muß seinetwegen irgendwas unternehmen, dachte Catherine.
Evelyn Kaye sprach Catherine an.»Falls ich dir bei der Betreuung der Leute helfen kann, brauchst du's mir nur zu sagen.«
«Danke, Evelyn. Ich melde mich, wenn ich Hilfe brauche.«
Einige Minuten später ging Atanas Stavitsch an Catherines Büro vorbei. Sie rief ihm zu:»Kommst du bitte einen Augenblick zu mir herein?«
Der Junge starrte sie ängstlich an.»Ja, Ma'am. «Er trat zögernd ein, als fürchte er, ausgepeitscht zu werden.
«Mach bitte die Tür zu.«
«Ja, Ma'am.«
«Setz dich, Atanas. Du heißt doch Atanas, stimmt's?«
«Ja, Ma'am.«
Sie bemühte sich, ihm seine Angst zu nehmen, aber das gelang ihr nicht.»Hier gibt's nichts, wovor du dich fürchten müßtest.«
«Nein, Ma'am.«
Catherine saß dem Jungen gegenüber, musterte ihn und fragte sich, was für schreckliche Erlebnisse ihn so ängstlich gemacht haben konnten. Sie kam zu dem Schluß, daß sie mehr über seine Vergangenheit würde in Erfahrung bringen müssen.
«Atanas, ich möchte, daß du zu mir kommst, falls dir hier jemand Schwierigkeiten macht oder dich schlecht behandelt. Hast du verstanden?«
Er schluckte nervös.»Ja, Ma'am.«
Aber sie fragte sich, ob er den Mut aufbringen würde, damit zu ihr zu kommen. Irgend jemand hatte ihm irgendwann das Rückgrat gebrochen.
«Wir werden darüber später noch mal miteinander reden«, entschied Catherine.
Die Kurzbiographien der drei Delegationsmitglieder zeigten, daß sie in unterschiedlichen Bereichen von Constantin Demiris' weitgespanntem Imperium tätig waren, so daß sie es alle aus eigener Anschauung kannten. Die größten Rätsel gab Catherine der liebenswürdige Italiener Dino Mattusi auf. Er bombardierte sie mit Fragen, deren Antworten er eigentlich hätte kennen müssen, und er schien sich nicht sonderlich für den Geschäftsablauf in London zu interessieren. Tatsächlich interessierte ihn die Firma weniger als Catherines Privatleben.»Sind Sie verheiratet?«fragte Mattusi.
«Nein.«
«Aber Sie sind verheiratet gewesen?«
«Ja.«
«Geschieden?«
Sie wollte dieses Thema beenden.»Ich bin verwitwet.«
Mattusi grinste sie an.»Aber ich möchte wetten, daß Sie einen Freund haben. Sie wissen, was ich meine?«
«Ich weiß, was Sie meinen«, sagte Catherine steif. Und es geht dich nichts an.»Sind Sie verheiratet?«
«Si, si. Ich habe eine Frau und vier wunderschöne Bambini. Alle fünf vermissen mich sehr, wenn ich nicht zu Hause bin.«
«Sie reisen wohl viel, Mr. Mattusi?«
Er wirkte gekränkt.»Dino, Dino. Mr. Mattusi ist mein Vater. Ja, ich bin ziemlich viel auf Reisen. «Er lächelte Catherine an und senkte die Stimme.»Aber manchmal bringt das Reisen auch zusätzliche Vergnügungen. Sie verstehen, was ich meine?«
Catherine erwiderte sein Lächeln.»Nein.«
An diesem Tag verließ Catherine um 12.30 Uhr das Büro, um zu Dr. Hamilton zu fahren. Zu ihrer Überraschung freute sie sich darauf, ihn wiederzusehen. Sie erinnerte sich daran, wie verwirrt sie bei ihrem ersten Besuch gewesen war. Diesmal empfand sie eine gewisse Vorfreude, als sie die Praxis betrat. Die Sprechstundenhilfe war zum Lunch gegangen, und die Tür des Behandlungszimmers stand offen. Alan Hamilton erwartete Catherine.
«Kommen Sie bitte herein«, begrüßte er sie. Mit einer Handbewegung bot er ihr einen Sessel an.
«Nun, haben Sie eine gute Woche gehabt?«
Ist die Woche gut gewesen? Nicht wirklich. Sie war außerstande gewesen, die Gedanken an Kirk Reynolds' Tod aus ihrem Kopf zu verbannen.»So einigermaßen. Ich… ich arbeite ziemlich viel.«
«Das hilft oft. Wie lange arbeiten Sie schon für Constantin Demiris?«
«Vier Monate.«
«Macht Ihnen die Arbeit Spaß?«
«Sie lenkt mich von… von bestimmten Dingen ab. Ich bin Mr. Demiris sehr zu Dank verpflichtet. Ich kann Ihnen nicht sagen, wieviel er für mich getan hat. «Catherine lächelte verlegen.»Aber ich werd's wohl noch tun, nicht wahr?«
Alan Hamilton schüttelte den Kopf.»Sie erzählen mir nur, was Sie mir erzählen wollen.«
Es entstand eine Pause, bis Catherine weitersprach.»Mein Mann hat früher für Mr. Demiris gearbeitet. Er war sein Pilot. Ich…ich habe einen Bootsunfall gehabt und dabei das Gedächtnis verloren. Als es dann zurückkam, hat Mr. Demiris mir diese Stellung angeboten.«
Ich lasse die Angst und die Schmerzen aus. Weil ich mich schäme, ihm zu erzählen, daß mein Mann mich zu ermorden versucht hat? Fürchte ich etwa, er könnte mich dann für weniger attraktiv halten?
«Keinem von uns fällt es leicht, über seine Vergangenheit zu sprechen.«
Catherine sah ihn schweigend an.
«Sie hatten Ihr Gedächtnis verloren, sagen Sie?«
«Ja.«
«Und Sie sind mit einem Boot verunglückt?«
«Ja. «Catherines Lippen wurden steif, als sei sie fest entschlossen, Hamilton möglichst wenig zu erzählen. Ein schrecklicher innerer Konflikt drohte sie zu zerreißen. Sie wollte ihm alles erzählen und sich von ihm helfen lassen. Sie wollte ihm nichts erzählen und in Ruhe gelassen werden.
Alan Hamilton betrachtete sie nachdenklich.»Sind Sie geschieden?«
Durch die Salve eines Erschießungskommandos.»Er ist… Mein Mann ist gestorben.«
«Miss Alexander…«Er zögerte.»Haben Sie etwas dagegen, wenn ich Sie Catherine nenne?«
«Nein.«
«Ich heiße Alan. Catherine, wovor haben Sie Angst?«
Sie erstarrte.»Wie kommen Sie darauf, daß ich Angst habe?«
«Haben Sie denn keine?«
«Nein. «Diesmal war die Pause länger.
Catherine fürchtete sich davor, ihren Verdacht auszusprechen; sie fürchtete sich davor, die Realität ans Tageslicht zu bringen.»Die Menschen um mich herum… scheinen zu sterben.«
Falls Hamilton verblüfft war, ließ er es sich nicht anmerken.»Und Sie glauben, an ihrem Tod schuld zu sein?«
«Ja. Nein. Ich weiß es nicht. Ich bin… ganz durcheinander.«
«Wir fühlen uns oft für Schicksalsschläge verantwortlich, die andere Menschen treffen. Lassen die Eltern sich scheiden, glauben die Kinder, es sei ihre Schuld. Stirbt ein Mensch, den man zum Teufel gewünscht hat, glaubt man sich für seinen Tod verantwortlich. Solche Überzeugungen sind keineswegs ungewöhnlich. Sie… «
«Bei mir steckt mehr dahinter.«
«Wirklich?«Seine abwartende Haltung zeigte, daß er bereit war, ihr zuzuhören.
Ein Wortschwall brach aus ihr heraus.»Mein Mann ist hingerichtet worden — und sein… seine Geliebte auch. Ihre beiden Verteidiger sind ebenfalls umgekommen. Und jetzt…«Ihre Stimme brach.
«Kirk.«
«Und Sie halten sich für alle diese Todesfälle verantwortlich. Das ist eine schreckliche Belastung, nicht wahr?«
«Ich… ich habe das Gefühl, eine Art Unglücksbringerin zu sein. Ich fürchte mich vor einer neuen Beziehung. Ich glaube nicht, daß ich's ertragen könnte, wenn auch er…«