«Ich besorge Ihnen gern eine Karte dafür.«
«Allein würde es keinen besonderen Spaß machen, glaube ich. Hätten Sie heute abend Zeit?«
Catherine zögerte.»Ja. «Sie merkte, daß sie auf seine riesigen, ruhelosen Hände starrte.
«Großartig! Holen Sie mich um neunzehn Uhr im Hotel ab. «Das war ein Befehl. Er machte kehrt und verließ ihr Büro.
Merkwürdig. Er wirkt so freundlich und offen — und trotzdem… Ich hab' mich wieder hochgerappelt.
Das Bild dieser riesigen Pranken ging ihr nicht mehr aus dem Kopf.
Jerry Haley wartete in der Halle des Hotels Savoy auf Catherine. Eine Firmenlimousine mit Chauffeur brachte sie ins Theater.
«London ist eine großartige Stadt«, sagte Haley.»Ich komme jedesmal gern hierher zurück. Sind Sie schon lange hier?«
«Ein paar Monate.«
«Aber Sie kommen ursprünglich aus den Staaten?«
«Ja — aus Chicago.«
«Auch eine wundervolle Stadt. Hab' mich dort schon oft großartig amüsiert.«
Mit Vergewaltigungen?
Das Musical war wunderbar, und die Schauspieler waren ausgezeichnet, aber Catherine konnte sich nicht auf das Spektakel konzentrieren. Jerry Haley trommelte mit den Fingern gegen seinen Sitz, auf seine Schenkel, auf seine Knie. Er war außerstande, seine riesigen Hände ruhig zu halten.
Nach der Vorstellung sah Haley Catherine an und sagte:»Eine herrliche Nacht, nicht wahr? Was halten Sie davon, wenn wir den Wagen wegschicken und einen Spaziergang durch den Hyde Park machen?«
«Tut mir leid, aber ich muß morgen schon sehr früh im Büro sein«, sagte Catherine.»Vielleicht ein andermal.«
Haley betrachtete sie rätselhaft lächelnd.»Gut«, stimmte er zu.»Ich habe reichlich Zeit.«
Yves Renard interessierte sich für Museen.»Die größten Museen der Welt stehen natürlich in Paris«, erklärte der Franzose Catherine.»Sie kennen doch bestimmt den Louvre?«
«Nein«, antwortete Catherine.»Ich bin noch nie in Paris gewesen.«
«Wie schade! Nach Paris sollten Sie unbedingt einmal fahren. «Aber noch während er das sagte, dachte er: Ich weiß, daß sie's nie tun wird.»Ich möchte gern die Londoner Museen besichtigen. Vielleicht könnten wir uns am Samstag ein paar ansehen.«
Catherine hatte vorgehabt, am Samstag einiges an Büroarbeit nachzuholen. Andererseits hatte Constantin Demiris sie gebeten, sich um die Besucher zu kümmern.
«Einverstanden«, sagte sie.»Am Samstag machen wir einen Museenbummel.«
Catherine hatte keine große Lust, einen Tag mit dem Franzosen zu verbringen. Er ist so verbittert. Er benimmt sich, als würde er noch immer unterdrückt.
Der Samstag begann durchaus angenehm. Sie fuhren als erstes zum Britischen Museum, wo sie einen Rundgang durch Säle mit Schätzen aus der Vergangenheit machten. Sie sahen eine Ausfertigung der Magna Charta, eine von Elisabeth I. unterzeichnete Proklamation und Friedensverträge, mit denen vor Jahrhunderten geführte Kriege beendet worden waren.
Irgend etwas an Yves Renard störte Catherine, aber erst als sie schon fast eine Stunde im Museum zugebracht hatten, erkannte sie, was es war.
Sie standen vor einer Vitrine mit einem Schreiben Admiral Nelsons.
«Dies ist eines der interessantesten Ausstellungsstücke dieser Abteilung«, sagte Catherine.»Admiral Nelson hat es unmittelbar vor der Seeschlacht von Trafalgar verfaßt. Wissen Sie, er ist sich nicht sicher gewesen, ob er befugt war…«Und dann merkte sie plötzlich, daß Yves Renard ihr nicht zuhörte. Gleichzeitig wurde ihr etwas anderes klar: Der Franzose hatte die bisher gesehenen
Ausstellungsstücke kaum beachtet. Sie interessierten ihn nicht. Warum hat er mir dann erzählt, er interessiere sich für Museen?
Als nächstes besuchten sie das Victoria &. Albert Museum, wo Yves Renard sich ähnlich verhielt. Diesmal beobachtete Catherine ihn genau. Der Franzose ging von Saal zu Saal und kommentierte die Ausstellungsstücke — aber er war in Gedanken ganz offensichtlich woanders.
Nachdem sie ihren Rundgang beendet hatten, fragte Catherine:»Möchten Sie die Westminster Abbey besichtigen?«- Yves Renard nickte.»Ja, natürlich.«
Sie gingen durch die große Abteikirche und blieben vor den Grabsteinen der dort beigesetzten berühmten Persönlichkeiten — Dichter, Staatsmänner und Könige — stehen.
«Sehen Sie nur«, sagte Catherine,»hier ist Keats bestattet.«
Renard sah zu Boden.»Ah, Keats. «Dann ging er weiter.
Catherine stand sprachlos da und sah ihm nach. Was interessiert ihn eigentlich wirklich? Wozu vergeudet er seinen Tag auf diese Weise?
Auf der Rückfahrt zum Hotel sagte Yves Renard:»Danke, Miss Alexander. Damit haben Sie mir eine große Freude gemacht.«
Er lügt, dachte Catherine.
Aber weshalb?
«In England gibt es einen Ort, der sehr interessant sein soll. Stonehenge. Soviel ich weiß, liegt er auf der Ebene bei Salisbury.«
«Richtig«, bestätigte Catherine.
«Wollen wir nicht gemeinsam hinfahren? Vielleicht nächsten Samstag?«
Catherine fragte sich, ob Stonehenge ihn mehr interessieren würde als die Museen.
«Gern«, sagte sie.
Dino Mattusi war ein Feinschmecker. Er kam mit einem Restaurantführer in Catherines Büro.»Ich habe hier eine Liste der besten Londoner Restaurants. Interessiert?«»Nun, ich… «
«Wunderbar! Ich lade Sie heute abend zum Dinner ins Connaught ein.«
«Heute abend muß ich…«, begann Catherine.»Keine Ausreden! Ich hole Sie um zwanzig Uhr ab. «Catherine zögerte noch.»Gut, meinetwegen. «Mattusi strahlte. »Bene!« Er beugte sich über ihren Schreibtisch.»Viele Dinge machen allein keinen Spaß, nicht wahr?«Was er damit meinte, war unverkennbar. Aber wer so zielstrebig darauf losgeht, dachte Catherine, ist meist in Wirklichkeit ganz harmlos.
Das Dinner im Connaught war köstlich. Sie aßen schottischen Räucherlachs, Roastbeef und Yorkshirepudding.
«Ich finde Sie faszinierend, Catherine«, sagte Dino Mattusi bereits beim Salat.»Ich liebe Amerikanerinnen.«
«Oh? Ihre Frau ist wohl auch Amerikanerin?«fragte Catherine unschuldig.
Mattusi hob die Achseln.»Nein, sie ist Italienerin. Aber sie ist sehr verständnisvoll.«
«Wie angenehm für Sie.«
Er lächelte.»Ja, sehr angenehm.«
Beim Dessert fragte der Italiener:»Fahren Sie gern aufs Land?
Ich habe einen Freund, der mir seinen Wagen leihen will. Ich dachte, wir können am Sonntag einen kleinen Ausflug machen.«
Catherine wollte schon ablehnen, aber dann fiel ihr plötzlich Wim Vandeen ein. Er wirkte immer so einsam. Vielleicht würde er den Ausflug genießen.
«Das wäre bestimmt eine nette Abwechslung«, sagte sie.
«Ich verspreche Ihnen einen interessanten Tag.«
«Könnte ich vielleicht Wim mitbringen?«
Mattusi schüttelte den Kopf.»Der Wagen ist ein Zweisitzer. Ich sage Ihnen noch, wann ich Sie abhole.«
Die Besucher waren ziemlich anspruchsvoll, und Catherine mußte feststellen, daß ihr nur sehr wenig Freizeit blieb. Haley, Renard und Mattusi kamen häufig zu Besprechungen mit Wim Vandeen zusammen, und Catherine beobachtete, wie sich ihre ursprüngliche Einstellung änderte.
«Das schafft er alles ohne Rechner?«staunte Haley.
«Ganz recht.«
«So was hab' ich noch nie erlebt!«
Catherine war von Atanas Stavitsch beeindruckt. Der Junge war bewundernswert fleißig. Er war im Büro, wenn sie morgens zur Arbeit kam, und er war immer noch da, wenn alle längst gegangen waren. Der stets freundliche und zuvorkommende Junge erinnerte Catherine an einen zitternden Welpen. Irgend jemand mußte ihn in der Vergangenheit schrecklich mißhandelt haben.
Sie nahm sich vor, mit Dr. Hamilton über Atanas zu sprechen. Es muß irgendeine Möglichkeit geben, ihm sein Selbstvertrauen zurückzugeben, dachte Catherine. Alan könnte ihm bestimmt helfen.