«Bist du dir eigentlich darüber im klaren, daß der Kleine in dich verknallt ist?«fragte Evelyn Kaye eines Tages.
«Von wem redest du überhaupt?«
«Atanas. Ist dir nicht aufgefallen, wie er dich mit Blicken verschlingt? Er läuft dir nach wie ein Hündchen.«
Catherine lachte.»Ach, das bildest du dir nur ein!«
Aus einem Impuls heraus lud sie den Jungen zum Mittagessen ein.
«In… in einem Restaurant?«
Catherine lächelte.»Ja, natürlich.«
Atanas bekam rote Ohren.»Ich… ich weiß nicht recht, Miss Alexander. «Er blickte an seinen schlechtsitzenden Sachen hinunter.»Sie werden sich mit mir genieren.«
«Ich beurteile Menschen nicht nach ihrer Kleidung«, antwortete Catherine energisch.»Ich lasse uns in einem Restaurant einen Tisch reservieren.«
Sie gingen zusammen ins Lyons Corner House. Als er ihr am Tisch gegenübersaß, schien ihm die luxuriöse Umgebung die Sprache verschlagen zu haben.»In… in solch einem Restaurant bin ich noch nie gewesen. Alles ist so schön!«
Catherine war gerührt.»Ich möchte, daß du dir bestellst, worauf du Lust hast.«
Atanas studierte die Speisekarte und schüttelte den Kopf.»Alles ist viel zu teuer!«
Catherine lächelte.»Mach dir deswegen keine Sorgen. Wir arbeiten beide für einen sehr reichen Mann. Er würde uns bestimmt ein gutes Mittagessen gönnen. «Sie erzählte ihm nicht, daß sie das Essen selbst bezahlen würde.
Der Junge bestellte einen Krabbencocktail, Salat, Kalbsbraten mit Röstkartoffeln und als Nachspeise Schokoladentorte mit Eiskrem.
Catherine sah ihm verblüfft beim Essen zu. Er war so klein und schmächtig.»Wohin tust du das alles?«
«Ich nehme nie zu«, sagte Atanas schüchtern.
«Gefällt dir London, Atanas?«
Er nickte.»Was ich bisher davon gesehen habe, gefällt mir sehr gut.«
«Du hast in Athen als Bürobote gearbeitet?«
Atanas nickte erneut.»Für Mr. Demiris. «In seiner Stimme schwang ein verbitterter Unterton mit.
«Hat's dir dort nicht gefallen?«
«Entschuldigung… vielleicht darf ich das gar nicht sagen, aber ich finde, Mr. Demiris ist kein netter Mann. Ich… ich mag ihn nicht. «Der Junge sah sich hastig um, als fürchte er, belauscht zu werden.»Er… ach, es ist egal.«
Catherine hielt es für besser, dieses Thema nicht weiter zu
verfolgen.»Weshalb hast du dich entschlossen, nach London zu kommen, Atanas?«
Der Junge antwortete so leise, daß sie nicht verstand, was er sagte.
«Wie bitte?«
«Ich möchte Arzt werden.«
Catherine betrachtete ihn neugierig.»Arzt?«
«Ja, Ma'am. Ich weiß, daß das komisch klingt, aber…«Er zögerte und fuhr dann fort:»Meine Familie stammt aus Mazedonien, und man hat mir mein Leben lang davon erzählt, wie die Türken unser Dorf überfallen und Menschen gefoltert und umgebracht haben. Damals hat's keine Ärzte gegeben, die den Verwundeten hätten helfen können. Unser Dorf ist nicht mehr gefährdet, aber auf der ganzen Welt gibt's Kranke und Verletzte. Ich möchte ihnen helfen. «Atanas senkte verlegen den Kopf.»Jetzt denken Sie bestimmt, ich bin verrückt.«
«Nein«, antwortete Catherine ruhig.»Ich finde es wunderbar. Du bist also nach London gekommen, um Medizin zu studieren?«
«Ja, Ma'am. Ich werde tagsüber arbeiten und abends studieren. Ich will Arzt werden.«
Aus seiner Stimme sprach unbeugsame Entschlossenheit. Catherine nickte.»Ich glaube dir, daß du's schaff st. Laß uns später noch einmal darüber reden, ja? Ich habe einen Freund, der dir vielleicht weiterhelfen kann. Und ich weiß ein hübsches Restaurant, in dem wir nächste Woche essen können.«
Um Mitternacht ging in Spyros Lambrous Villa eine Bombe hoch. Sie forderte zwei Todesopfer unter dem Hauspersonal und ließ die Fassade einstürzen. Spyros Lambrou, dessen Schlafzimmer völlig verwüstet wurde, kam nur deshalb mit dem Leben davon, weil seine Frau und er sich spontan dazu entschlossen hatten, entgegen ihrer ursprünglichen Absicht doch zu einem Dinner zu gehen, das der Oberbürgermeister von Athen gab.
Am nächsten Morgen ging in seinem Büro ein kurzer Bekennerbrief mit der Parole» Tod den Kapitalisten «ein. Unterzeichnet war er mit:
Hellenische Revolutionäre Partei.
«Weshalb hat man dich ermorden wollen?«fragte Melina entsetzt.
«Nicht >man<«, stellte Spyros fest.»Dahinter steckt Costa.«
«Das… dafür hast du keine Beweise.«
«Ich brauche keine. Begreifst du noch immer nicht, mit wem du verheiratet bist?«
«Ich… ich weiß nicht, was ich denken soll.«
«Melina, solange dieser Mann lebt, sind wir beide in Gefahr. Er schreckt vor nichts zurück!«
«Kannst du nicht zur Polizei gehen?«
«Du hast es selbst gesagt: Ich habe keine Beweise. Die Polizei würde mich auslachen. «Spyros griff nach ihren Händen.»Ich möchte, daß du dieses Haus verläßt. Bitte! Geh so weit fort wie irgend möglich.«
Melina blieb lange schweigend vor ihm stehen. Als sie endlich sprach, schien sie eine Entscheidung von großer Tragweite getroffen zu haben.»Gut, Spyros, ich tue, was getan werden muß.«
Spyros umarmte sie.»Wunderbar! Und mach dir keine Sorgen, Schatz. Wir finden irgendeine Möglichkeit, ihm das Handwerk zu legen.«
Melina saß den ganzen Nachmittag lang allein in ihrem Schlafzimmer und versuchte zu begreifen, was geschehen war. Ihr Mann meinte es also wirklich ernst mit seiner Drohung, Spyros und sie zu vernichten. Und wenn sie in Lebensgefahr waren, war es auch Catherine Alexander.
Sie soll in London für mich arbeiten.
Ich werde sie warnen, nahm sie sich vor. Aber ich muß noch mehr tun. Ich muß Costa vernichten. Ich muß ihn daran hindern, weitere Menschen ins Unglück zu stürzen. Aber wie! Und dann fiel ihr eine Möglichkeit ein. Natürlich! Das ist das einzige Mittel. Warum bin ich nicht schon früher daraufgekommen?
22
VERTRAULICH!
WORTPROTOKOLL EINER THERAPIESITZUNG MIT CATHERINE DOUGLAS
C.: Tut mir leid, daß ich mich verspätet habe, Alan. Im Büro ist in letzter Minute eine Besprechung angesetzt worden.
A. Kein Problem, Catherine. Ist die Athener Delegation noch immer in London?
C. Ja. Sie… Die drei wollen Ende nächster Woche abreisen.
A. Das klingt erleichtert. Waren sie schwierig?
C. Nicht direkt schwierig, aber ich habe ein… ein merkwürdiges Gefühl bei ihnen.
A. Merkwürdig?
C. Das ist schwer zu erklären. Ich weiß, daß das verrückt klingt, aber… alle drei haben irgend etwas Seltsames an sich.
A.: Haben sie etwas getan, um…?
C.: Nein, aber sie sind mir irgendwie unheimlich. Vergangene Nacht habe ich wieder den Alptraum gehabt.
A.: Den Traum, in dem jemand versucht, Sie zu ertränken?
C.: Ja. Ich habe ihn schon längere Zeit nicht mehr gehabt. Und diesmal war er anders…
A.: In welcher Beziehung?
C.: Er war… realistischer. Und er hat nicht aufgehört, wo er sonst immer aufgehört hat.
A.: Er ist über den Punkt hinausgegangen, wo jemand versucht hat, Sie zu ertränken?
C.: Ja. Sie haben versucht, mich zu ertränken, und dann war ich plötzlich an einem sicheren Ort.
A.: Im Kloster?
C.: Das weiß ich nicht bestimmt. Möglicherweise. Ich befand mich in einem Garten. Ein Mann besuchte mich dort. Soweit ich mich erinnere, habe ich das schon früher geträumt — aber diesmal konnte ich sein Gesicht sehen.
A.: Haben Sie ihn erkannt?
C.: Ja. Es war Constantin Demiris.
A.: In Ihrem Traum haben Sie also…
C.: Alan, es war nicht nur ein Traum! Ich habe mich wirklich daran erinnert. Und mir ist plötzlich eingefallen, daß Constantin Demiris mir meine goldene Anstecknadel geschenkt hat.
A.: Glauben Sie, daß Ihr Unterbewußtsein Ihnen etwas gezeigt hat, das sich tatsächlich ereignet hat? Wissen Sie bestimmt, daß Sie nicht…