Выбрать главу

In den meisten Büchern Remarques stehen Szenen, bei deren Lektüre man den Griff nach der Kehle spürt. Selbst da, wo sich Irrtümer nachweisen lassen, wie in» Zeit zu leben und Zeit zu sterben«, ist über die bodenlose Angst der Ausgelieferten mehr zu finden als in vielen Stücken» hoher «Literatur. Man könnte

Remarque einen ins Europäische übersetzten Hemingway nen nen, wie denn auch Hemingways sozusagen europäischster Ro man»Über den Fluß und in die Wälder «am ehesten einem späten Remarque vergleichbar wäre.

Die Story von der schönen kranken Lilian, die — einem Joachim Ziemssen gleich — aus dem Sanatorium flieht, um im Flachland das Leben zu finden (das sich an der Seite eines Rennfahrers freilich besonders vehement ausnimmt) ist eine Privatgeschichte. An Remarques Brillanz hingen nicht die Gewichte eines tragisch historischen Gesamtschicksals, das in» Ein Funke Leben «zu be wältigen war.

IV

Remarque ist am 25. September 1970 gestorben. Zu seinem 70. Geburtstag interviewte ihn Hans Habe. Remarque, der sich einen unpolitischen Menschen nannte, sagte da:»Das Erfreu lichste ist vielleicht, daß ich mich an nichts Unerfreuliches erin nere. Oder doch. Erfreuliches und Unerfreuliches lagen nahe bei sammen. Kurz nachdem ich in New York eingetrofTen war, er schien eine Kritik von >Im Westen nichts Neues<, die mich mehr als alle anderen Kritiken erfreute. Da schrieb ein Rezensent, nach der Lektüre meines Buches könne man von den Deutschen nicht mehr als >Hunnen< sprechen. Das gehörte damals zum Vokabular. Gleich darauf schien die Weltgeschichte, von Hitler gemacht, dem Kritiker unrecht zu geben. Dem Kritiker und mir. «

Auf die Frage, ob er unter der Verketzerung des Realismus leide, antwortete er:»Man würde heute, besonders in Deutschland, jeden wirklichen Erzähler — von Tolstoj und Dostojewskij bis Dickens und Dumas — als >Unterhaltungsliteratur< abtun. Wir leben in einer Zeit, in der die Erzählung nicht strömt, höchstens noch tröpfelt… Es hat noch nie so viel zu erzählen gegeben. Der Roman ist eine junge Kunstgattung. Wobei es durchaus ver ständlich ist, daß eine absurde Zeit nach absurden Ausdrucks formen sucht. Nur drückt man jetzt in einem Roman aus, was man besser in einem Gedicht ausdrücken sollte. Der Expressio nismus nach dem Ersten Weltkrieg war das gleiche Suchen nach einem neuen Stil. Non-Konformismus ist keine Frage der Form. Es könnte sein, daß man sich heute in der Literatur nur so ab surd ausdrückt, um später sagen zu können, man habe es nicht so gemeint. Was ich von der jungen Literatur kenne, erscheint mir zu vorsichtig, nicht zu unvorsichtig. Die Vorsicht ist immer dem Bösen zugute gekommen. Indes sollte man es den Jungen nicht allzu übel nehmen. Weil sie im Jahre neunzehnhundert fünfundvierzig nur zehn oder fünfzehn Jahre alt waren, glau ben sie, sie seien nicht eingeschüchtert. Aber der Schrecken sitzt ihnen noch in den Gliedern…«

Aus alledem klingt mehr Lebensweisheit als Alterspessimismus. Und nicht einmal Remarques Satz:»Es gibt keine Rückkehr aus dem Exil «mag ganz pessimistisch zu verstehen sein. Das war nur eine Feststellung: man kann nicht einfach zurückkehren, wie wenn nichts gewesen wäre. Und jene andere Rückkehr, nämlich die Rückkehr seiner Bücher in die Hände seiner deutschen Leser: sie ist dem deutschen Schriftsteller Erich Maria Remarque glück licherweise eindeutig, frei und ohne modischen Zwang ge lungen.