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Lachmann hatte einen Komplex, weil er hinkte. Nach seinen Er zählungen war er früher ein mächtiger Schürzenjäger gewesen. Ein SS-Sturm, der davon gehört hatte, hatte ihn in Berlin-Wil mersdorf in sein Sturmlokal gesdileppt, um ihn zu kastrieren, war aber dabei von der Polizei — es war 1934 — gestört wor den. Lachmann hatte nur ein paar Narben und ein viermal ge brochenes Bein davongetragen, das schlecht verheilt war. Seit dem hinkte er und hatte eine Vorliebe für Frauen mit leichten Körperfehlern. Alles war ihm gleich, solange sie dicke, harte

11intern vorwiesen. In Frankreich hatte er seiner Jagdlust unter den schwierigsten Verhältnissen gefrönt. Er behauptete, in Rouen einmal eine Frau gekannt zu haben, die drei Brüste besaß, die dazu noch auf dem Rücken lagen. Die Venus Anadyomene war für ihn dagegen eine traurige Mißbildung gewesen, da die I)ame aus Rouen alles für seine Augen parat gehabt habe, ohne daß er sie umdrehen mußte.»Dazu steinhart!«sagte er schwär- mcrisch.»Heißer Marmor!«

„Du hast dich aber nicht geändert, Kurt“, sagte ich.

„Man ändert sich nie. Man schwört es sich tausendmal. Man lut es sorgsam manchmal, wenn man am Boden liegt. Aber kaum kann man wieder schnaufen, vergißt man es. «Lach mann schnaufte selbst.»Ist das eigentlich heldenhaft oder idio- tisdi?«

Ich bemerkte, daß dicke Schweißtropfen auf seiner faltigen, Krauen Stirn standen.»Heldenhaft«, sagte ich.»In unserer Situa- tion soll man sich nur mit den besten Adjektiven schmücken. Wer seine Seele zu sehr erforscht, stößt ohnehin bald auf ein Sieb, das in die Abwässer dreckiger Kanäle führt.«

„Du bist auch derselbe geblieben. «Lachmann-Merton wischte den Schweiß mit einem zerknüllten Taschentuch fort.»Immer noch die Lust an populärer Philosophie, was?«

„Ich kann’s nicht lassen. Es beruhigt mich.«

I achmann grinste unvermittelt.»Es gibt dir ein Gefühl billiger I Überlegenheit, das ist es.«

„Überlegenheit kann gar nicht billig genug sein.«

I achmann klappte den Mund zu.»Ich soll reden«, seufzte er dann und holte aus der Seitentasche seiner Jacke ein in Seiden- |>apier eingewickeltes Päckchen hervor.»Ein Rosenkranz«, sagte er.»Vom Papst persönlich geweiht. Echt Silber und Elfenbein. C Ilaubst du, das könnte sie weichmachen?«

«Von welchem Papst?«

«Pius! Von wem sonst?«

„Benedikt XV. wäre besser gewesen.«

„Was?«Er sah mich irritiert an.»Der ist doch tot. Warum?«

„Er hätte mehr Überlegenheit gehabt. Tote haben mehr. Und nicht so billige.«

«Ach so! Auch ein Witzbold! Ich hatte das vergessen. Das letzte- mal, als ich dich…«

«Halt!«sagte ich.

«Was?«

«Halt, Kurt. Weiter nichts!«

«Na schön. «Ladimann zögerte einen Augenblick. Dann siegte sein Mitteilungsbedürfnis. Er wickelte ein hellblaues Seiden papier aus.»Ein kleines Stück aus Gethsemane, von den Bäumen am ölberg dort. Original, mit Stempel und schriftlicher Bestäti gung. Wenn sie da nicht weich wird, was?«Er starrte midi fle hentlich an.

«Sicher. Hast du keine Flasche Jordanwasser?«

«Nein, habe ich nicht.«

«Füll eine ab.«

«Was?«

«Füll eine ab. Draußen ist ein Hahn. Tu etwas Staub hinein, da mit es echter aussieht. Niemand kann es kontrollieren. Du hast schon beglaubigte Rosenkränze und ölbaumzweige, da darf Jor danwasser nicht fehlen.«

«Aber doch nicht in einer Wodkaflasche!«

«Warum nicht? Wasch das Etikett ab. Die Flasche sieht sehr orientalisch aus. Deine Puertoricanerin trinkt sicher keinen Wodka. Hödistens Rum.«

«Whisky. Da staunt man, was?«

«Nein.«

Lachmann dachte nach.»Man müßte die Flasche versiegeln, dann sähe sie echter aus. Hast du Siegellack?«

«Was sonst noch? Visa und Pässe? Woher soll ich Siegellack haben?«

«Man hat manchmal die sonderbarsten Sachen bei sich. Ich habe jahrelang eine Kaninchenpfote. «

«Vielleicht hat Melikow welchen.«

«Klar. Er versiegelt doch andauernd Päckchen. Daß ich nicht daran gedacht habe!«

Lachmann hinkte hinaus.

Ich lehnte midi zurüdc. Es war ganz dunkel geworden. Schatten und Gespenster stürzten durch die helle Tür nach draußen in den Abend. In dem Spiegel gegenüber hockte ein fahles Grau, das viTgeblich zu etwas Silber werden wollte. Die Plüschsessel wirk ten violett, und einen Augenblick lang sdiien es mir, als wäre auf ihnen Blut eingetrocknet. Sehr viel Blut. Wo hatte ich das doch «eschen? Das Blut auf Leichen in einem kleinen, grauen Zimmer, hinter dessen Fenstern ein gewaltiger Sonnenuntergang leuchtete, der alles im Zimmer sonderbar farblos machte in einer Mischung aus Grau und Schwarz und diesem dunklen Rot und Violett — alles, bis auf das Gesicht vor dem Fenster, das sich plötzlich ab wandte und von der sterbenden Sonne voll getroffen wurde, eine I liilfte feurig überströmt, die andere im Schatten, und die Stimme, etwas sächsisch gefärbt, überraschend hoch und dünn, die sagte: Weitermachen! Die nächsten!

Idi drehte mich um und knipste das Licht wieder an. Es hatte Jahre gedauert, bevor ich ohne Licht schlafen konnte; und wenn ich sdilafen mußte, war ich aus scheußlichen Träumen aufge-»chrcdu. Noch jetzt schaltete ich nachts das Licht ungern aus, und ich schlief auch nicht gerne allein.

Ich stand auf und ging hinaus. Lachmann stand mit Melikow an der kleinen Theke am Eingang.»Es klappt«, sagte er triumphie rend.»Schau es dir an! Wladimir hat eine russische Münze, damit siegeln wir den Korken zu. Kyrillische Schriftzeichen! Wenn das nicht aussieht, als hätten es die griechischen Väter in einem Kloster am Jordan abgefüllt!«

Ich sah den Siegellack auf den Korken tropfen, hellrot im Licht der Kerze, die auf dem Holz daneben stand. Was ist mit mir los? d.uhte ich. Es ist doch alles vorbei! Ich bin doch gerettet! Da draußen ist das Leben! Gerettet! Aber war ich gerettet? War ich wirklich entkommen? Auch den Schatten?

«Ich gehe noch etwas raus«, sagte ich,»habe den Kopf zu voll von Vokabeln! Muß ihn mir leer schütteln. Servus!«

Melikow hatte seinen Dienst angetreten, als ich zurüdtkam. Er war alles mögliche zu gleicher Zeit, manchmal Tagesportier, manchmal Nachtportier und zwischendurch auch noch Vertreter

für kleinere Aushilfsstellungen. Im Augenblick war er für eine Woche Nachtportier.

«Wo ist Lachmann?«fragte ich.

«Oben bei seiner Angebeteten.«

«Glaubst du, daß er heute Glück haben wird?«

«Nein. Sie wird ihn mit dem Mexikaner zum Essen führen. Er darf bezahlen. War er immer so?«

«Ja. Er hatte nur mehr Glück. Seine Vorliebe fiir Krüppel und Mißgestaltete hat er erst, seitdem er hinkt, behauptet er. Früher sei er normal gewesen. Vielleicht hat er eine so zarte Seele, daß er sich vor schönen Frauen schämen würde. Wer weiß. «

Ich sah einen Schatten durch die Tür kommen. Es war eine schmale, ziemlich große Frau mit einem kleinen Gesicht. Sie war blaß, hatte graue Augen und dunkelblonde Haare, die wirkten, als wären sie gefärbt. Melikow stand auf.»Natascha Petrowna«, sagte er,»seit wann sind Sie zurück?«

«Seit zwei Wochen.«

Ich war aufgestanden. Die Frau war fast so groß wie ich. Sie trug ein enganliegendes Kostüm und schien sehr dünn zu sein. Sie hatte eine hastige Art zu sprechen, und die Stimme war etwas zu laut und irgendwie rauchig.»Einen Wodka?«fragte Melikow,»oder Whisky?«

«Einen Wodka. Aber nur einen Schluck. Ich muß wieder weg. Photographieren.«