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Lowy blickte mich scharf an.»Sie glauben es nicht?«

Ich antwortete nicht.»Lassen Sie dreißig Dollar hier«, sagte er.»Sie können das Stück für eine Woche behalten und es dann zu rückgeben. Wenn Sie es behalten und verkaufen wollen, teilen wir den Profit. Wie ist das?«

«Der Vorschlag eines Halsabschneiders. Aber ich nehme ihn an.«

Ich war meiner Sache nicht sicher, deshalb nahm ich das Angebot an. Ich stellte die Bronze in mein Zimmer im Hotel. Lowy senior hatte mir noch gesagt, sie stamme aus einem Museum in New York, das sie als falsch ausgeschieden habe. Ich blieb an diesem Abend zu Hause. Als es dunkel wurde, machte ich kein Licht an. Ich lag auf dem Bett und schaute die Bronze an, die am Fenster stand. Ich hatte in der Zeit im Museum von Brüssel eines gelernt: daß die Dinge erst sprechen, wenn man sie lange anschaut, und daß die, die sofort sprechen, nie die besten sind. Ich hatte von meinen nächtlichen Wanderungen manchmal kleinere Dinge in die dunkle Besenkammer mitgenommen, um sie zu fühlen. Es waren oft Bronzen dabei, und da das Museum eine gute Sammlung früher chinesischer Stücke besaß, hatte ich mit Erlaubnis meines Beschützers jeweils ein Stück in meine Einsamkeit mit genommen. Ich konnte das machen, da er selbst oft Stücke zum Studium mit nach Hause nahm, und wenn eines fehlte, erklärte er, daß er es bei sich habe. Ich hatte so ein gewisses Gefühl dafür bekommen, wie sich die Patina anfühlt, und da ich außerdem in den Nächten viele Stunden vor den Kästen hockte, wußte ich mich etwas von ihrer Textur, obschon ich die Farbe nie wirklich bei vollem Licht gesehen hatte. Aber so wie ein Blinder ein aus geprägteres Tastgefühl entwickelt, so hatte sich auch bei mir im Lauf der Zeit etwas Ähnliches ausgebildet. Ich traute ihm zwar nicht ganz, aber manchmal war ich doch sicher.

Die bronze hatte sich gut angefühlt im Laden; die Konturen und die Reliefs hatten, obschon sie sehr scharf waren und das viel leicht bei dem Experten des Museums gegen sie gesprochen hatte, nicht den Eindruck gemacht, als wären sie neu. Aber sie waren mich klar, und während ich die Augen schloß und sie lange und sehr langsam betastete, verstärkte sich der Eindruck, daß sie alt waren. Ich hatte eine ähnliche Bronze in Brüssel gekannt, und von ihr hatte man auch erst angenommen, daß sie eine Tang- oder Ming-Kopie sein könnte. Schließlich hatten die Chinesen ja schon in der Han-Zeit, um Christi Geburt, ihre Shang- und Chou-Bronzen kopiert und vergraben. Es war daher schwer, die Patina zu kontrollieren, wenn die Ornamente und der Guß nicht kleine Fehler aufwiesen.

Ich stellte die Bronze auf die Fensterbank zurück. Vom Hof her kam das metallische Geschrei der Küchenhelfer, das Scheppern der Kehrichtkübel und der weiche gutturale Baß des Negers, der sie hinaustrug. Die Tür wurde aufgerissen. Ich erkannte den Umriß des Zimmermädchens im erleuchteten Viereck, und ich sah, wie sie zurückfuhr.»Ein Toter!«

«Unsinn«, sagte ich.»Ich schlafe. Machen Sie die Tür zu. Mein Bett ist schon aufgedeckt.«

«Sie schlafen doch gar nicht! Was ist denn das?«Sie hatte die Bronze erspäht.

«Ein grüner Pißpott«, erwiderte ich.»Was sonst?«

«Was Sie auch immer haben! Aber eines sage ich Ihnen: so was trage ich morgens nicht hinaus! Ich nicht! Tun Sie das selber. Hier sind WCs im Hause.«

«Gut.«

Ich legte mich wieder hin und schlief ein, ohne daß ich es wollte. Als ich aufwachte, war es tiefe Nacht. Es dauerte eine Weile, ehe ich wußte, wo ich war. Dann sah ich die Bronze und glaubte fast, wieder im Museum zu sein. Ich setzte mich auf und atmete tief. Ich bin nicht mehr da, sagte ich unhörbar zu mir selbst, ich bin entkommen, ich bin frei, frei, frei, und das Wort» frei «wieder holte ich in einem primitiven Coue-Rhythmus, ich wiederholte es, hörbar jetzt, aber leise und eindringlich und so lange, bis ich ruhig geworden war. Ich hatte das oft auf der Flucht getan, wenn ich verstört aufgewacht war. Ich sah die Bronze an, die mit einem letzten Glimmen der Farbe das Nachtlicht auffing, und spürte plötzlich, daß sie lebte. Es war jetzt nicht so sehr die Form als die Patina. Die Patina war nicht tot, sie war nicht aufgeklebt und nicht künstlich auf der aufgerauhten Oberfläche mit Säuren her vorgerufen, sie war gewachsen, sehr langsam über die Jahrhunderte, sie kam aus dem Wasser, in dem sie gelegen hatte, aus den Mineralien der Erde, die sich mit ihr verschmolzen hatten, und kam wahrscheinlich — der Streifen eines klaren Blaus, das sie am Fuß zeigte, ließ dies vermuten — aus den Phosphorverbindungen, die vor Hunderten von Jahren durch die Nähe eines Leich nams entstanden waren. Die Patina hatte den schwachen Schim mer, den im Museum die nicht polierten Chou-Bronzen durdi ihre Porosität gezeigt hatten, eine Porosität, die das Licht nicht verschluckte, wie es bei künstlich behandelten Bronzen der Fall ist, sondern es eher ein wenig seidig machte, eher wie grobe Rohseide.

Ich stand auf und setzte mich ans Fenster. Ich biieb sehr lange so sitzen, fast ohne zu atmen, sehr still hingegeben einem Schauen, aus dem ich langsam jeden Gedanken zurückzog.

Ich behielt die Bronze noch zwei Tage, dann ging ich wieder in die Dritte Avenue. Diesmal war der zweite der Brüder Lowy da, der dem ersten glich, der nur etwas eleganter und sentimentaler war — soweit das bei einem Kunsthändler möglich ist.

«Bringen Sie die Bronze zurück?«fragte er und griff nach seiner Brieftasche, um mir die dreißig Dollar zu geben.

«Sie ist echt«, erwiderte ich.

Er sah mich gütig und belustigt an.»Ein Museum hat sie abgestoßen.«

«Ich halte sie für echt. Ich komme, um sie Ihnen zurückzugeben, damit Sie sie verkaufen können.«

«Und Ihr Geld?«

«Das zahlen Sie mir mit der Hälfte des Gewinns aus. So ist es abgemacht.«

Lowy griff in die rechte Tasche, holte einen Zehndollarschein heraus, küßte ihn und steckte ihn in die linke Tasche.»Zu was darf ich Sie einladen?«fragte er.

«Warum? Glauben Sie mir?«sagte ich angenehm berührt. Ich war zu sehr daran gewohnt, daß mir niemand etwas glaubte; weder Polizisten noch Frauen noch Immigrationsinspektoren.»Nein«, erwiderte Lowy junior fröhlich.»Ich habe nur mit meinem Bruder gewettet: fünf Dollar für ihn, daß Sie die Bronze zurückgeben, selbst wenn sie echt ist.«

«Sie sind der Optimist der Familie, scheint mir.«

«Der berufsmäßige Optimist. Mein Bruder ist der berufsmäßige Pessimist. So teilen wir das Risiko in diesen schweren Zeiten. Niemand kann sich mehr erlauben, heute beides in einem zu sein. Wie wäre es mit einem Schwarzen?«

«Sind SieWiener?«

«Ja. Wienerischer Amerikaner. Und Sie?«

«Wahlwiener und Weltbürger.«

«Gut. Trinken wir einen Schwarzen, drüben bei Emma. Die Amerikaner sind ein spartanisches Volk, was Kaffee anlangt. Sie kochen ihn zu Tode, oder bereiten ihn morgens für den ganzen Tag. Sie finden nichts dabei, ihn für Stunden auf Kochplatten heiß zu halten, anstatt ihn neu zu brauen. Emma tut das nicht. Sie ist Tschechin.«

Wir gingen über die brausende Straße. Eine Straßenkehr maschine schleuderte Wassergüsse nach allen Seiten. Ein violetter Lieferwagen für Kinderwindeln überfuhr uns fast. Lowy rettete sich mit einem graziösen Sprung. Ich sah, daß er Lackschuhe trug.»Sind Sie und Ihr Bruder nicht gleichaltrig?«fragte ich.»Zwillinge. Aber wir nennen uns der Kunden wegen Senior und Junior. Mein Bruder ist drei Stunden älter. Das macht ihn auch astrologisch zu einem Zwilling. Ich bin Krebs.«

Eine Woche später kam der Inhaber der Firma Loo & Co. von einer Reise zurück, ein Sachverständiger für chinesische Kunst. Er begriff nicht, warum das Museum die Bronze für falsch gehalten hatte.»Es ist kein großartiges Stück«, erklärte er.»Aber zweifellos eine Chou-Bronze aus der Zeit. Spätes Chou, Über gang zu Han.«

«Was ist sie wert?«fragte Lowy senior.

«Vier- bis fünfhundert Dollar sollte sie bei Parke Bernet auf der Auktion bringen, aber nicht sehr viel mehr. Chinesische Bronzen sind heute billig.«