Noch mehr entsetzte Bonifaz, daß Angriff Feuerklinge weder auf Autoritäten noch auf das Schicksal hörte. Der Rat verschloß vor seinem Fehlverhalten die Augen, denn seine Schwertkunst stand in höchster Blüte. Das war das einzig passende Wort dafür. Angriff Feuerklinge vermochte mit einem Schwert Dinge, von denen man bisher – und auch seitdem – noch nicht einmal zu träumen gewagt hatte. Er und Bonifaz hatten beide beim selben Meister gelernt. Die Bewegungen ihrer Schwerter waren im Grunde gleich, aber in den Händen von Angriff Feuerklinge geschah etwas mit einer Waffe. Es war, als wenn das Schwert seinen eigenen Weg ging, dem Angriff folgte. Etwas Freies, Waghalsiges war in seine Art zu kämpfen eingegangen, und keine von Bonifaz’ altehrwürdigen Regeln und klassischen Bewegungen konnte dem standhalten.
Bonifaz sah neiderfüllt zu und wartete auf eine Zeit und einen Ort, wo er seine Kunst mit der seines Freundes messen konnte.
Seine Chance kam beim Mittsommerturnier im Jahre 323 nach der Umwälzung. Zweihundert Ritter hatten sich in Burg Thelgaard versammelt, und zum ersten Mal standen sich Angriff und Bonifaz beim Wettkampf der Schwertkunst, der stets am zweiten Turniertag stattfand, im Ring gegenüber.
Bisher war es Brauch gewesen, daß immer nur einer der drei großen solamnischen Schwertmeister zu diesem Turnier antrat – ein Jahr Angriff, das nächste Jahr Bonifaz, im dritten Jahr Gunthar Uth Wistan. Das war eine stillschweigende Übereinkunft, um auch den anderen Ritter eine faire Chance zu geben und die zerstörerische Rivalität zu vermeiden, die bei vielen Künsten in den obersten Rängen aufkommt.
Dreidreiundzwanzig war Angriffs Jahr. Auch wenn es so manchen Ritter überraschte oder gar verärgerte, daß Bonifaz sich für das Turnier aufstellen ließ, war er vom Maßstab her dazu ebenso berechtigt wie jeder andere. Deshalb blieb das Murren leise, und obwohl Gunthar Uth Wistan sich beim Festmahl am Vorabend weigerte, mit Bonifaz zu sprechen, war Angriff freundlich und großzügig und scherzte über die Möglichkeit, daß sie sich morgen beim Turnier gegenüberstehen könnten.
Bonifaz blieb still. In dieser Nacht schlief er unruhig, träumte von blitzenden Klingen im Sonnenlicht und erwachte am nächsten Morgen mit schon müden Armen, da er die ganze Nacht in seinen Träumen gekämpft hatte.
Angriff hatte offenbar tief und fest geschlafen – wie ein starker Baum im tiefsten Winter. Er erwachte gut gelaunt, sang ein altes Lied über Breitschwerter und wilde Tiere und lud Bonifaz gleich zum Frühstück in sein Zelt ein. Während des Essens konnte Bonifaz Angriff nicht ansehen. Wenn sein alter Freund nach einem Stück Obst oder Brot griff, erschrak er wie beim plötzlichen Rascheln einer Viper im trockenen Laub, und an diesem Morgen war seine Meditation schal und nutzlos.
Die Arena war so, wie es die Tradition vorschrieb. Der völlig leere, ebene Kreis im Garten hatte zwanzig Fuß Durchmesser. Nur ein riesiger Olivenbaum reckte seine Äste über den Platz. Bis am Nachmittag die Schwerter aufeinandertreffen sollten, war es ein friedlicher, ruhiger Ort, doch für Bonifaz summte es dort erwartungsvoll und unterschwellig drohend wie ein ganzer Bienenstock.
Die ersten Turnierrunden waren freundschaftliche Routine. Hervorragende Schwertkämpfer standen blutigen Anfängern gegenüber, die schließlich dankbar waren, daß die Turnierregeln stumpfe Waffen vorschrieben, die leichten Schwerter der Sommerspiele.
Bonifaz’ erster Gegner erwischte den großen Ritter fast noch im Halbschlaf und erzielte erst einen Punkt, dann noch einen, während sein berühmter Mitstreiter besorgt in die Menge blickte.
War das wegen Angriff Feuerklinge? So wurde gemunkelt. Der ganze Turm war aus dem Häuschen, weil vermutet wurde, daß die beiden am Nachmittag gegeneinander antreten würden. Es wurde spekuliert und gewettet. Würde Angriffs Talent oder Bonifaz’ Regeltreue gewinnen? Würde die ungezügelte Inspiration des Mystikers über die schöne Exaktheit und die geschulte Disziplin des Meisters siegen?
Bonifaz richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf seinen gegenwärtigen Gegner. Mit rascher, fast mathematischer Gründlichkeit streckte er den jungen Mann zu Boden und setzte seinem hilflosen Gegner die abgerundete Schwertspitze an die Kehle. Schwungvoll wandte Bonifaz sich ab, um wieder jeden Gedanken an Angriff Feuerklinge zu verdrängen, als er sich die Pause gönnte, die er nicht brauchte, und den zweiten Gegner dieses Wettstreits erwartete.
Der nächste Kampf hätte schon zehn Minuten eher beginnen sollen, als sich Gunthar Uth Wistan, Fürst Feuerklinges Sekundant, gefolgt von Angriff selbst, durch die murmelnde Menge drängte. Genauso schnell, wie er dann den Kreis erreichte, besiegte Angriff seinen Gegner, den jungen Medoc Inverno von Zerika. Es war ein so schnelles, unerwartetes Manöver, daß es an Verrücktheit grenzte. Anstatt Sir Medocs ersten, linkischen Stoß zu parieren, wich Angriff vor dem heranstürmenden Jungen einfach nach rechts aus, wechselte das Schwert in die linke Hand und entwaffnete Medoc mit derselben, anstrengungslosen Bewegung, mit der er ihn auch zu Fall brachte und stellte.
Dann trat Angriff zurück und salutierte vor seinem Gegner, der mit finsterem Gesicht auf dem Rücken lag. Überwältigt von der Leichtigkeit und Schnelligkeit des Ganzen, mußte Medoc plötzlich lachen.
»Es ist schon selten«, sagte er, »daß ein Ritter später lachend berichten kann, wie er von einem Schwertmeister so gründlich besiegt wurde! Ich habe Euch einen guten Kampf geliefert, Fürst Angriff!«
Angriff lachte mit ihm und beugte sich mit ebenso großzügiger wie respektvoller Geste vor, um dem jungen Ritter hochzuhelfen. Um den ganzen Ring herum erhob sich Gemurmel und höflicher, sprachloser Applaus.
Bonifaz schäumte fast über. Ihm juckte es in den Fingern seiner Schwerthand. Der Mann hatte Eid und Maßstab lange genug lächerlich gemacht, und aus Medocs Lachen zu schließen, war diese Lächerlichkeit wie eine Krankheit, die sich auf die beeindruckten Jungritter übertrug.
Nach der ersten Runde waren noch acht Ritter übrig. Wieder warf man die Lose in den Helm und schüttelte, doch diesmal ging ein enttäuschtes Stöhnen durch die Logen und Balkone, wo die aufgeregten Zuschauer saßen. Denn im nächsten Kampf würden Bonifaz und Angriff gegeneinander antreten. Das war eine Begegnung, die alle gerne aufgeschoben hätten. Diesen spannendsten Kampf hätten sie lieber am Abend gesehen, wenn im Laternenlicht die Glühwürmchen und die Zikaden herauskamen, und dann wäre der beste Schwertkämpfer von Solamnia siegreich aus dem letzten Kampf hervorgegangen. Doch nun würde die spannendste Paarung des Turniers bald vorüber sein, so daß die restlichen Kämpfe überflüssig waren, nur noch ein sanfter Regen nach dem Aufruhr von Donner und Blitz.
Dennoch aber bahnte sich ein Sturm an. Die Luft knisterte, als die beiden Männer sich zum Wettstreit rüsteten – Angriff mit seinem Sekundanten Gunthar Uth Wistan und Bonifaz mit seinem, dem jungen, finsteren Tiberio Uth Matar, dessen Familie zehn Jahre später mit Wappen und allem aus Solamnia verschwunden sein würde. Der Sturm nahte, als die vier Männer in den Kreis traten und die beiden Streiter die Lederhelme und die Leinenhemden des Turniers anlegten.
Das lange, ruhige Vorspiel endete, die Männer stellten sich am Rand des Kreises auf – Angriff und Gunthar ganz nach Osten, Bonifaz und Tiberio nach Westen, und alle warteten regungslos, bis die Trompete erklang, um den Beginn des Zweikampfes zu verkünden.
Angriff sauste wie der Wind durch Licht und Schatten des Kreises. Bonifaz wirbelte wild herum und griff ihn zweimal an, doch Angriff schien überall zu sein, nur nicht im Bereich von Bonifaz’ Schwert. Zweimal trafen sich die Klingen, und beide Male mußte Bonifaz taumelnd zurückweichen und sein Bestes geben, um den darauf folgenden Angriff abzuwehren.