Выбрать главу

Innerhalb von Sekunden wußte Bonifaz, daß er geschlagen war. Er hatte zu lange mit dem Schwert gekämpft, um nicht zu wissen, wann er unterlegen war, wann sein Gegner geschickter, schneller, stärker und waghalsiger war, als er es sich überhaupt vorstellen konnte. Von Anfang an war der Kampf nur eine Frage der Zeit. Wenn Bonifaz sich selbst übertraf und bravourös kämpfte wie nie zuvor, konnte er die Niederlage vielleicht drei oder vier Minuten hinauszögern.

Oh, daß ich mich wenigstens nicht zum Narren mache, schärfte er sich verzweifelt ein. Was auch geschieht, ich will nicht wie ein Narr dastehen! Dann griff er seinen Gegner mit einem letzten, hoffnungslosen Stoß an, wobei er sein Schwert wie eine Lanze führte.

Im nächsten Moment war es, als wären seine heimlichen Gebete erhört worden. Aus irgendeinem Grund – ob aus Übermut oder Fairneß oder einfach aus Gnade, würde Bonifaz nie verstehen – sprang Angriff in die Luft, ergriff einen tiefhängenden Zweig des Olivenbaums und schwang sich geschickt aus dem Weg, um nach einem sauberen Überschlag gut zehn Fuß von seinem vorherigen Platz entfernt zu landen. Ein paar von den jüngeren Rittern applaudierten begeistert, doch auf der Tribüne herrschte größtenteils Schweigen, so verdutzt und überrascht war man.

Doch Bonifaz, der am Rand des Kreises stand, fühlte sich von den Dummheiten seines alten Freundes bloßgestellt.

»Verfahrensfrage an den Rat!« rief er, wobei er sein Schwert zum alten Zeichen des Waffenstillstands hob.

»Stattgegeben, Fürst Bonifaz«, erwiderte Fürst Alfred Merkenin verwirrt, der sich vom rotbeflaggten Balkon, der den Turnierrichtern den besten Blickwinkel bot, zu Bonifaz herunterbeugte. Mitten in einem Turnier eine Verfahrensfrage aufzuwerfen, war gestattet, wenn es auch selten vorkam. Es geschah normalerweise, um eine Verletzung der Regeln der Fairneß zu beanstanden.

So auch hier. Bonifaz kramte rasch in seinem beträchtlichen Erfahrungsschatz nach einem bestimmten Satz, auf den er in seinem jahrelangen Studium des Maßstabs mal gestoßen war, eine Regel des Maßstabs für das Turnier, die besagte…

Natürlich. Stand es nicht im fünfunddreißigsten Band?

»Holt mir doch bitte den… fünfunddreißigsten Band des kodifizierten Maßstabs.«

Stirnrunzelnd schickte Fürst Alfred einen Knappen nach dem Buch. Der Kampf ruhte, während die zuschauenden Ritter wild spekulierten, welche verstaubte Regel Fürst Bonifaz von Nebelhafen wohl aus seinem Gelehrtenärmel ziehen würde. Angriff sprang wieder zu dem Zweig hoch und kletterte in eine knorrige Gabelung des großen Baums, wo er Platz nahm, um die Rückkehr des Knappen zu erwarten.

Das Buch wurde – von zwei Gelehrten in roten Roben begleitet – zum Balkon gebracht. Fürst Stephan nahm das Buch so vorsichtig, als wäre es aus Glas, und reichte es Fürst Alfred, der es auf seinen Schoß legte und Bonifaz erwartungsvoll anschaute.

Bei meinem Eid und dem Maßstab, laß es so dastehen, wie ich mich erinnere, dachte der Kämpfer. Laß es dastehen, ach, laß es dasein, laß es dasein…

»Es gibt«, fing Bonifaz an, »wenn ich mich recht entsinne… einen Absatz im Maßstab für das Turnier…«

Er machte eine Pause, um den umstehenden Rittern vielsagend zuzunicken.

»… der sich am Ende des fünfunddreißigsten Bands des Maßstabs von Solamnia befindet und in den ersten siebzig Seiten des sechsunddreißigsten Bands weitergeführt wird… einen Absatz über den vollständigen Erhalt des Kreises beim Schwertturnier.«

»Das stimmt allerdings«, antwortete einer der Weisen, der zustimmend sein kahles Haupt neigte. »Band fünfunddreißig, Seite zweihundertachtundsiebzig, Absatz sieben, Artikel zwei.«

Fürst Alfred beugte sich über das Buch, um eilig darin zu blättern. Angriff rutschte von der Gabelung herunter, setzte sich mitten in den Kreis und legte den Kopf schief wie ein Falke und hörte aufmerksam zu.

»Im Ring des Schwertes«, las er vor, »ob an Mittsommer oder zur Sonnenwende oder beim Julfest, hat jeder Ritter, der mitten im Wettkampf oder im Gottesurteil den Kreis verläßt, sein Schwert verwirkt.«

Alfred Merkenin sah perplex auf.

»Schon wahr, hier ist vom Kreis die Rede«, gab er zu, »aber ich verstehe nicht, was das hier zu bedeuten hat.«

»Ganz einfach«, erklärte Fürst Bonifaz, der mit neuer Zuversicht zur Kreismitte ging. »Als Fürst Angriff Feuerklinge sich von der Erde entfernt hat, um… um meinem Angriff auszuweichen, hat er sich zugleich aus dem Kreis entfernt, so daß ihm die Strafe des Maßstabs gebührt.«

Seine letzten Worte wurden mit Schweigen aufgenommen. Gunthar Uth Wistan trat verärgert vor, doch Angriff hielt ihn mit halb belustigtem, halb erstauntem Ausdruck zurück.

»Ihr könnt ihn im fairen Kampf nicht besiegen«, murrte Gunthar, »darum schlagt Ihr ihn mit… mit Mathematik

Bonifaz’ Blick wich nicht von Fürst Alfred Merkenin. Schließlich würden er und der Rat nach der Auslegung durch die Weisen über die Sache entscheiden. Alfred starrte jeden der beiden Streiter ein letztes Mal lange an, um dann den roten Vorhang vor den Balkon zu ziehen.

Ihre Entscheidung dauerte keine Stunde. Als der Vorhang aufging, sah Bonifaz die bedrängte Miene von Fürst Stephan Peres. Fürst Bonifaz lächelte, denn er erwartete einen guten Ausgang für sich.

Angriff saß ruhig und abwesend auf dem Boden. Er blickte in das Blätterdach hinauf, durch das die Dämmerung und die ersten Abendsterne zu sehen waren.

»Der Rat ist… geteilter Meinung über diese Sache«, verkündete Alfred den umstehenden Rittern, wobei er einmal tief Luft holte. »Wenn der Rat sich nicht entscheiden kann, sollen nach dem Maßstab des Turniers die Schriftkundigen des Maßstabs, nach Band zwei, Seite siebenunddreißig, Absatz zwei, Artikel drei, das Urteil fällen.«

»Artikel zwei«, stellte der kahle Gelehrte richtig, der ehrfürchtig die Augen schloß.

Alfred seufzte und nickte. Mit resignierter Stimme sagte er: »Artikel zwei des erwähnten Maßstabs von Solamnia…«

»So daß schließlich und endlich«, fuhr der zweite Weise fort, ein kleiner, grauhaariger Mann, dessen dicker Bart über seine rote Robe fiel, »die Akademie von Solamnia zugunsten von Fürst Bonifaz von Nebelhafen entscheidet. Fürst Angriff Feuerklinge soll für den fraglichen Kampf seines Schwertes verlustig sein.«

Er wußte, es war kompliziert und schmeckte nach rechthaberischer Wortklauberei, doch er hatte gewonnen. Fürst Bonifaz verbarg seine Begeisterung und starrte seinen Gegner ernst an. Tiberio Uth Matar war weniger klug. Er fing an, höhnisch zu kichern, und nicht einmal ein kalter Blick von Fürst Alfred persönlich brachte ihn zum Schweigen.

Angriff lächelte und ließ sein Schwert fallen. Tiberio trat in die Kreismitte, wo er getreu dem Maßstab das weggeworfene Schwert aufhob.

Fröhlich kletterte Tiberio selbst auf den Baum, brach einen knapp fußlangen, höchstens fingerdicken Zweig ab, den er Angriff Feuerklinge frech in den Schoß warf.

»Da habt Ihr Euer Schwert, Feuerklinge«, rief er spöttisch. »Der Baum, der Eure Waffe gestohlen hat, sollte Euch eine zurückgeben!«

Bonifaz rief seinen dreisten Sekundanten zur Ordnung, aber Angriff lachte nur. Langsam und selbstsicher stellte sich Fürst Feuerklinge mit dem Olivenzweig in die Mitte des Rings.

»So sei es, Tiberio«, erklärte er ruhig. »Wie ich den Maßstab gehört habe, steht nicht darin, daß der Kampf zu Ende ist. Mein Schwert ist geschlagen, aber ich noch nicht.«

Gelassen drehte er sich zu Fürst Bonifaz um. Tief in seinen dunklen Augen funkelte unendlicher Schabernack.

»Also, Bonano.« Er nannte ihn beim Spitznamen, wie er es seit dem Beginn ihrer Knappenzeit nicht mehr getan hatte. »Bringen wir es zu Ende? Mann gegen Mann und Schwert gegen Zweig?«

»Sei kein Narr, Angriff«, protestierte Bonifaz wütend und drehte sich um, um Ring und Kampf zu verlassen.