Er blinzelte hinter ihnen in den Wald.
»Nutze die Zeit klug«, flüsterte er.
Sturm nickte dankbar und bückte sich, um noch etwas zu trinken. Als er aufsah, war Jack Derry verschwunden. Der Wald hatte den wilden Burschen bereitwillig verschluckt. Weder Zweig noch Blatt noch Grashalm regten sich, um ahnen zu lassen, in welche Richtung er aufgebrochen war.
Sturm stand auf und winkte Mara zu.
»Wir sollten lieber weiterziehen«, drängte er, hob die Elfe in den Sattel und stieg hinter ihr auf. »Bis ins Herz des Waldes ist es gewiß noch ein ganzes Stück, und Jacks Worten nach ist uns halb Dun Ringberg auf den Fersen…«
Er schwieg, als auch jedes andere Geräusch auf der Lichtung verstummte. Das Vogelgezwitscher hörte auf, und der Teich, in den die beiden geschaut hatten, sah plötzlich ruhig und klar aus. Sturm wagte nicht hochzuschauen. Er suchte die Spiegelbilder auf der Wasseroberfläche ab, das weite Blätternetz, das gefilterte Licht.
Drüben auf der anderen Seite des Teichs stand der Baumhirte, der riesige Krieger, der schwer auf seinem gewaltigen Hengst thronte. Langsam und entschlossen hob er seine Keule.
17
Kampf auf der Lichtung
Sturm nahm die Zügel, wendete Luin langsam und schnalzte der verängstigten, kleinen Stute beruhigend zu. Er lenkte sie am Ufer des Teiches entlang, um einen besseren Blick auf den Baumkrieger zu haben, doch seine Augen wurden ständig zum Dickicht jenseits des Riesen hingezogen, wo er einen Pfad suchte, der um diese turmhohe Drohung herumführen konnte. Aber Cyren wählte den schlimmsten Moment, um neuen Mut zu beweisen. Plötzlich steckten sie in einer dieser Situationen, in denen die Ereignisse unwiderruflich außer Kontrolle geraten. Die Spinne sprang mit einem schrillen Geheul aus dem Netz und setzte über die Lichtung, ohne die zehn Augen von dem unerschütterlichen Riesen zu lassen. Auf den Hinterbeinen stapfte Cyren mitten durch den Tümpel, während er die Vorderbeine bei hochgebogenem Rücken drohend erhoben hatte.
Dann kletterte die Spinne das Ufer hoch und glitt wie eine Krabbe seitwärts auf den Riesenkrieger zu. Mara schrie auf und trieb ihr Pony vor, doch Eichel stand felsenfest und sicher am Ufer des Teichs. Der gewaltige Ritter machte derweil nicht viel Federlesens, sondern hob seine Keule zu einer furchtbaren, wilden Drohung. Mit einer schnellen, wegwischenden Bewegung – so gleichgültig wie der Wind oder das plötzliche Umschlagen der Jahreszeiten – landete die Waffe auf dem Rücken der Spinne. Es gab ein Geräusch, als wenn nasse Zweige brächen.
Cyrens Beine knickten unter ihm ein. Betäubt taumelte er von seinem schrecklichen Gegner weg. Seine Beine wackelten unkontrolliert; dünne Webfäden rannen aus seinen pulsierenden Spinndrüsen. Mit einem Aufschrei fuhr er herum, rollte sich vor Qual über den Boden und humpelte dann eilig von der Lichtung.
Mara war augenblicklich aus dem Sattel gesprungen. Während sie über den von Zweigen übersäten Waldboden rannte, sprang sie zwischen Bäumen und Schatten hin und her, immer auf der verzweifelten Suche nach ihrem verwandelten Geliebten. Im Nu waren Spinne und Mädchen verschwunden, und auf der Lichtung herrschte unvermittelt wieder Stille. Einmal oder zweimal hörte man Mara in der Ferne nach Cyren rufen.
Sturm setzte sich wieder in den Sattel. Er zog seine Waffe.
»Wer du bist«, rief er und hob sein Schwert, »interessiert mich nicht mehr. Ebensowenig wie deine Herkunft, dein Land oder deine Absicht.«
Der Ritter auf der anderen Seite des Wassers saß reglos im Sattel.
»Denn jetzt«, fuhr Sturm mit gestiegener Zuversicht fort, »gibt es nichts mehr zu bereden oder nachzudenken. Du hast einen meiner Gefährten verletzt. Und wenn ich auch unsicher war – bei Paladin und bei Huma und bei Vinas Solamnus, jetzt bin ich es nicht mehr! Denn ich weiß wenig vom Wald vom Reisen, aber ich kenne Kodex und Maßstab. Und der Orden der Rose mißt sich an Taten voll Weisheit und Gerechtigkeit. Und ein Ritter der Rose soll dafür sorgen – mit Wort und Tat und Schwert, wenn es dazu kommt –, daß kein Leben verschwendet oder vergeblich geopfert wird.«
Der Riese sagte nichts, sondern stieg langsam und schwerfällig ab. Der Hengst, der von seinem gewaltigen Reiter befreit war, schnaubte und rannte in den Wald davon, als der Krieger wieder mit hocherhobener Keule regungslos stehenblieb. Ganz oben an der Keule glitzerten drei lange, schwarze Dornen bedrohlich im verschleierten Sonnenlicht.
Auch Sturm stieg rasch ab. Er griff über Luins Rücken und warf das schwere Bündel mit Schild und Brustharnisch auf den Waldboden. Unter dem maskierten Blick des Riesen legte er die Rüstung seiner Vorfahren an und watete, etwas gebückt unter dem ungewohnten Gewicht, mit gezogenem Schwert durch das Wasser. Die frisch geschmiedete Klinge glänzte im Licht, und als Sturm aus dem Teich stieg, streckte er die Klinge der Gestalt, die sich über ihm auftürmte, zum uralten solamnischen Salut hin.
Sturm konnte nur noch den Schild heben.
Die Wucht des Keulenschlags ließ den Jungen in die Knie gehen, und einen Augenblick schwanden ihm auch die Sinne. Er glaubte, er wäre im Wirtshaus »Zur letzten Bleibe« und die Augen von Caramon und Raistlin und seiner Mutter würden in den grünen Tiefen der Blätter glitzern. Benommen schüttelte Sturm den Kopf. Im Augenwinkel sah er etwas und riß den Schild wieder hoch, als ihn der zweite Schlag traf.
Mit knirschender, krachender Rüstung rutschte er im Matsch aus, als er unsicher ins Wasser zurückwich. Doch sein Feind blieb genau vor ihm stehen. Er sprach in einer merkwürdigen Sprache, die weniger aus Worten bestand, sondern vielmehr aus dem Seufzen des Windes in den Zweigen und dem knisternden Flüstern trockener Blätter.
»Versagt«, schien der Riese zu sagen. »All die Meilen, all die Jahre, all die Wagnisse in hohler, giftiger Finsternis, und du hast versagt, ja, über deine schlimmsten Befürchtungen hinaus, und wegen dieser Befürchtungen.«
Das Visier seines Helms fiel plötzlich zurück, und unter diesem Visier war kein Gesicht, sondern ein dunkles, konturloses Stück Holz und Eichenrinde. Dann schlängelten sich aus der Halsberge, den Armschienen und den Beinschienen ein Dutzend, dann zwei Dutzend Zweige, die sich teilten und verschlangen und mit peitschenden Bewegungen nach Sturm griffen, während sie rasch weiterwuchsen. Aus dem Rand des Helms, der mit dem schrillen, durchdringenden Geräusch von zerrissenem Metall zersprang, brach eine Baumkrone. Sturm sprang erschrocken zurück und versuchte, im knöcheltiefen Wasser sein Gleichgewicht zu behalten. Der Baum trat vor.
»Du wirst mich nie besiegen«, sagte seine Stimme jetzt deutlich, als der Krieger sich erhob und streckte. Seine Füße verwurzelten schnell in der Erde, doch seine vierzig Arme streckten und bewegten sich. »Du wirst mich nie besiegen, denn zu mir kommt das Schwert zu seinem letzten Kampf.«
Grausam, fast höhnisch, stieß das Ding in die Mitte von Sturms Schild mit seiner Keule und zwang ihn weiter rückwärts. Sturms Knochen krachten, als es wieder und wieder zustieß. Der rückwärts stolpernde Sturm merkte, wie das Wasser schon bis zu seinen Knien reichte. Das Ding redete, babbelte weiter auf ihn ein, doch die Worte und schließlich auch die Silben gingen im Wasser und in Sturms panischer Angst unter.
Mit zögerlichen, kurzen Bewegungen stieß der verschreckte Sturm mit dem Schwert zu. Der erste Stoß traf die Rüstung des Monsters und prallte ab; den nächsten und übernächsten parierte das Ding mit einem beiläufigen Schlag seiner Keule.
»Löst du alles mit Schwert und Lanze?« höhnte das Eichenwesen, das die Keule über seinem Kopf schwang. Sturm sah betäubt vor Furcht zu, wie die gewaltige Waffe im Waldlicht verschwamm und mit dem Schwirren von tausend Zikaden oder hunderttausend Bienen durch die Luft sauste.
Verzweifelt krabbelte Sturm aus dem Wasser und stürmte wieder vor, diesmal noch waghalsiger und gegen alle Regeln. Unter der wirbelnden Bewegung der Keule hindurch stach seine Klinge durch den Brustpanzer und ins Herz des Baums. Sofort schrie das Wesen auf, als wäre es getroffen. Sein Schrei klang wie brechende Äste, und die Keule krachte blitzschnell auf das Armloch des Brustpanzers hinunter, traf heftig auf Muskeln, Fleisch und Knochen und ließ Sturms Schwert ins Unterholz fliegen.