»Denn du mußt wissen«, erläuterte Cyren, dessen Atem flacher wurde und dem die Haare naß und stumpf am Kopf klebten, »der Zauberer hat mir diese Gestalt verliehen, um dich zu ihm zu locken. Er dachte, du würdest… dich ihm ausliefern, um mich zu befreien, und dann… nun, dann sollte ich eine Spinne bleiben und du…«
»… bei meinem Mann Calotte oder für immer aus meinem Volk ausgestoßen, um einsam und verlassen in Wildnis und Öde umherzuziehen«, schloß Mara schwach, denn sie erinnerte sich an die strengen Worte des Gesetzes der Qualinesti über das anständige Benehmen von Jungfrauen. »Aber wieso hat er eine Spinne in dich verwandelt? Wieso nicht… sich selbst eine schönere Gestalt verliehen, so daß trotz seines schwarzen Herzens das Auge eines Mädchens… auf ihn fallen könnte?«
»Er wollte dich, Mara. Und er wollte, daß du zum alten, häßlichen Calotte kommst, obwohl du genau wußtest, wer vor dir stand.«
»So ein Plan kann nur aus dem Abgrund stammen!« murmelte Mara, deren Trauer langsam zu Wut wurde.
»Und doch… brachte es mir eine Welt voll Licht und Gemeinschaft, die nicht mehr am Rand des Netzes aufhörte, und eine Weile gab es für mich plötzlich Tage und Jahreszeiten und Worte.«
Cyren lächelte bei dem Gedanken daran, doch seine Augen schienen sich auf einen fernen Punkt zu richten. Seine Stimme wurde schwach, die Worte kamen nur noch mühsam.
Cyren sah sie mit überwältigender Zärtlichkeit an, und einen Augenblick erinnerte sich das Elfenmädchen an die grünen Boote und die Nachrichten auf dem Thon-Thalas.
»Tut… tut es sehr weh, Cyren?« fragte sie und begegnete seinem goldenen Blick. Und so hielt sie ihn, als sein Blick fern und glasig wurde, als seine Mandelaugen rund, lidlos und geteilt wurden, als er im Sterben die Gestalt annahm, die ihm eigen war. Sie blieb in der schattigen Lichtung bei einer zusammengesunkenen Spinne sitzen, und ihre Gedanken schwankten zwischen Staunen und Leid.
18
Von Licht und Schatten
Die beiden saßen auf ihren Pferden und überblickten die Vingaardfurt.
Die Furt acht Meilen südlich von Burg Vingaard war der meistbenutzte Weg vom Westen Solamnias in den Osten. Die alten Karawanenwege kreuzten den Fluß an dieser steinigen Stelle, und in den ältesten solamnischen Lehren zu Geographie und Überlebenskunst hieß es, daß alle Wege in die Berge, Schlösser und Türme, die die alte Region schützten, stets hier über den Fluß geführt hatten.
Das war ein veralteter Lehrsatz. Es gab ein Dutzend Übergänge über den Vingaard, manche davon verborgen, manche vom Maßstab verboten, aus Gründen, die tief im Zeitalter der Macht verborgen lagen. Dennoch überquerten die Händler aus Kalaman, Nordmaar und Sanction den Fluß immer noch an der Vingaardfurt, wo die Wachen der Burg sie vor Räubern und Schlimmerem bewahrten.
Doch die Wachen mußten einen Augenblick zur Seite gesehen haben, oder der Nebel, der aus dem Fluß hochzog, mußte gemeinsam mit der besonderen Finsternis dieser mondlosen Nacht jede Sicht von den Burgtürmen unmöglich gemacht haben, denn die beiden ritten unbemerkt zu den Ufern der Furt. Die Hufe ihrer Pferde hörte man nur gedämpft, weil sie in Stofffetzen eingewickelt waren.
Der kleinere Mann beugte sich im Sattel nach vorn und nieste, denn er war das lange Reiten und die feuchte Nachtluft nicht gewohnt.
»Pst!« warnte der Größere, der nach den Zügeln seines Gefährten griff. »Mit soviel Getöse lenkst du noch einen Pfeilregen auf uns herunter, Derek Kronenhüter!«
»Ich verstehe das alles nicht, Sir«, flüsterte Derek. »Heimliche Missionen mitten in einer kalten Nacht ganz im Osten, bei unserer Abreise wird allen Dienstboten Stillschweigen befohlen, und du bedrohst mich von den Flügeln des Habbakuk bis hier, als würden wir in die Schlacht ziehen.«
»Was wir vielleicht auch tun«, erwiderte Bonifaz, der seine Kapuze zurückwarf. »Was wir vielleicht auch weit über deine Vorstellungen hinaus tun.«
Er war blasser und tat geheimnisvoller, als Derek es je zuvor bei ihm gesehen hatte. Die Blicke seiner kleinen Augen wirkten gehetzt und berechnend.
Am besten gar nicht drüber streiten, dachte der Junge, aber er blieb dennoch beim Thema.
»Du hast selbst gesagt, er wäre im Finsterwald, Onkel. Er verfault in einer Druidenzelle, hast du gesagt. Und wenn sie ihn nicht mehr einsperren wollen, dann – «
»Ich weiß, was ich gesagt habe!« fauchte Bonifaz. Er richtete sich im Sattel auf und beugte sich vor. Sein Atem stank nach Wein und etwas beängstigend Animalischem.
»Aber das reicht nicht, Derek!« flüsterte er. »Wir müssen sichergehen. Falls er doch entkommt – durch den verrücktesten Zufall oder durch eine verborgene Gabe, die erst jetzt, unter Lebensgefahr, durchbricht… nun, dann müssen wir den Weg für ihn… vorbereitet haben.«
»Diese Straße war schon vor vierzehn Tagen vorbereitet«, protestierte Derek, obwohl er wußte, daß seine Worte unbeantwortet bleiben würden.
Bonifaz strich sich unruhig die Haare zurück.
»Aber vierzehn Tage sind wie ein Jahr für das Gedächtnis von… von denen, die wir angestellt haben«, erklärte Bonifaz mit hoher, etwas zu lauter Stimme.
Derek lehnte sich stirnrunzelnd zurück und durchforschte den Nebel nach Spuren der Söldner. So war es seit heute früh gegangen, als Bonifaz ihn im Stall erwischt hatte.
»Sattle zwei Pferde«, hatte der Ritter mit kalten, gehetzten Augen geknurrt und den Jungen an der Schulter festgehalten.
»Ja… jawohl, Sir«, hatte Derek erwidert und sofort damit angefangen. Schweigend hatte er die Pferde gesattelt, weil er instinktiv wußte, daß er auf keine seiner Fragen eine Antwort bekommen würde, bis sie unterwegs wären, zu dem Ziel, das Bonifaz sich in seinen fiebrigen Plänen vorstellte.
Die Tore des Turms hatten sich hinter ihnen geschlossen, und sie waren schon mitten im Verkhus-Hügelland gewesen, als Fürst Bonifaz ihm dieses Ziel verraten hatte. Selbst da hatte er nur das Wort »Vingaardfurt« erwähnt. Der Rest war Schreien und Antreiben und Fluchen gewesen, während sie eilig durch das nasse Gras und die ungewöhnlich kalte Luft über die Ebene geritten waren, von der sich hinter ihnen Nebel erhoben hatte, bis der Turm in den Bergen nicht mehr zu sehen gewesen war.
Derek zitterte. Bis zum Frühling war es wirklich noch lange hin, ganz gleich, was der Kalender über den Zeitpunkt seines Anfangs sagte. Als nächstes wäre er von unfreundlichen Gedanken in Murren verfallen, wenn er nicht am Flußufer eine Bewegung bemerkt hätte.
»Da drüben, Sir!« flüsterte er, während er dorthin zeigte, wo die Schatten sich aus dem dichten Nebel über dem Fluß lösten. Drei gedrungene Gestalten mit Kapuze näherten sich geduckt. Wie knorrige, verkrüppelte Geister glitten sie schnell das Ufer hoch.
Bonifaz holte tief Luft. Instinktiv griff er nach dem Schwert, während sein Pferd nervös tänzelte.
Das gefällt mir nicht, dachte Derek.
Bonifaz hob die Hand, und der eine der Ankömmlinge – der Große in der Mitte – hob zur Antwort die eigene. Die anderen beiden blieben im Nebel zurück, wodurch sie kaum mehr zu sehen waren.
»Fürst Tückjäger, nicht wahr?« sagte der vordere. Es lag etwas Trockenes in seiner Stimme, das auf Jahrhunderte zwischen Steinen und Hitze hindeutete. In dieser Umgebung schien das fehl am Platz, und Derek schreckte instinktiv davor zurück, während er an den Zügeln zerrte, um sein entsetztes Pferd davon abzuhalten, vor lauter Schrecken durchzugehen.
Bonifaz blieb ruhig. »Tückjäger« war offenbar der Name, den er für sich gewählt hatte.
»Nicht so laut«, flüsterte er. »Ihr seid in Feindesland.«
Der Assassine – denn das war er, obwohl Bonifaz freundlichere Worte für die Sache benutzt hatte – lachte leise und grausam.
»Sind wir nicht in Solamnia?« fragte er. »Und seid Ihr nicht… mein Freund?«