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Jack kletterte lächelnd auf den Kutschbock des Karrens, ließ seine Sorgen am schweren Fuß der Eiche zurück und begann zu singen. Er hatte wirklich einen schönen Tenor. Der Karren setzte sich in Bewegung, Jack hielt die Zügel, und die Dryaden, die auf den Hälsen der Pferde saßen, stimmten süß und leise mit ein.

Jack Derry sang, und sein Vater begleitete ihn. Seine Flöte blitzte über die Noten und die Pausen zwischen den Noten hinweg. Wäre Mara dabeigewesen, so hätte sie an der ausgefeilten Technik, mit der er die Pausen der Musik und zwischen den Worten ausfüllte, sofort als die Magie erkannt, die darin steckte. Der Wagen verließ die Lichtung, das Blätterdach schloß sich darüber, und bald lagen Lichtung und Teich still da. Nur in der Ferne hörte man noch das leise Singen und den hellen und heimlichen Klang der Flöte.

In einer der Pausen zwischen den Zeilen löste sich Sturms Schwert aus dem Baum und fiel auf die Erde. Die Wunde, die es dem Holz geschlagen hatte, heilte augenblicklich, und aus allen Zweigen sprossen neue Blätter hervor. Als die Musik wieder anhob, diesmal nur schwach und kaum noch hörbar, wurden zwei Knoten am Stamm erst dunkel, dann feucht, dann glitzerten sie, als der Baumhirte erwachte und seine uralten Augen aufschlug.

19

Der Traum der Lerche

Sturm dämmerte halbwach vor sich hin, als der Karren tiefer in den Wald fuhr. Wenn er die Augen aufschlug, sah er ein dunkelgrünes Blätterdach und glaubte, es wäre Nacht. Er mußte den Tag verschlafen haben.

Aber wohin fuhr er? Und von wo? Er konnte sich nur noch vage an die Ereignisse des Morgens erinnern – irgend etwas mit einem laufenden Baum, einem bewaffneten Gegner. Auch an Vertumnus erinnerte er sich, und es tauchte immer wieder ein unklares Bild um ihn auf, wie Jack Derry auf einem Streitwagen aus Weidenholz auf eine Lichtung gefahren war.

Umwölkt von Grün und Fieber, döste er wieder ein. Seinen Schlaf störten nur irgendwelche Liedfetzen, ein fernes Lied ohne Echo, gedämpft, als käme es aus dem Inneren einer Lampe oder einer Flasche.

Mit geschlossenen Augen lauschte er einen kurzen Moment. Rastlos lief der Schatten einer kupferroten Spinne vor seinem inneren Auge herum, wie ein Bild, das einer Lichtflut folgt. Er dachte an Cyren, dann an Mara, doch die Gedanken versanken wieder in Finsternis und Schlaf, und der Nachmittag war von Träumen erfüllt, an die er sich nie erinnern würde.

Plötzlich war das Bett im Karren von Licht überströmt. Sturm blinzelte, holte erschrocken Luft, versuchte, sich aufzusetzen, und kippte gelähmt vom Fieber wieder um. Starke Hände machten sich an ihm zu schaffen, dessen war er sich sicher, und das Licht über ihm wurde schneller, wie es so durch die Blätter und Nadeln fiel, und die Luft war augenblicklich frisch und voller Pinienduft.

Einmal vermeinte er, Jack Derry über sich stehen zu sehen, aber die Luft war so grün und grell, daß er sich nicht sicher war. Zweimal hörte er Gesprächsfetzen, die von den Dryaden stammen mußten, denn die Stimmen waren hoch, rein und musikalisch wie der Klang von gläsernen Windpfeifen.

»Stirbt er?« fragte die eine, und »Ach, was«, antwortete die andere.

Dann erschrak er und versuchte vergeblich, sich zu bewegen. Denn wer sich über ihn beugte, war die Druidin Ragnell, die nach Kräutern und Torf roch. Ihr runzliges Gesicht war ein einziges Rätsel.

Sie haben mich nach Dun Ringberg zurückgebracht, dachte Sturm, dessen Angst und Zorn mit dem Fieber stiegen. Aber das Gesicht über ihm verschwamm, als wenn es von aufgestörtem Wasser gespiegelt wurde, und als es wieder klar wurde, war es schön und dunkel und grünäugig, das Gesicht einer höchstens vierzigjährigen Frau, deren schwarzes Haar von einem glänzenden Stechpalmenkranz gekrönt war.

Sturm sah in den Tiefen ihrer Augen die Lady Ilys, aber es war nicht Ilys. Trotz seines Fiebers wußte er das genau. »Laßt uns anfangen«, flüsterte sie, und hinter ihr begann ein ganzer Vogelschwarm zu singen.

Der ruhige Teich vor Sturm kräuselte sich von einem Windhauch, und der Baum öffnete sich um ihn herum, um eine Art rustikalen Stuhl anzubieten, damit er ruhig und ungestört schlafen konnte.

Schwatzend, die dünnen Röcke über die Knie hochgehoben, tanzten die Nymphen in den Wald hinein und ließen den verwundeten Solamnier mit den anderen dreien zurück. Ob Lady Hollis’ Heilkünste erfolgreich sein oder fehlschlagen würden, war ihnen gleichgültig, nachdem das großartige Schauspiel des Zweikampfes zwischen Ritter und Baumriese seinen spektakulären Schluß gefunden hatte.

Und sie haßten Lady Hollis, die verschrumpelte, alte Druidin, die drüben in Dun Ringberg unter dem Namen Ragnell bekannt war und die nach ihren Angriffen auf solamnische Schlösser vor gut sechs Jahren eine kleine Berühmtheit geworden war. Aus unerfindlichen Gründen hatte der Herr der Wildnis sie als Braut erwählt.

Diona, die nie so recht glauben konnte, wie dumm die Menschen waren, drehte sich noch einmal um, bevor Vertumnus hinter einem Dickicht blauer Ewigkeitsbäume überhaupt nicht mehr zu sehen war. Sie legte die Hand an ein kleines Bäumchen, teilte die Zweige und spähte auf die Lichtung. Einen Augenblick glaubte sie besorgt, daß die Druidin unglaublich jung aussah, daß ihre Haare schwarz und ihr Rücken geschmeidig und gerade war.

Evanthe rief nach ihr, so daß die kleinere Nymphe anmutig kehrtmachte und in den Wald lief. Die Zweige des Ewigkeitsbaums, die sie berührt hatte, waren plötzlich über und über mit weißgoldenen Blüten bedeckt.

Natürlich sahen weder Vertumnus noch Jack Derry, die in der Lichtung neben der Druidin standen, wie alt die Frau war, die anmutig neben dem verwundeten Jungen kniete. Ihre makellosen Züge waren besorgt verzogen.

»Kannst du ihn retten, Mutter?« fragte Jack Derry, worauf die Frau ihn ansah.

»Es war richtig, daß du ihn so schnell zu mir gebracht hast«, stellte sie fest. »Du hast deine Sache gut gemacht, mein Sohn. Jetzt sind dein Vater und ich an der Reihe.«

»Du hast durch den Blitz also Frieden gefunden?« fragte Jack, dessen Stimme vor Sorge zitterte.

»Es gibt Zeiten«, entgegnete die Druidin, »wo das Gesetz sich dem Mut und dem Herzen beugt. Der Baumhirte wird heilen, und das Gesetz wird überleben.«

Sie lächelte Jack zu und widmete sich wieder Sturm. Jetzt breitete sie die Arme über ihm aus, so daß ihr Mantel ihn ganz umgab. »Bringt erst die Eule her«, flüsterte sie.

Der Vogel zwinkerte, hüpfte Vertumnus von der Schulter, breitete die Flügel aus und glitt lautlos durch die Lichtung, um in den Zweigen über dem Bewußtlosen Platz zu nehmen.

»Jetzt«, hauchte Hollis. Vertumnus hob die Flöte an die Lippen. Zuerst vorsichtig, dann immer spielerischer und frecher begleitete er das Lied der Eule mit einer eigenen Melodie. In den Pausen tanzten seine Finger nur so über das Instrument. Hollis hob dem Schlafenden eine schwammige, gelbe Masse aus Flechten an die Nase, und über Vertumnus formte sich ein seltsamer Wirbel aus Nebel und Licht in der Luft zu einem blauen Zeichen für Unendlichkeit, als der erste der drei Träume zu Sturm kam und die Heilung begann.

Er träumte, er läge in den nebelverhangenen Zweigen einer Eiche.

Sturm holte tief Luft und runzelte die Stirn. Er sah sich nach Vertumnus um, nach Ragnell oder Mara oder Jack Derry. Aber er war allein, und selbst von seinem luftigen Aussichtspunkt gute vierzig Fuß über dem Waldboden sah er nichts als Grün und Nebel.

Er war in Grün gewandet, in eine aus Gras und Blättern gewebte Tunika.

Irgendwie wußte er, daß dies nicht der Finsterwald war.

»Und außerdem«, flüsterte er, »weiß ich irgendwie, daß ich gar nicht wach bin.«

Rasch sprach er das Elfte und das Zwölfte Gebet, um vor Hinterhalten im Land der Träume geschützt zu sein, und kletterte vorsichtig vom Baum. Auf halbem Wege, an einem schwierigen Stück, hängte er sich an einen dicken, festen Ast und ließ dann – im Vertrauen auf die merkwürdige körperliche Sicherheit im Traum – einfach los.