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Er hatte recht. Von einem warmen Wind getragen, sank er auf das trockene Gras und die Tannennadeln, als wäre er in Wasser eingesunken. Zu seinem Erstaunen trug er wieder seine geerbte Rüstung, Schild und Schwert.

»Was ist denn das für eine Lektion?« fragte er laut. Denn die alten Philosophen meinten, daß Träume Fragen beantworteten. Schnell sah Sturm sich nach Omen um, nach dem Eisvogel, der eine Erhebung in den Orden bedeutet, nach Schwert oder Krone.

»Grün«, befand er und setzte sich schwerfällig an einen Eichenstamm. »Nichts als Grün über Grün und immer nur Grün.«

Er stützte sein Kinn in die Hände, worauf urplötzlich ein Pferd hinter einem dicken Wacholderstrauch wieherte. Hellwach, das Schwert gegen mögliche Monster und Feinde und alle Traumdiebe erhoben, jagte Sturm wie der Wind dem Geräusch entgegen… und die Zweige glitten an ihm vorbei und durch ihn hindurch, ohne daß er etwas spürte.

Er stand am Rand einer Lichtung unter großen, behauenen Felsentürmen. Die Mauern um die einschüchternden, schwarzen Steingebilde formten ein gleichseitiges Dreieck, in dem an jeder Ecke ein kleiner Turm wie ein drohender, schwarzer Bienenstock herausragte.

»Wayreth!« flüsterte Sturm rauh. »Die Türme der Erzmagier!« Es stand geschrieben, daß nur Eingeladene zu ihnen vordringen konnten.

»Aber warum?« fragte Sturm. »Was soll ich im Zaubererland?«

Da hörte er die Stimmen, sah Caramon und Raistlin aus den Bäumen reiten und unsicher vor den Türmen halten. Ihre braunen Pferde tänzelten nervös. Sie waren so weit weg, daß er sie weder verstehen noch ihre Gesichter sehen konnte. Aber eine leise, tiefe Stimme raunte Sturm etwas zu, als würde ihm ein altes Minnelied, eine Sage oder ein Märchen vorgelesen.

Er fuhr herum und sah den Herrn der Wildnis, der zurück auf die Türme und die Zwillinge deutete und mit der Geschichte fortfuhr.

»Die legendären Türme der Erzmagier«, sagte Raistlin und musterte sie ehrfürchtig.

Die drei hohen Steintürme glichen Skelettfingern, die sich aus einem Grab emporstreckten.

Vorsichtig und widerstrebend wandte sich Sturm wieder der Traumszene zu, die sich zu Vertumnus’ Erzählung auftat. Während der Herr der Wildnis sprach, sah Sturm Caramon und Raistlin zu den Worten des grünen Mannes den Mund bewegen.

»Wir können immer noch umkehren«, krächzte Caramon mit heiserer Stimme.

Raistlin sah seinen Bruder erstaunt an.

Raistlin drehte sich zu Caramon um. Sturm schüttelte heftig den Kopf, um ihn irgendwie von Spinnweben und Träumen und dunklen Einflüsterungen zu befreien.

Zum ersten Mal, seit er sich erinnern konnte, fuhr Vertumnus fort, erlebte Raistlin, daß Caramon Angst hatte. Der junge Zauberer empfand eine ungewöhnliche Gefühlsregung – Wärme breitete sich in ihm aus. Er streckte seine Hand aus und legte sie auf den bebenden Arm seines Bruders. »Hab keine Angst«, sagte Raistlin. »Ich bin bei dir.«

Caramon sah Raistlin an und lachte nervös auf. Dann spornte er sein Pferd wieder an.

Wie durch die Worte gelenkt, drehten sich Caramon und Raistlin automatisch um und redeten, und als Vertumnus weitersprach, ging Raistlin hinein und verschwand. Den zitternden Caramon ließ er am Tor des Turms zurück.

Sturms Herz fühlte mit Caramon, der allein am Rand des Mysteriums wartete. Ohne den Zwilling lag die Hälfte des großen Kriegers im Schatten begraben.

»Er… er ist wie eine fadenscheinige Flagge!« flüsterte Sturm, und neben ihm nahm Vertumnus das Erzählen wieder auf. Irgendwann trat Raistlin aus dem Turm in das Traumlicht, und Caramon stand auf, um ihn zu begrüßen. Das war nicht mehr Raistlin, sondern ein verrenkter, gebrochener Mann, der seine Hand hob, mit den Daumen auf seinen sich nähernden Bruder zeigte… und…

Die Magie jagte durch seinen Körper und flammte aus seinen Händen hervor. Er beobachtete, wie das Feuer flackerte, wie es einen Ring bildete und Caramon einzingelte.

Sturm schrie auf und bedeckte seine Augen. Das konnte nicht sein! Das konnte auch keine Prophezeiung sein! Raistlin und Caramon waren in Solace. Niemand würde sie nach Wayreth schicken, wenn Wayreth sie überhaupt aufnehmen würde.

Und Raistlin. Raistlin würde doch nie…

Vertumnus legte ihm die Hand auf die Schulter.

»Keine Angst, Sturm«, flüsterte Vertumnus, als er Sturms Arm ergriff. »Ich bin bei dir. Versteck dich nicht vor mir.«

Sturm wollte sich losreißen, doch der Herr der Wildnis hielt ihn nur noch fester.

»Verstehst du, Sturm?« flüsterte Vertumnus, dessen Atem nach Zedernholz roch. »Verstehst du jetzt?«

Dann merkte Sturm, wie er sich hob. Die Zweige teilten sich vor seinem Flug, und plötzlich trug ihn eine frische, kühle Brise in den Herbsthimmel, wo über ihm das blaue Zeichen für Unendlichkeit funkelte, bis er in einen kurzen, traumlosen Schlummer fiel.»Jetzt schicken wir ihm den zweiten Traum«, drängte Hollis, die sich die schwarzen Haare aus dem dunklen Gesicht strich. »Denn jetzt wird der Junge leben. Da bin ich sicher. Er hat sich aus dem Dickicht des Todes erhoben, und jetzt wird er leben. Die Raben werden entscheiden, wie.«

Die Raben waren während des ersten Lieds und Traums leise krächzend über ihnen gekreist. Jetzt saßen die drei Vögel vieldeutig auf den Zweigen eines riesigen Vallenholzbaums. Sie waren so groß wie kleine Hunde und krächzten ihr Lied so trocken, als würden sie es am liebsten überhaupt nicht singen. Hollis legte dem Jungen ein anderes Heilkraut, diesmal eine graue Lotusblume, an die Lippen, und bei der Berührung und dem Geschmack erschauerte er. Einen Augenblick schien es, als würde eine gehörnte Streitaxt über Sturm schweben, die unbarmherzig auf Schuldige wie Unschuldige herniederfahren würde. In diesem bedrohlichen Licht ließ sich Sturm zum Lied der Raben vom zweiten Traum gefangennehmen.

Diesmal war er im Turm des Oberklerikers auf den Zinnen und blickte auf den Hof.

Sturm schwebte im Rauch der Lagerfeuer über den Soldaten. Denn im Turm lagerten Soldaten, die sich an die Mauern drängten, welche sie vor dem Winter, dem Schnee und etwas anderem beschützten, etwas… das draußen vor diesen Mauern wartete.

So hatte sich Sturm eine Belagerung immer vorgestellt. Er schluckte nervös und trieb von Feuer zu Feuer, immer getragen vom Rauch der Flammen.

Es waren gemeine Fußsoldaten. Manche trugen das Zeichen Uth Wistans, manche das der Merkenins, manche das der Kronenhüter – alles durcheinander. Alle trugen die Zeichen einer geschlagenen Armee. Sie waren vom Schnee durchnäßt, ihre Augen blickten stumpf und gehetzt vor sich hin. Die Ritter streiften wie Viehhüter zwischen ihnen hindurch, ohne daß zwischen Ritter und Soldat ein Wort fiel.

»Was ist das?« rief Sturm dem einen Ritter zu. »Was ist… hat Neraka…«

Ohne ihn zu hören, drehte der Ritter sich um und starrte durch ihn hindurch. Es war Gunthar Uth Wistan, der mit grauen Haaren und grauem Bart fast nicht zu erkennen war.

Was auch geschehen war, er mußte durch die Schlacht um zehn Jahre gealtert sein. Plötzlich wurde es im Hof totenstill. Das Gemurmel der Armee, das Knistern des Feuers und das Geklirr vom Waffenputzen verschwanden, und eine vertraute Stimme erhob sich neben ihm.

Vertumnus stand auf den Zinnen – ausgerechnet in der Rüstung der Blitzklinges! Er war wild und unbändig, ein grüner Angriff Feuerklinge, und Sturm war von der Ähnlichkeit überwältigt. Der Herr der Wildnis zeigte auf den Hof und begann wieder mit tiefer, eindringlicher Stimme zu erzählen.

Während er sprach, trat eine verzweifelte Truppe an den Toren an. Ein grauer Sergeant an der Spitze der Kolonne sah zu den Zinnen hoch, und seine Augen trafen sich mit denen von Sturm, als Vertumnus die unausweichliche, düstere Geschichte erzählte.

Mit den Rüstungen und Schwertern und Spießen sahen sie klein und zerbrechlich aus, als sie sich versammelten, mit den Füßen aufstampften, um die Kälte zu vertreiben, und sich hinter den Rittern auf Pferden aufreihten. In der ersten Kolonne konnte ich Breca ausmachen, da er einen Kopf größer war als die anderen. Einmal glaubte ich, daß er zu dem Fenster aufschaute, an dem ich stand, und ich meinte, die Ausdruckslosigkeit in seinen Augen zu erkennen, trotz der Entfernung…