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Bis heut hast du mir stets erklärt, Warum die Erde dunkel wird Und wie das Dunkel den Regen begehrt Und Farn und Blumen dann gebiert.
Schon heute könnt’ ich nicht mehr sagen, Wie Goldminen es überstehen, Wenn tausend Lenze an ihnen nagen, Wenn tausend Leben vorüberziehen.
Nun füllt der Winter meinen Geist, Der Herbst und auch des Sommers Pracht – Doch jeder Lenz von nun an heißt Ein weit’res Jahr für mich zur Nacht.«

So grub sie und sang das Lied noch einmal, bis hinter ihr ein Pferd wieherte und ein Schatten über sie fiel. Jack Derry kam näher und kniete sich neben sie. Schweigend, mit der gesunden Zuversicht, der sie auf ihrem gemeinsamen Weg zu vertrauen gelernt hatte, und auch mit ungewohntem Ernst zog der Gärtner sein Messer heraus und grub mit ihr.

Bis Mitternacht hatten sie das Tier feierlich auf ein Blätterbett gelegt. Dann deckte Jack es zu, während Mara eine alte Elfenmelodie spielte, die süß und getragen durch die tiefblaue Nacht zog. Während sie spielte, stieg langsam und völlig unerwartet der rote Mond Lunitari hinter einer Gruppe Pappeln auf und vereinte sich mit dem weißen Solinari darüber.

Erstaunt sah Mara an den hohen, wolkenlosen Himmel über Lemisch jenseits der überraschenden Vereinigung der Monde. Da leuchtete am frühen Morgenhimmel blau und weiß die helle Spirale der Mishakal. Jack lächelte.

Es war später am Morgen oder an einem Morgen bald darauf, als Sturm mitten im Wald erwachte. In voller Rüstung lag er neben einem träge fließenden Bach, an einem seltsamen, einsamen Ort, den er noch nie gesehen hatte. Ranken, Schlingpflanzen und Dornengestrüpp umwucherten ihn, und das Blattwerk um ihn herum war völlig unberührt, als hätte man ihn vorsichtig von weit oben an diesen Ort gelegt.

Er rieb sich die Augen und stand auf. Es dauerte einen Augenblick, bis er merkte, daß er sich anders bewegte. Er hatte wieder Kraft in der Schulter. Überrascht betrachtete er seine Hände, die gerötet wie früher und nicht mehr grün waren.

»Träume…«, murmelte er und betastete seine Schulter. Die Haut war weich und zeigte keine Narbe, und sein Arm ließ sich bewegen und war völlig geheilt.

»Wann hören die Träume auf?« fragte er sich und bahnte sich mühsam einen Weg durch das Dickicht.

Den ganzen Tag wanderte Sturm Feuerklinge mit wachsender Erregung durch den Südlichen Finsterwald. Er erinnerte sich an die Worte des Herrn der Wildnis am Julfest: »Triffst du mich nicht am genannten Ort zur genannten Zeit, so ist deine Ehre für immer dahin.« Und so suchte er nach Vertumnus, doch sein Eifer verwandelte sich in Verwirrung, als ihn alle Pfade, die er beschritt, auf die Ebene von Lemisch führten, wo er nördlich vom Rauch und den geduckten Hütten von Dun Ringberg herauskam. Wie ein von einem eigenwilligen Förster ersonnener Irrgarten führte ihn jeder Pfad zu derselben Stelle zurück, und jedesmal staunte Sturm, daß der Pfad, der aus dem Wald kam, anders aussah, als der vorherige.

Er verbrachte die Nacht am Waldrand. Die Bäume schienen vor seinem kleinen Lagerfeuer zurückzuschrecken, und am Morgen stellte er fest, daß sich entweder sein Lager bewegt hatte oder der Wald zurückgewichen war, denn es lag gut hundert Schritt von seinem ursprünglichen Ort entfernt.

Durcheinander und immer noch etwas schlaftrunken ging er zum Wald, doch der Pfad war verschwunden. Jeder kurze Ausflug in den Wald führte ihn an dieselbe Stelle zurück, und allmählich dämmerte ihm, daß der Wald selbst ihn zurückwies. Gleich, welche Richtung er einschlug, bald stände er wieder auf der Ebene.

»Die erste Frühlingsnacht ist vorüber«, sagte sich Sturm mit wachsender Verzweiflung, als ein weiterer Pfad in den Wald ihn zu seinem Lager zurückführte. »Ich habe meine Verabredung mit dem Herrn der Wildnis versäumt. Ich habe mein Gelübde gebrochen.«

Und doch lebte er. Die Wunde in seiner Schulter war nicht auf geheimnisvolle, tödliche Weise »aufgeblüht«. Nein, wenn er seine Schulter untersuchte, fand er keine Spur mehr von der Wunde – nur ein ganz leises, unbehagliches Gefühl, wenn seine Finger zu fest auf die Stelle drückten.

Etwas sagte ihm, daß die Mühen nicht vorbei waren, daß er den Herrn der Wildnis treffen würde, wenn er noch ein wenig länger suchte. Er beschirmte die Augen mit der Hand und starrte erst an der dicken, undurchdringlichen Grenze aus Bäumen und Dornen entlang nach Norden und Süden, um sich dann auf den Weg nach Dun Ringberg zu machen.

»Von allen Orten, die ich kenne«, flüsterte er, nachdem er sein Schwert wie eine Pike an die Schulter gelegt hatte, »bin ich in diesem Dorf wohl am wenigsten willkommen, aber bestimmt liegt dort der Schlüssel zu diesem Geheimnis.«

21

Die Umkehr

Lange ehe er die nähere Umgebung des Dorfs erreicht hatte, verlor Sturm den Rauch und die flackernden Lichter aus den Augen, die er von Norden her gesehen hatte. Er versuchte, seiner Erinnerung zu folgen, wartete verzweifelt auf Vertumnus’ leitende Musik, doch im Wald war es still bis auf die gelegentlichen Vogelrufe. Gerade als er glaubte, er würde Dun Ringberg niemals finden, gelangte er über eine Anhöhe direkt an den Rand der Siedlung.

Der Ort sah völlig verändert aus, als hätte etwas Großes, Namenloses fürchterlich Rache an diesem Flecken genommen. Hütten und Schuppen neigten sich gefährlich schief, weil sie von Schlingpflanzen, ausschlagenden Bäumen und dem hartnäckigen Druck herankriechenden Unterholzes von ihren Grundmauern gedrückt wurden. Dun Ringberg war bis zu den Spitzen der Dächer ergrünt.

Sturm wanderte durch einen Dschungel aus Blättern und Häusern, im Ohr das zornige Summen von Insekten, seine Nase durch den scharfen Geruch des Immergrüns und den zarten Duft der Blumen abgelenkt. Das Grünzeug hatte sich dem Anschein nach von Osten nach Westen ausgebreitet, und das große Mittelhaus war von Schlingpflanzen überwuchert und durch die großen, ausladenden Wurzeln eines zweihundert Fuß hohen Zürgelbaums säuberlich von seinem Fundament gehoben worden.

Sturm lief schweigend mit blanker Klinge durch die Gäßchen und Seitenstraßen, während er über einen Umweg auf Wielands Schmiede zusteuerte. Er überquerte den überwucherten Dorfplatz, drängte sich nach Westen durch ein plötzlich aufschießendes Gewirr aus Wein- und Kürbisranken zum Ortsrand, wo – wenn ihn seine Erinnerung nicht gänzlich täuschte – die Schmiede und der Stall liegen mußten. Seine Rüstung schepperte in den efeubewachsenen Gassen, und seine Hoffnung wechselte sich mit Angst vor Entdeckung ab.

Die Straßen um Wielands Werkstatt waren still und leer. Es war, als wäre dieser Teil des Dorfes verlassen oder als hätten sich die Dorfbewohner ein Stündchen zurückgezogen, weil bei der Schmiede eine wichtige Privatangelegenheit auszutragen war. Obwohl die Dörfler fehlten, lagen ihre Sachen herum: Messer, Halsreifen, Ahlen und Spindeln lagen kreuz und quer auf dem Dorfplatz, und mehr als einmal trat Sturm auf zerbrochenes Geschirr, das unter seinen Stiefeln zerbröselte wie die Außenskelette großer Insekten. Ein Bronzespiegel, dessen Oberfläche grün angelaufen und matt war, lehnte völlig schief an einer Haustür. Nicht weit davon lag ein goldener Schleier, dessen Rand mit grünen Rosen bestickt war, seltsam unberührt zwischen all dem Wachstum und Verfall. Sturm ging in die Knie und hob den Stoff auf, um ihn traurig ins Sonnenlicht zu halten.

Er warf ihn in die Luft. Der Stoff wiegte sich im leichten Wind, blähte sich auf und blieb auf dem Fensterbrett eines verlassenen Häuschens liegen. In diesem Augenblick ging der Klang eines Hammers, der auf einen Amboß trifft, durch das Dorf.

Sturm rannte in wilder Hoffnung los. Wenn überhaupt jemand hier, dann würde Wieland den Weg zu Jack Derry wissen. Und Jack würde den Weg zu Vertumnus wissen.

Die Stalltüren standen weit offen, doch in der warmen, stickigen Dunkelheit wieherte und schnaubte ein Pferd. Auch im Fenster der Schmiede waren Bewegung und Licht zu sehen, und ein Mann ging in der Schmiede auf und ab und sang dabei leise vor sich hin.