Nicht zu reden von Mord aus rassistischen oder religiösen Motiven, dachte ich; aber um sich vorzustellen, daß man selbst davon betroffen sein könnte, mußte einem erst mal die Uhr zertrümmert werden.
Ich nahm natürlich an, Rose habe ihrem Vater, Eddie Payne, erzählt, daß ich auf der Rennbahn war, aber da irrte ich. Worthington und ich legten uns nach dem letzten Rennen auf die Lauer und nahmen ihn problemlos in die Zange, als er aus der Jockeystube kam, um zu seinem Wagen zu gehen.
Er freute sich nicht. Wie ein in die Enge getriebenes Tier blickte er von einem zum anderen, und ich sagte ruhig, als gelte es ein verschrecktes Pferd zu besänftigen:»Tag, Ed. Wie geht’s?«
«Ich weiß nicht mehr, als ich schon gesagt habe«, begehrte er auf.
Wenn du ihm ein paar hübsche Köder hinwirfst, dachte ich, beißt vielleicht ein Fisch an, von dem du gar nichts ahnst; eine im Uferschilf versteckte Forelle sozusagen.
Also fragte ich:»Ist Rose mit Norman Osprey verheiratet?«
Sein Gesicht hellte sich fast zu einem Lachen auf.»Rose heißt immer noch Rose Payne, nennt sich aber Robins oder auch Mrs. Robins, wenn’s ihr paßt, aber sie mag keine Männer, meine Rose. Schade drum, aber so ist es nun mal.«
«Aber sie kommandiert sie gern?«
«Sie hat schon immer Jungs nach ihrer Pfeife tanzen lassen.«
«Waren Sie gestern abend mit ihr zusammen?«Ich stellte ihm die Frage beiläufig, aber er wußte sofort, wovon ich sprach.
«Ich habe Sie nicht angerührt«, sagte er schnell.»Ich war das nicht. «Er blickte von mir zu Worthington und wieder zurück, jetzt jedoch eher verwirrt als erschrocken.»Hören Sie«, säuselte er, als bitte er um Verzeihung,»gegen die hatten Sie keine Chance. Ich sagte Rose, das sei unfair. «Er stockte und schwieg.
«Heißt das, Sie waren selbst einer der Schwarzmaskierten gestern abend in Broadway?«fragte ich interessiert und konnte es kaum glauben, als ich den Ausdruck der Scham auf seinem Gesicht sah, mit dem er es zugab.
«Rose sagte, wir würden Ihnen nur einen Schreck einjagen. «Er sah mich mit unglücklichen Augen an.»Ehrlich, ich habe versucht, sie zurückzuhalten. Ich hätte nie gedacht, daß Sie heute hierherkommen. So schlimm, wie es aussah, kann es also nicht gewesen sein — aber ich weiß, es war furchtbar. Ich bin gleich zur Beichte und habe um Vergebung gebeten.«
«Das waren also Sie und Rose«, meinte ich sachlich, obwohl ich aus dem Staunen nicht herauskam,»und Norman Osprey. Und wer noch? Einer von Norman Ospreys Schreibern, oder?«
«Nein.«
Die Angst brachte ihn plötzlich zum Schweigen. Er hatte schon viel mehr gesagt, als seiner Tochter recht sein konnte, und wenn der noch unerkannte Schwarzmaskierte einer der beiden Schreiber war, die bei Norman Osprey für Ar-thur Robins (seit 1894) arbeiteten, würde Eddie das nun nicht mehr ohne weiteres zugeben.
Ich versuchte es mit einem neuen Köder.
«Kennen Sie irgend jemanden, der an Betäubungsmittel herankommt?«
Fehlanzeige.
Weiter.
«Oder jemanden mit einem weißen Bart, den Martin kannte?«
Da zögerte er zunächst, schüttelte aber schließlich den Kopf.
Ich sagte:»Kennen Sie persönlich jemanden mit einem weißen Bart, der wie ein Hochschullehrer aussieht?«
«Nein. «Mit fester Stimme geantwortet, aber sein Blick wich mir aus.
«War das Päckchen im braunen Papier, das Sie mir in Cheltenham gegeben haben, dasselbe, das Sie an dem Tag von Martin bekommen hatten?«
Diesmal nickte er, ohne erst hin und her zu überlegen.
«Ja, es war dasselbe. Rose war wütend. Sie meinte, ich hätte es nach Martins Tod stillschweigend einbehalten sollen. Wenn wir es behalten hätten, wäre nicht so ein Theater darum gemacht worden.«
«Wußte Rose, was in dem Päckchen war?«
«Genau wußte das nur Martin. Ich habe ihn mehr oder weniger direkt gefragt, was drin sei, und er meinte, die Zukunft des Planeten, aber das war natürlich ein Scherz.«
Martins Scherz klang mir zu plausibel, um lustig zu sein.
Ed war noch nicht fertig.»Ein paar Wochen vor Weihnachten«, fuhr er immer noch belustigt fort,»sagte Martin im Gespräch mit den anderen Jockeys, als sie sich vor der
Heimfahrt beim Umziehen darüber unterhielten, was sie ihren Frauen, ihren Freundinnen schenken wollten. das war nur so nebenher geredet, aber er sagte, er würde BonBon eine antike Halskette aus Gold und Glas schenken oder vielmehr — und da lachte er — eine wesentlich billigere Replik davon, die Sie ihm erst noch machen müßten. Er sagte, Sie hätten ein Lernvideo darüber. Dann war das gleich schon wieder vergessen, weil ihm einfiel, daß sich Bon-Bon ein Paar gefütterte Stiefel wünschte, und hauptsächlich hat er sowieso von der King George Chase am Zweiten Weihnachtstag in Kempton geredet und daß er nichts von der Gans essen darf, weil er noch abnehmen muß. Um sein Gewicht war er ja immer besorgt, wie die meisten Jockeys.«
«Er hat sich viel mit Ihnen unterhalten«, meinte ich.
«Mehr als andere.«
Das fand Ed nicht. Er rede immer gern mit den Jungs, sagte er. Über die könne er uns so einiges erzählen. Dabei zwinkerte er, als wären alle Jockeys ausgemachte Schürzenjäger, und mit dieser kleinen Vertraulichkeit gewann er mehr oder weniger die Gelassenheit des kompetenten Jok-keydieners zurück, als den ich ihn durch Martin kennengelernt hatte.
Worthington faßte auf der Heimfahrt unsere Ausbeute an Informationen zusammen.»Ich würde sagen, Martin und Weißbart war es Ernst mit diesem Video.«
«Ja«, stimmte ich bei.
«Und vielleicht ist Rose durch ihren Vater auf die Idee gekommen, auf dem Video sei zu sehen, wie eine antike Halskette hergestellt wird.«
«Da muß mehr dahinter sein«, meinte ich skeptisch.
«Nun. vielleicht wird da ja gesagt, wo die Kette sich befindet.«
«Eine Schatzsuche?«Ich schüttelte den Kopf.»Mir ist nur eine einzige wertvolle antike Kette aus Gold und Glas bekannt, obwohl ich mich auf dem Gebiet ziemlich auskenne, und die liegt in einem Museum. Unbezahlbar. Sie ist vor dreieinhalbtausend Jahren auf Kreta oder jedenfalls in der Ägäis geschaffen worden. >Kretischer Sonnenauf-gang< heißt sie. Davon habe ich allerdings eine Replik gemacht, und die habe ich Martin mal geliehen. Und es gibt ein Video, in dem ich erkläre, wie die Kette im einzelnen entstanden ist. Das habe ich Martin auch geliehen, und er hat es noch — oder vielmehr, weiß der Teufel, wo das jetzt ist.«
«Und wenn es zwei gibt?«fragte Worthington.
«Meinen Sie jetzt, zwei Videos? Oder zwei Ketten?«
«Warum nicht zwei Videos?«überlegte Worthington, als spreche plötzlich einiges dafür.»Rose könnte sie durcheinandergebracht haben.«
Es war ebensogut möglich, daß Worthington und ich hier alles durcheinanderwarfen, aber als wir bei Bon-Bon ankamen, konnten wir zumindest zweierlei als gesichert ansehen: Erstens, Rose, Eddie Payne und Norman Osprey hatten den Sonntagabend gemeinsam in Broadway zugebracht, und zweitens, ein schon älterer, magerer Hochschullehrertyp mit weißem Bart war in meinen Laden marschiert, als das neue Jahrtausend eingeläutet wurde, und hatte sich nicht damit aufgehalten, dem von einem epileptischen Anfall heimgesuchten Lloyd Baxter zu helfen.
Als wir auf dem knirschenden Kies von Bon-Bons Einfahrt anhielten, kam Marigold mit weit ausgebreiteten Armen zu uns heraus.
«Bon-Bon braucht mich nicht mehr«, verkündete sie theatralisch.»Holen Sie die Landkarten raus, Worthington. Wir fahren Skilaufen.«
«Ehm. wann?«fragte ohne Verwunderung der Chauffeur.
«Morgen früh natürlich. Tanken Sie voll. Wir fahren über Paris. Ich brauche was Neues zum Anziehen.«
Worthington nahm das gelassener als ich. Er flüsterte mir zu, daß sich Marigold mehrmals die Woche neue Kleider kaufe und daß der Skiurlaub insgesamt höchstens zehn Tage dauern werde. Sie werde bald davon genug haben und nach Hause wollen.