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«Für Sie ist das gut und schön«, beklagte er sich, als er jetzt von meinem Demomodell eines Segelboots zu dem farbenfrohen Klumpatsch schaute, den er in mühevoller Kleinarbeit verfertigt hatte.»Sie wissen, wie ein Segler aussieht. Bei mir kriegen die keine Konturen.«

Die halbe Miete bei allem, was ich machte, so versuchte ich ihm zu erklären, ohne dabei überheblich zu werden, war das innere Auge des Zeichners, das die Dinge dreidimensional sah. Ich konnte tatsächlich ganz gut malen und zeichnen, und kleine Segelboote aus Glas waren bei der plastischen Vorstellungskraft, die mir in die Wiege gelegt worden war, ein Kinderspiel.

Als Hickorys dritter Versuch unter dem leisen, mitfühlenden Gemurmel von uns anderen zum Teufel ging, unterbrach das Telefon den angehenden Glaskünstler bei seiner wenig überzeugenden Erklärung, Wassertropfen, die im kritischen Augenblick auf sein Werk gefallen seien, hätten es zerspringen lassen, und dafür könne er wahrhaftig nichts…

Ich hörte ihm nicht zu. Die Stimme am Telefon war die von Catherine.

«Ich war den lieben langen Morgen bei der Arbeit. Hast du wirklich noch einen Sessel besorgt?«

«Der wartet hier auf dich.«

«Prima. Und für dich habe ich Neuigkeiten. Mein Dienst geht bis sechs, dann komme ich vorbei.«

Um die Zeit totzuschlagen, schickte ich eine E-Mail an Victor und dachte, ich müßte auf die Antwort warten, da ich ihn in der Schule wähnte, aber wie schon einmal war er startklar.

Er schrieb:»Es hat sich etwas geändert.«

«Was denn?«

Eine Pause von mehreren Minuten entstand.

«Sind Sie noch da?«schrieb er.

«Ja.«

«Mein Dad ist im Gefängnis.«

E-Mails durchqueren den Äther ohne Betonung. Victors geschriebenes Wort gab keinen Hinweis auf seine Gefühle.

Ich schrieb zurück:»Wo? Weswegen? Für wie lange? Es tut mir sehr leid.«

Victors Erwiderung hatte nichts mit den Fragen zu tun.

«Ich hasse sie.«

«Wen?«fragte ich nur.

Eine Pause, dann:»Tante Rose natürlich.«

Ich hätte die Antworten gern schneller gehabt, aber mein Instinkt sagte mir, daß er sich zurückziehen würde, wenn ich ihn zu sehr bedrängte.

Ohne die heftigen Gefühle, mit denen er sicherlich zu kämpfen hatte, schrieb er:»Er sitzt seit zehn Wochen. Sie haben mich zu meinem Onkel Mac nach Schottland geschickt, als der Prozeß war, damit ich davon nichts mitkriege. Angeblich war mein Dad als Küchenchef mit einer Südpolexpedition unterwegs. Er ist nämlich Koch. Ein Jahr hat er gekriegt, aber er wird vorher rauskommen. Unterhalten Sie sich jetzt noch mit mir?«

«Klar«, schrieb ich zurück.»Natürlich.«

Wieder eine lange Pause, dann:»Rose hat Dad verpetzt.«

Ich wartete, und es ging weiter.»Er hat Mum verprügelt. Ihr das Nasenbein und ein paar Rippen gebrochen. «Nach einer noch längeren Pause schrieb er:»Mailen Sie mich morgen wieder an«, und ich erwiderte rasch, solange er vielleicht noch online war:»Wer ist Dr. Force?«

Entweder war er schon aus dem Netz, oder er wollte nicht antworten, aber Dr. Force war Fehlanzeige. Victors Schweigen dauerte den ganzen Tag.

Ich widmete mich wieder dem Unterricht. Hickory gelang schließlich ein Boot, das vielleicht geschwommen wäre, hätte es aus Fiberglas bestanden und ein Stoffsegel gehabt. Er gestattete sich ein selbstzufriedenes Lächeln, das wir ihm alle gönnten. Glas zu blasen war eine schwierige Sache, auch für Leute wie Hickory, die anscheinend alles hatten, was man dazu brauchte — Schwung, Wendigkeit und Phantasie. Als Hickory das kleine Boot behutsam in den Kühlofen stellte, wußte er, daß ich ihm das Schmuckstück am nächsten Morgen, wenn es fertig war, überlassen würde.

Gegen sechs hatte ich sie glücklich alle nach Hause geschickt, und um dreiundzwanzig Minuten nach sechs bewunderte Zivilfahnderin Dodd bereits den neuen Sessel und las Victor Waltman Veritys Sorgenpost.

«Der arme Junge«, meinte sie.

«Da er seine Tante Rose dafür haßt, daß sie seinen Vater verpfiffen hat«, sagte ich bedauernd,»erfahre ich von ihm jetzt vielleicht auch nichts mehr. Petzen scheint für ihn eine Todsünde zu sein.«

«Mhm. «Sie las die ausgedruckten Seiten noch einmal und sagte dann gutgelaunt:»Also ob Victor dir weiterhilft oder nicht, dein Dr. Force geht klar. «Sie freute sich, ihn gefunden zu haben.»In den einschlägigen Verzeichnissen der Hochschullehrer habe ich ihn allerdings umsonst gesucht. Der Mann ist kein Dozent, jedenfalls nicht in erster Linie, sondern, ob du’s glaubst oder nicht, er ist Arzt. Approbiert und alles. «Lächelnd reichte sie mir einen Briefumschlag.

«Ein Kollege von mir verbringt seine Zeit damit, Ärzte aufzustöbern, denen die Zulassung entzogen worden ist. Er hat ihn gesucht und schließlich auch gefunden.«

«Ist ihm die Lizenz entzogen worden?«Das käme hin, dachte ich, aber Catherine schüttelte den Kopf.

«Nein, er ist noch zugelassen, aber bis vor kurzem hat er in irgendeinem Forschungslabor gearbeitet. Deshalb war er so schwer ausfindig zu machen. Hast du alles in dem Briefumschlag.«

«Und er ist über fünfzig, mit weißem Bart?«

Sie lachte.»Sein Geburtsdatum findest du in dem Kuvert. Die Bartfarbe wäre etwas viel verlangt.«

An dieser Stelle fanden wir beide, daß es Spannenderes im Leben gab als die Jagd nach obskuren Medizinern.

Ich schlug vor, daß wir uns im Take-away etwas zu essen holten, sie bot mir an, mich noch einmal auf dem Soziussitz den Berg hinaufzufahren; wir machten beides. Ich hatte die Zentralheizung angelassen, so daß es angenehm warm war, und Catherine ging lächelnd im ganzen Haus herum.

«Man hat mir prophezeit, daß du mir den Laufpaß geben wirst«, meinte sie beiläufig.

«Nicht jetzt gleich.«

Ich hatte noch das Kuvert mit den Einzelheiten über Dr. Force und öffnete es hoffnungsvoll, erfuhr aber nur wenig Brauchbares. Er hieß Adam Force, war sechsundfünfzig und hatte unzählige Titel.

Ich sagte verdutzt:»Ist das alles?«

Sie nickte.»Alles, was an Fakten vorliegt. Aber was so erzählt wird — also von verschiedenen Seiten hört man, daß er ein brillanter Forscher ist, der schon in jungen Jahren hochrangige Arbeiten veröffentlicht hat. Über einen weißen Bart konnte meinem Kollegen keiner etwas sagen. Er hat mit niemandem gesprochen, der den Mann persönlich kennt.«

«Hat Dr. Force eine Adresse?«fragte ich.

«Noch unbekannt«, antwortete sie.»In dem Who ’s Who, das wir benutzt haben, steht nur, was die Leute selbst angeben. Man wird da gar nicht erwähnt, wenn man nicht drinstehen will.«

«Ausgesprochen höflich.«

«Nein, eher ärgerlich.«

Sie hörte sich aber nicht verärgert an, da sie sich mit dem Internet auskannte. Wir nahmen uns vor, ihn am nächsten Morgen im Netz zu fangen.

Wir aßen das mitgebrachte Essen, oder besser gesagt, kosteten davon, da sich unser Appetit verlagert hatte, und ich drehte die Heizung in meinem Schlafzimmer ein wenig auf, ohne etwas erklären zu müssen.

Sollte sie einmal an übergroßer Schüchternheit gelitten haben, so hatte sie diese im Lauf ihres Lebens abgelegt.

Die Catherine, die zu mir ins Bett kam, tat es selbstbewußt und leise zugleich, eine für mich berauschende Kombination. Jedenfalls waren wir beide erfahren genug, um einander ebensoviel Freude zu schenken, wie wir empfingen, oder zumindest so viel, daß wir danach schläfrig und befriedigt waren.

Das Tempo, mit dem unsere gegenseitige Zuneigung sich entwickelte, erschien mir nur natürlich, nicht erschreckend, und wenn ich an die Zukunft dachte, war es definitiv eine Zukunft mit Catherine.»Wenn du Lust hast, die hellen, einfarbigen Wände mit bunt gemusterter Tapete zu bekleben, tu dir keinen Zwang an.«

Sie lachte.»Ich mag so ruhige, helle Wände. Warum sollte ich die ändern?«