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Herzlich,

Martin Stukely

Ich starrte auf den Brief, und ich fragte mich, was er bedeutete. Daniel, der mir über die Schulter sah, wollte wissen, was mit den Formeln gemeint sei.»Sind das Geheimnisse?«fragte er.

«Kann sein.«

Als Bon-Bon den letzten Liebesbrief gelesen und ihre Tränen getrocknet hatte, fragte ich sie, wie gut Martin Dr. Force gekannt habe.

Mit verweinten Augen sagte sie, sie wisse es nicht. Sie bereute bitterlich die vielen Stunden, die sie und ihr Mann sich für nichts und wieder nichts gezankt hatten.»Wir konnten nie miteinander reden, ohne uns in die Haare zu kriegen. Du weißt, wie es war. Aber ich habe ihn geliebt… und er hat mich geliebt, das weiß ich.«

Sie hatten sich leidenschaftlich geliebt und leidenschaftlich gezankt in den vier Jahren, seit ich sie kannte. Zu denken, ach hätte Martin sich ihr trotz ihrer Geschwätzigkeit doch anvertraut, half gar nichts, denn dies eine Mal waren sie übereingekommen, daß ich und nicht Bon-Bon es sein sollte, der Martins Geheimnis hütete.

Welches Geheimnis? Was für ein Geheimnis, du lieber Gott?

Als Bon-Bon mit Daniel zu den anderen Kindern hinaufgegangen war, ging ich das Fach systematisch durch und sortierte die vielen losen Briefe nach ihrem Inhalt. Dazu kamen mehrere alte Scheckhefte mit Kontrollabschnitten, auf denen zwar Beträge angegeben waren, oft aber weder Datum noch Empfänger. Martin mußte seinen Steuerberater zur Verzweiflung gebracht haben. Offenbar hatte er sämtliche Steuerunterlagen, Quittungen und Zahlungsbelege, wie sie gerade kamen, in das Extrafach geworfen.

Manchmal geschehen jedoch kleine Wunder, und auf einem Kontrollabschnitt, datiert vom November 1999 (kein bestimmter Tag), fand ich den schlichten Namen Force (ohne Dr., ohne Adam). In der Zeile darunter stand einsam das Wort Puste, und im Kasten für den überwiesenen Betrag standen drei Nullen,000, ohne Zahl davor und ohne Komma.

Bei der Durchsicht der Kontrollabschnitte von drei anderen Scheckheften stieß ich auf eine Anzahl ähnlich unvollständiger Angaben. Verfluchter Martin! Wirklich ein Mann fürs Geheime, wer solche Rätsel aufgab.

Der Name Force tauchte noch einmal in einem Notizblock auf, wo es in Martins krakeliger Handschrift hieß:

«Force, Bristol, Mittwoch, falls P Legup in Newton Abbot nicht als Starter angibt.«

Legup in Newton Abbot… War Legup ein Pferd und Newton Abbot die Rennbahn, für die es genannt war? Ich stand von Martins Schreibtisch auf und nahm mir die gesammelten Rennberichte in seinem Bücherregal vor, aber Legup hatte zwar vier oder fünf Jahre lang etwa acht Rennen im Herbst und Frühjahr absolviert, doch nur selten einmal mittwochs, und war offenbar nie daheim geblieben, wenn er genannt worden war.

Ich kehrte zum Schreibtisch zurück.

Ein Merkheft, das er wohl mit besonderer Sorgfalt geführt hatte, war im Vergleich zu seinem anderen Schreibkram von beispielhafter Übersichtlichkeit. Mit Datum waren dort Beträge aufgeführt, die Martin seit dem vergangenen Juni an den Jockeydiener Eddie Payne gezahlt hatte. Sogar sein Todestag mit der dafür fälligen Zahlung stand drin. Da Jockeydiener meines Wissens nach festen Tarifen bezahlt wurden, schien das Merkheft auf den ersten Blick weniger wichtig zu sein als vieles andere in dem papiernen Durcheinander, aber auf die erste Seite hatte Martin die Namen Ed Payne, Rose Payne, Gina Verity und Victor gekritzelt. In einem Eckkasten mit dicken Gitterstäben stand Waltman geschrieben. Kleine Strichzeichnungen zeigten Ed mit seiner Schürze, Gina mit ihren Lockenwicklern, Victor mit seinem Computer und Rose… Rose hatte einen Kranz aus Stacheln um den Kopf.

Martin, überlegte ich, hatte diese Familie fast so lange gekannt, wie Ed sein Jockeydiener gewesen war. Als er den Brief von Victor Waltman Verity bekam, wußte er also, daß da ein Fünfzehnjähriger sein Spiel trieb. In der Rückschau wurde mir klar, daß ich die falschen Fragen gestellt hatte, da ich von den falschen Voraussetzungen ausgegangen war.

Mit einem Seufzer legte ich das Heft weg und las die Briefe durch, die vorwiegend von Besitzern stammten; für die Martin gesiegt hatte. Aus all diesen Briefen sprach die Wertschätzung, die einem ehrlichen Jockey entgegengebracht wurde, und nirgends war auch nur andeutungsweise von Geheimnissen auf Video die Rede.

Dann kam ein Terminkalender von 1999 an die Reihe, den ich nicht im Geheimfach, sondern direkt auf dem Schreibtisch fand, wo eins der Kinder ihn hingelegt hatte. Es war ein reiner Jockeykalender, in dem kein Renntag fehlte. Martin hatte seine sämtlichen Rennen eingekreist und die Namen der von ihm gerittenen Pferde hinzugefügt. Für den letzten Tag des Jahrhunderts, den letzten seines Lebens, hatte er Tallahassee eingetragen.

Ich lümmelte mich in Martins Sessel, trauerte um ihn und wünschte wie verrückt, er könnte wenigstens für fünf Minuten noch einmal lebendig werden.

Mein auf dem Schreibtisch liegendes Handy gab seinen kurzen Rufton von sich, und in der Hoffnung, es sei Catherine, meldete ich mich.

Es war nicht Catherine.

Victors kieksige Stimme sprach mir hastig ins Ohr.

«Können Sie am Sonntag nach Taunton kommen? Bitte ja, bitte nehmen Sie den gleichen Zug wie schon mal. Mir geht das Telefongeld aus. Bitte sagen Sie ja.«

Ich horchte auf seinen dringlichen, der Panik nahen Ton.

«Ja, gut«, sagte ich, und die Verbindung brach ab.

Arglos und unbekümmert wäre ich an diesem Sonntag nach Taunton gefahren, hätte mich Worthington nicht unter viel Geknister von einem fernen Berg herab gewarnt.

«Haben Sie immer noch nicht begriffen, daß Sie da vielleicht in einen Hinterhalt marschieren?«

«Nicht bei Victor«, widersprach ich.»Der lockt mich nicht in eine Falle.«

«Ach nein? Und ist dem Opferlamm etwa bewußt, daß es gebraten werden soll?«

Lammbraten oder nicht, ich nahm den Zug.

Kapitel 6

Tom Pigeon, der mit seinen drei kräftigen Dobermännern ein paar Gehminuten entfernt wohnte, kam am späten Samstagvormittag zur Eingangstür von Logan Glas und lud mich auf ein Bier ein. Egal wo, nur nicht im Dragon gegenüber, meinte er.

In einer überfüllten, dunklen Kneipe, vor der er die Hunde brav an eine Bank festband, trank Tom Pigeon durstig sein Pint und sagte mir, daß Worthington der Meinung war, ich bewiese im Umgang mit den Verity-Paynes mehr Mut als Verstand.

«Mhm. Ein Wespennest, hat er gesagt«, stimmte ich bei.

«Wann hat er sich denn mit Ihnen unterhalten?«

Tom Pigeon sah mich über den Glasrand an, während er austrank.»Er meinte, sonst seien Sie nicht auf den Kopf gefallen. Heute morgen hat er mir das gesagt. «Ein Lächeln.

«Er rief aus Gstaad an. Seiner Chefin ist ja nur das Beste gut genug.«

Er bestellte das zweite Pint, während ich mich noch an meinem ersten festhielt. Wegen seiner durchtrainierten Erscheinung und seinem leicht piratenhaften, dunklen kleinen Spitzbart ging man uns aus dem Weg. Ich war in seinem Alter und so groß wie er, aber niemand fand mich bedrohlich oder wich instinktiv vor mir zurück.

«Morgen ist es eine Woche her«, sagte er,»daß Sie vermöbelt worden sind, bis Sie kaum noch stehen konnten.«

Ich dankte ihm für meine Rettung.

«Worthington möchte, daß Sie derartigen Ärger meiden«, sagte er.»Besonders solange er in der Schweiz ist.«

Ich hörte jedoch heraus, was Tom Pigeon von solchen Strategien hielt. Sicherheit als Lebensmotto schien ihn genauso anzuöden wie Worthington selbst, als der mich neulich zum Pferderennen nach Leicester gelotst hatte.

«Worthington macht einen auf Papa«, sagte Tom.

«Auf Leibwächter«, meinte ich trocken,»und er fehlt mir.«

Tom Pigeon sagte beiläufig, aber mit unverkennbarer Aufrichtigkeit:»Nehmen Sie mich so lange.«

Ich überlegte kurz, daß es sicher nicht in Worthingtons Absicht gelegen hatte, Tom zu diesem Angebot zu veranlassen, und fragte mich, was meine liebe Kommissarin Dodd davon halten würde, wenn ich mich mit einem ehemaligen Knastbruder zusammentat, der einen Spitznamen wie Konter führte. Dessenungeachtet sagte ich:»Wenn Sie auf mich hören, ja.«