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«Mal sehen.«

Ich lachte und erklärte ihm, was ihm vielleicht am morgigen Sonntag bevorstand. Er machte große Augen und war sofort Feuer und Flamme.»Nur legal muß es sein«, schränkte er ein.»Ich geh nicht noch mal in den Bau.«

«Es ist legal«, versicherte ich ihm, und als ich am nächsten Morgen den Zug nahm, saß im Dienstabteil meine neue Rückendeckung, begleitet von drei der unheimlichsten schwarzen Hunde, die mir jemals die Finger geleckt hatten.

Es war nur eine Zugverbindung möglich, wenn ich zur gleichen Zeit in Lorna Terrace ankommen wollte wie am vergangenen Sonntag. Und das mußte Victor gemeint ha-ben. Tom hatte den Plan ändern und einen Wagen nehmen wollen. Er werde fahren, sagte er. Ich schüttelte den Kopf und stimmte ihn um.

«Wenn es nun aber nicht der Hinterhalt ist, den Worthington befürchtet«, hatte ich eingewandt,»sondern lediglich ein Junge, der vor Kummer nicht mehr weiterweiß?«

Wäre ja möglich, hatte ich gesagt.

Wir fanden jedoch einen Kompromiß. Wir würden einen Wagen mit Fahrer mieten, der uns vom Bahnhof Taunton aus folgen und uns eisern auf den Fersen bleiben sollte, um uns bei Bedarf einzuladen, nach Broadway zurückzubringen und daheim abzusetzen.

«Das kostet«, hatte Tom Pigeon beanstandet.

«Ich zahle«, hatte ich gesagt.

Victor selbst erwartete uns auf dem Bahnsteig in Taunton, als der Zug sanft in die Station einfuhr. Ich hatte vorn gesessen, um eventuell unerwünschte kleine Empfangskomitees beizeiten ausmachen, unter die Lupe nehmen und mich an ihnen vorbeistehlen zu können, doch der Junge war offenbar allein. Und, wie mir schien, nervös. Und vom Januarwind durchgeblasen. Darüber hinaus ein Rätsel.

Toms Hunde sprangen aus dem hinteren Teil des Zuges auf den Bahnsteig und sorgten sofort für eine scharfe Trennung zwischen Hundefreunden und Leuten, die etwas gegen Reißzähne hatten.

Ich nahm an oder hoffte zumindest, daß Victor Tom und seine Hunde nicht vom Sehen kannte, wenn auch Rose und der Rest ihrer Familie sie nach dem Schwarzmaskenauftritt in Broadway bestimmt wiedererkennen würden.

Eine schwarze Maske brauchte ich für mein Treffen mit Victor zwar nicht, aber ich hatte schon von der Kripo gelernt und trug eine Baseballmütze im derzeit angesagten Winkel, einen marineblauen Trainingsanzug und darüber eine gefütterte Weste in hellerem Blau. Annehmbare Freizeitkleidung, weg von meiner üblichen Hose und dem weißen Hemd.

Bestärkt durch das verstohlene Kichern von Bon-Bons Kindern am Morgen und den ausdruckslosen Blick, mit dem mich Tom kurz danach gestreift hatte, als wäre ich ein Fremder, näherte ich mich auf leisen Turnschuhsohlen Victors Rücken und sagte ihm leise» Tag «ins Ohr.

Er fuhr herum und musterte überrascht mein verändertes Aussehen, schien vor allem aber erleichtert zu sein, daß ich überhaupt da war.

«Ich hatte Angst, Sie würden nicht kommen«, sagte er.

«Nachdem Sie so zusammengeschlagen worden sind, wie ich gehört habe. Ich weiß nicht, was ich machen soll. Ich möchte, daß Sie mir helfen. Die lügen mich nur an. «Er zitterte ein wenig, aber wohl mehr aus Nervosität als vor Kälte.

«Gehen wir erst mal von dem zugigen Bahnsteig runter«, sagte ich,»und dann erzählst du mir, was deine Mutter meint, wo du jetzt bist.«

Draußen vor dem Bahnhof polierte der von mir gemietete Fahrer einen dunkelblauen Kombi, der für unsere Zwecke groß genug war. Tom Pigeon kam mit seinen Hunden aus dem Gebäude, sagte etwas zu dem Fahrer und verfrachtete die Dobermänner in den für sie hergerichteten Laderaum.

Victor, der noch nicht ahnte, daß der Kombi und die Hunde etwas mit ihm zu tun hatten, beantwortete meine Frage und ein Dutzend andere dazu.»Mum glaubt, ich bin zu Hause. Sie ist ins Gefängnis zu meinem Dad. Heute ist Besuchstag. Ich hab gehört, wie sie und Tante Rose ausgemacht haben, was sie mir sagen, nämlich daß Mum eine

Frau mit einer schlimmen Krankheit besuchen müßte, die mich abschreckt. Jedesmal, wenn sie Dad besuchen fährt, denken sie sich was aus, damit ich daheim bleibe. Und ich hab gehört, daß sie, wenn Mum von Dad zurück ist, noch mal versuchen wollen, aus Ihnen herauszukriegen, wo das Video ist, das Sie von Opa Payne bekommen haben. Das soll Millionen wert sein. Meine Tante Rose sagt, es ist Quatsch, wenn Sie behaupten, Sie wüßten nicht, wo das Band ist. Bitte, bitte sagen Sie es ihr, oder sagen Sie ihr, was drauf ist, denn ich halte es nicht aus, wenn sie die Leute mit Gewalt zum Sprechen bringt. Schon zweimal hab ich welche bei uns auf dem Dachboden schreien und stöhnen gehört, und da lacht sie bloß und sagt, die hätten Zahnweh.«

Ich drehte mich von Victor weg, damit er mir nicht das Entsetzen ansah, das mich überkam und mir zweifellos ins Gesicht geschrieben stand. Schon bei dem Gedanken, daß sich die rabiate Rose auch Zähne vornahm, schmolz jeder Widerstand, den zu leisten ich mir theoretisch zutraute, dahin.

Zähne.

Zähne und Handgelenke und weiß der Teufel was noch.

Jetzt mußte ich unter allen Umständen herausfinden, was für Geheimnisse das waren, die ich angeblich schon kannte, und dann entscheiden, was ich mit dem Wissen anfing. Victor, dachte ich, war vielleicht in der Lage, aus den unbewußten Tiefen seiner Erinnerung die Teilchen zutage zu fördern, die ich noch brauchte, um ein plausibles Ganzes zusammenzusetzen. Ich hatte Bruchstücke. Aber zu wenig.

Innerlich schaudernd fragte ich:»Wo ist deine Tante Rose jetzt? Besucht sie auch deinen Vater?«

Er schüttelte den Kopf.»Ich weiß nicht, wo sie ist. Mit zum Gefängnis ist sie nicht, weil Dad nicht mehr mit ihr redet, seit sie ihn verpfiffen hat. «Er schwieg, dann sagte er heftig:»Ich wünschte, ich würde einer normalen Familie angehören. Einmal habe ich Martin geschrieben und ihn gefragt, ob ich nicht eine Zeitlang bei ihm wohnen könnte, aber er meinte, sie hätten keinen Platz. Ich habe ihn angefleht…«Seine Stimme kippte.»Was soll ich nur machen?«

Offensichtlich hatte Victor schon sehr lange jemanden gebraucht, den er um Rat fragen konnte. Kein Wunder, daß er jetzt am Rand eines Nervenzusammenbruchs war.

«Fahren wir ein Stück?«fragte ich freundlich und hielt ihm die Tür hinter dem Fahrer des Kombis auf.»Ich bringe dich nach Hause, bevor du vermißt wirst, und erst mal können wir uns über deine Probleme unterhalten.«

Er zögerte nur kurz. Schließlich hatte er mich ja kommen lassen, damit ich ihm half, und offenbar war ich für ihn jemand, dem man trauen konnte, auch wenn seine Familie mich als Feind ansah. In seinem verzweifelten Zustand konnte Victor weder klar denken noch handeln.

Wenn dies ein Hinterhalt war, dann war Victor das ahnungslose Opferlamm.

Ich fragte ihn, ob er wußte, wo Adam Force zu finden war. Auf die Frage hin zögerte er sehr viel länger, um dann den Kopf zu schütteln. Er weiß es, dachte ich, aber wenn er es mir sagt, wäre das vielleicht gepetzt.

Tom Pigeon saß neben dem Fahrer und machte ihn durch seine bloße Anwesenheit nervös. Victor und ich saßen auf der Rückbank, von den Hunden im Laderaum durch ein Gitter getrennt. Der Fahrer, der noch kein Wort gesagt hatte, fuhr los, sobald wir eingestiegen waren, und über gewundene Landstraßen ging es durch Somerset, bis wir schließlich zu dem weitgedehnten Heideland von Exmoor kamen. Ich konnte mir vorstellen, daß das selbst im Som-mer ein grimmiger und öder Landstrich war, ein Ort unerfüllt gebliebener Träume, dessen weiter Horizont im Nebelregen verschwamm. An diesem Sonntag im Januar war der wolkenlose Himmel klar, kalt und frisch. Der Fahrer lenkte von der Straße herunter auf einen befestigten Touristenparkplatz, wies mit knappen Worten auf einen gerade noch erkennbaren Pfad weiter vorn und sagte mir, daß er in wegloses Moor führte, wenn man weit genug ging.