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Vorbei an zahlreichen Umkleidekabinen kam ich vom Untersuchungsraum in eine großzügige Halle und von dort auf einen Vorplatz.

Unverhofft sah ich dort den Mietwagen stehen, und daneben lief mein Fahrer Jim nervös auf und ab. Während er mir den Schlag aufhielt, erklärte er, die Sorge um mein Wohlergehen habe über seine ureigenen Instinkte gesiegt. Ich dankte es ihm von Herzen.

Dr. Force, der mir nach draußen gefolgt war, wartete, bis ich im Wagen saß, und ging erst wieder hinein, nachdem ich ihm unschuldig-fröhlich zum Abschied gewinkt hatte, ein Gruß, den er nicht erwiderte.

«Ist das der Typ, den Sie sprechen wollten?«fragte Jim.

«Ja.«

«Nicht übermäßig freundlich, was?«

Ich konnte nicht genau sagen, was mit dieser Örtlichkeit nicht stimmte, und als dann ein elegant einbiegender großer Reisebus auf dem Vorplatz zum Stehen kam, war ich auch noch nicht schlauer. Avon Paradise Tours stand schwarzweiß auf den lila Seitenflächen des Busses, und in kleinerer Schrift darunter eine Adresse in Clifton, Bristol.

Jim fuhr schnell bergab, bis wir uns wieder in der seines Erachtens spukgeschützten Innenstadt befanden. Und er erklärte sich bereit, mich, wenn ich nicht wieder von irgendwelchen Schrecken der Nacht anfing, in Lynton herumzufahren, damit ich mir die Stadt ansehen konnte.

Um die Wahrheit zu sagen, war ich in vieler Hinsicht unzufrieden mit mir, und ich wollte Zeit zum Nachdenken, bevor wir zurückfuhren. Wie gern hätte ich jetzt meinen Wagen und die damit verbundene Freiheit gehabt, aber es war nicht zu ändern. Tatsächlich war ich oft genug unbehelligt gerast, bevor ich auf der Fahrt zu dem schwerkranken Gärtner erwischt wurde, und wenn Zivilfahnderin Catherine Dodd vorhatte, die Zukunft mit mir zu teilen, würde ich ohnehin den Fuß vom Gas nehmen müssen.

Einstweilen überredete ich Jim, in einer Nebenstraße anzuhalten. Den Stadtplan in der Hand, ging ich von dort zum North Walk, einem Fußweg auf einem grasbewachsenen Kliff, der im kalten Januarwind mehr oder minder verlassen war.

Bänke standen in Abständen am Wegrand. Ich setzte mich eine Zeitlang und fror und dachte über den Adam Force nach, der farbenblind, asthmatisch, wetterwendisch und unsteten Wesens war und Visite in einer obskuren Privatklinik machte, nur um den Menschen Gutes zu tun. Ein unbedeutender Arzt, wie es schien, trotz besten Qualifikationen und einem Ruf als brillanter Forscher. Ein Mann, der seine Talente vergeudete. Ein Mann, der an einem empfindlich kalten Tag mit einem Besucher nach draußen ging und sich in einen Asthmaanfall manövrierte.

Ich stapfte langsam umher, genoß die herrliche Aussicht vom North Walk, wünschte den Sommer herbei. Ich dachte an allerlei Unzusammenhängendes wie Zufall und Ausdauer und Videokassetten, die eine Million wert waren und die Welt retten konnten. Und ich dachte an das Schmuckstück aus Glas und Gold, das ich gefertigt hatte und das nicht nur wirklich alt aussah, sondern von dem 3500 Jahre alten Original nicht zu unterscheiden war. Eine Kette im Wert von einer Million… aber nur die echte Kette, das in einem Museum liegende antike Stück, hatte diesen Wert. Die Replik, die ich nach einem bei Bedarf wiederholbaren Verfahren angefertigt hatte, war buchstäblich nur ihr Gewicht in achtzehnkarätigem Gold wert, plus die Kosten der farbigen Glasteile und vielleicht noch mal soviel für das technische Wissen und Können, das darin steckte.

Wie viele Künstler und Kunsthandwerker konnte ich den Grad der Meisterschaft, die ich in meinem Fach erlangt hatte, nur mir selbst eingestehen. Und auch das Arroganzverbot meines Onkels Ron trug dazu bei, daß ich meine Sachen ohne Pauken und Trompeten in die Welt setzte.

Wenn es sich in den Jockeystuben herumgesprochen hatte, daß es von mir ein Video über die Herstellung der Kette gab, dann störte mich das nicht. Ich hatte sie selbst gemacht. Ich hatte den Vorgang mit Worten beschrieben und Handgriff für Handgriff gezeigt, wie es ging. Ich hatte es so aufgezeichnet, wie mein Onkel Ron es mir in jungen Jahren beigebracht hatte. Die von mir nachgebildete Kette lag, wie das Video normalerweise auch, in einem Bankfach. Davon überzeugte ich mich am besten noch einmal. Das Lehrvideo hatte ich ja Martin geliehen, und mir war gleich, ob er es anderen gezeigt hatte, aber ich wünschte doch sehr, er hätte es mir zurückgegeben, bevor es mit all den anderen aus seinem Zimmer verschwand.

Ziemlich entschlossen kehrte ich zum Anfang des Spazierwegs zurück, wo Jim hin und her lief und versuchte, sich die Finger zu wärmen. Ich dachte, er hätte vielleicht keine Lust, mich am nächsten Tag noch einmal zu fahren, aber zu meiner Überraschung war er damit einverstanden.

«Sonst hetzt Tom Pigeon seine Hunde auf mich«, meinte er.

«Er hat mich gerade im Auto angerufen, ich soll nach Ihnen sehen.«

Ich unterdrückte ein Lachen. Solche Leibwächter lobte ich mir.

Jim entschuldigte sich dafür, daß er im Kickboxen mit Worthington und Tom nicht mithalten könne.

«Aber ich kann Köpfe gegen Wände knallen«, sagte er.

Lächelnd meinte ich, das werde schon reichen.

«Ich wußte gar nichts über Sie, als ich Sie abgeholt habe«, bekannte Jim.»Ich dachte, Sie wären irgend so ein Windei. Doch Tom erzählte mir gerade dies und jenes am Telefon, und einer, für den Tom kämpft, der kann auch auf mich zählen.«

«Danke«, sagte ich schwach.

«Wohin fahren wir also morgen?«»Was halten Sie von Bristol?«sagte ich.»In eine Gegend mit Krankenhaus?«

Er lächelte breit, und sein eben noch verdrießliches Gesicht strahlte. In Bristol kannte er sich aus. Ein Krankenhaus gab es in der Horfield Road und in der Commercial Road unten am Fluß. Überhaupt kein Problem. Er sei dort ein Jahr lang Ambulanzfahrer gewesen, sagte Jim.

Boxen und Treten, meinte er, sei nicht so sein Ding, aber im Fahren mache ihm so schnell keiner was vor. Wir gaben uns die Hand darauf, und ich hatte Bodyguard Nummer drei, einen, der schneller um die Ecken düste als die Formel eins.

Jim fuhr mich nach Hause, kam offenbar auf Tom Pigeons Drängen mit hinein und kontrollierte sämtliche zehn Zimmer auf unerbetene Besucher.

«Sie brauchen eine kleinere Wohnung«, befand er, als er mit der Inspektion der Fensterschlösser durch war.

«Oder…«, er sah mich von der Seite an,»eine Horde Kinder.«

Genau in dem Moment traf Catherine auf ihrem Motorrad ein. Jim warf einen vielsagenden Blick auf sie, und ich mußte das mit der Horde Kinder erklären. Kommissarin Dodd fand die Idee offenbar gar nicht schlecht.

Quietschvergnügt fuhr Jim davon. Catherine regte sich über meine jüngsten Scherereien auf und sagte, das Klassentreffen habe sie von der ersten bis zur letzten Minute gelangweilt.

«Nächstes Mal pfeif auf die Langeweile und komm nach Hause.«

Das war mir einfach so herausgerutscht. Ich hatte nicht bewußt» nach Hause «gesagt. Ich hatte ihr nur das Haus als Zuflucht anbieten wollen. Das erklärte ich ihr. Sie nickte. Erst später, als ich sie im Bett in den Armen hielt, mußte ich an Sigmund Freud und seinen berühmten Versprecher denken.

In Bristol nieselte es.

Mein Fahrer —»Sagen Sie Jim zu mir«- war klein und untersetzt und konnte nicht begreifen, daß ich lieber Ruhe im Auto hatte statt Dauerberieselung durchs Radio.

Verständlicherweise fragte er, wo wir in der Stadt genau hin wollten. Zum nächsten Telefonbuch, antwortete ich, und in den gelben Seiten fand ich ohne Mühe die Avon Paradise Tours. Sie boten Erlebnisreisen durch Cornwall, Devon, Somerset und rund um London an.

Jim, dessen Krankentransportfahrergedächtnis nützlicher war als jede Karte, fuhr uns zielsicher zu ihrem lila Stammsitz und präsentierte mir mit großer Geste das Busdepot wie ein aus dem Hut gezaubertes Kaninchen.