«Sie sind dieser Freund, und Sie können uns wirklich nicht sagen, wo wir das verschwundene Band suchen müssen? Noch besser wäre natürlich, Sie könnten es uns geben.«
«Das ist mir nicht möglich«, versicherte ich.»Ich glaube, Force hat es.«
Lawson-Young zitterte plötzlich in dem klammen, kalten Wind, und meine Gedanken waren nicht mehr richtig im Fluß. Ich schlug vor, unsere Unterhaltung irgendwo ins Warme zu verlegen, und nach einigem Nachdenken und einer Rücksprache übers Mikrofon sagte der Professor, wenn es mir recht sei, möchte ich ihn bitte zu seinem Labor begleiten.
Das war mir nicht nur recht, sondern ich fühlte mich durch das Angebot geehrt, und nach der Miene des Professors zu urteilen, sah er mir das an. Sein Vertrauen reichte indessen nicht so weit, daß er in meinen Wagen gestiegen wäre, sondern er fuhr mit einem, der plötzlich aus dem Nichts auftauchte, und ich fuhr mit Jim hinterher.
Das Forschungslabor des Professors lag im Erdgeschoß eines ziemlich imposanten Stadthauses aus dem neunzehnten Jahrhundert mit einem Säulenvorbau. Auf der Schwelle der Eingangstür jedoch ließen wir die Vergangenheit hinter uns; was vor uns lag, war die Zukunft.
Das war das Reich des Professors George Lawson-Young. Er stellte mich den jungen Medizinern seines Teams vor, die ich hauptsächlich oder überhaupt nur deshalb interessierte, weil ich vor langer Zeit ein Relaissystem entwickelt hatte, das die Geschwindigkeit, mit der sich flüssige oder gasförmige Stoffe durch Röhren unterschiedlichen Durchmessers bewegten, präzise zu steuern erlaubte.
Sonst waren nicht viel Arbeiten von mir zu sehen, aber der in winzige Pipetten und einige Spezialgläser eingravierte Firmenname LOGAN GLAS sorgte dafür, daß man mich als Mann vom Fach und nicht bloß als Besucher ansah. Jedenfalls konnte ich Dinge wie Saugheber, Zellseparatoren, Petrischalen und Destillierkolben beim Namen nennen, und als ich dann fragte, was Adam Force beim zweiten Mal gestohlen habe, wurde mir geantwortet.
«Inzwischen glauben wir eher, es war schon sein dritter Coup«, meinte eine junge Frau in einem weißen Kittel.
«Wie es aussieht, hat er auch die Formel für unser neues Asthmamittel entwendet, das die Vernarbung der Atemwege chronisch Asthmakranker verhüten soll. Das ist uns erst vor kurzem klargeworden, denn damals versicherte er uns, er nehme nur Resultate vom Vorjahr mit nach Hause, und wir glaubten ihm.«
Ringsherum wurde nachsichtig genickt. Trotz allem konnten sie Adam Force nicht böse sein. Der Professor selbst sagte mir schließlich ernüchtert, was ich die ganze Zeit schon hatte wissen wollen.
«Das von Adam Force aufgenommene und gestohlene Videoband zeigt die Ausbildung bestimmter Gewebekulturen und ihrer Bestandteile. Es handelt sich dabei um Zellkulturen einiger verbreiteter Krebsarten wie Lungenoder Brustkrebs. Ziel war die Entwicklung genetischer Mutationen, welche die Krebszellen sensibler für die Einwirkung von Arzneimitteln machen. Möglicherweise lassen sich alle landläufigen Krebsarten dadurch heilen, daß man den Erkrankten ein solches mutiertes Gen einpflanzt. Wahrscheinlich ist auch die chromatografische Aufteilung der verschiedenen Komponenten des genetischen Materials der Krebszellen auf dem Band zu sehen. Das ist alles sehr kompliziert. Auf den ersten Blick gibt das keinen Sinn, wenn man die Fachkenntnisse nicht hat. Deshalb wäre es gut möglich, daß der Vermerk >Nicht überspielen< mißachtet wird.«
Die technischen Einzelheiten waren mir zwar zu hoch, aber zumindest verstand ich, daß es auf dem Videoband, das die Menschheit retten konnte, um ein Heilmittel für zahlreiche Krebsarten ging.
«Und das soll funktionieren?«fragte ich den Professor.
«Es ist ein wesentlicher Fortschritt«, antwortete er.
«Aber«, überlegte ich laut,»ist es Millionen wert, wenn Force damit hausieren geht?«
«Das wissen wir nicht«, meinte Lawson-Young düster.
Auch Adam Force hatte gesagt:»Das weiß ich nicht.«
Offenbar keine Lüge, sondern ein Hinweis darauf, daß der Vorgang noch nicht hinreichend getestet worden war. Das Videoband war der Nachweis einer Möglichkeit, einer Bei-nah-Gewißheit, deren Wert sich erst noch zeigen mußte.
«Sie haben aber doch bestimmt Sicherheitskopien von allem, was auf dem Band war, oder?«fragte ich.»Selbst wenn jetzt Pferderennen darauf sein sollten?«
Ruhig wie ein Verurteilter, der sich mit der Unvermeid-lichkeit seiner Hinrichtung abgefunden hat, sagte mir der Professor die bittere Wahrheit.»Bevor er sich mit der Videokassette davonmachte, hat Adam unsere Aufzeichnungen darüber komplett zerstört, und sie konnten bis heute nicht ersetzt werden. Wir brauchen dieses Band, und ich kann nur hoffen, daß Sie recht haben und er gelogen hat. Das ist die Arbeit von zwei Jahren. Es forschen noch andere auf dem Gebiet, und wenn sie den Durchbruch vor uns schaffen, machen wir Millionen Verlust, statt Millionen zu verdienen.«
Während er kurz schwieg, klingelte das Telefon. George Lawson-Young nahm ab, hörte zu und gab den Hörer wortlos an mich weiter. Der Anrufer war Jim, in einem Zustand heller Aufregung.
«Der Doktor von gestern«, sagte er bestürzt,»der mit dem weißen Bart — «
«Ja?«
«Der ist hier draußen.«
«Mist… was macht er?«
«Er wartet. Er sitzt in seinem Wagen, der fünfzig Meter weiter oben an der Straße steht, und er hat einen großen Haudrauf bei sich. Aus der Gegenrichtung, ein Stück die Straße runter, erwartet Sie ebenfalls ein Wagen. Das ist die klassische Zange, und Sie sind in der Mitte. Was soll ich tun?«
«Wo sind Sie genau?«fragte ich.»Muß ich nach rechts oder nach links gehen, um zu Ihnen zu kommen?«
«Nach links. Ich stehe vier Wagen vor dem Weißbart, gegenüber von der Tür, durch die Sie das Gebäude betreten haben. Ich parke da, aber eine Politesse streicht herum. Im Gegensatz zu Weißbart stehe ich im Halteverbot, und ich kann mir keine Strafzettel mehr leisten, die sind schlecht fürs Geschäft.«
«Bleiben Sie im Halteverbot«, sagte ich.»Fahren Sie nur weg, wenn die Politesse Ihnen keine andere Wahl läßt. Dr. Force hat Sie und den Wagen gestern gesehen, das ist nicht zu ändern.«
Jim hob die Stimme:»Weißbart ist ausgestiegen! Was soll ich machen? Jetzt kommt er hier herüber!«
«Jim«, sagte ich ruhig,»nur keine Panik. Schauen Sie Dr. Force nicht an, wenn er näher kommt, und lassen Sie die Fenster zu. Unterhalten Sie sich weiter mit mir, oder lesen Sie mir was vor, wenn Sie was greifbar haben.«
«Herr Jesus.«
Lawson-Young zog seine Augenbrauen bis zum Haaransatz hoch.
«Mein Fahrer ist beunruhigt, weil Adam Force draußen vor der Klinik ist«, erklärte ich ihm. Und verschwieg, daß mich der Arzt bei unserer vorangegangenen Begegnung mit einer veritablen Giftspritze verscheucht hatte.
Jim las mir mit flatternder Stimme die Anfangssätze der Bedienungsanleitung für den Rover vor und fiepte plötzlich:»Er ist an meinem Fenster. Er klopft dagegen. Mr. Logan, was soll ich tun?«
«Lesen Sie weiter.«
Ich bat den Professor, den Hörer zu übernehmen, und eilte unverzüglich von unserem Standort im Labor zum Ausgang und hinaus auf die Straße. Dort stand auf der linken Seite Adam Force auf der Fahrbahn, klopfte heftig gegen das Fenster auf der Fahrerseite des Rovers und geriet über Jims ausbleibende Reaktion sichtlich in Rage.
Ich ging schnell den Gehsteig hinunter, verlangsamte auf den letzten Metern, überquerte die Straße, trat leise von hinten an Dr. Weißbart heran und sagte, als ich an seiner Schulter anlangte, wie zu Victor auf dem Bahnhof Taunton:
«Tag.«
Worthington und Tom Pigeon hätten nichts davon gehalten. Adam Force fuhr überrascht herum.
«Suchen Sie mich?«fragte ich.
Im Wagen zeigte Jim hocherregt mit dem Finger auf den Laboreingang und die Straße dahinter. Es herrschte wenig Verkehr, aber von einem der herankommenden Wagen, so bedeutete mir Jim, war das Schlimmste zu erwarten.