«Allerdings gibt es Gifte«, meinte er vorsorglich zu mir,»die sich nur schwer identifizieren lassen.«
«Es wird schon was sein, was in Phoenix House in der Apotheke war«, sagte ich.»Ich habe Force erst gestern nachmittag kennengelernt. Er hatte nicht die Zeit, etwas Ausgefallenes zu organisieren.«
Der Inhalt des Bällchens war überhaupt kein Problem. Schon nach knapp zehn Minuten hatte der junge Forschungsassistent einen Namen dafür.»Das ist Insulin«, sagte er rundheraus.»Ganz normales Insulin, wie es Diabetiker verwenden.«
«Insulin!«rief ich enttäuscht aus.»Weiter nichts?«
Der Forschungsassistent und der Professor lächelten nachsichtig.»Sind Sie zuckerkrank«, sagte der Professor,»kann die Dosis Insulin in dieser Spritze Sie für immer ins Koma befördern. Sind Sie nicht zuckerkrank, kann eine solche Menge Sie umbringen.«
«Mich umbringen?«
«Mit Sicherheit«, nickte Lawson-Young.»Das war eine letale Dosis. Man darf annehmen, daß sie nicht für Ihren Chauffeur, sondern für Sie bestimmt war; aber das hätte ich nun wirklich nicht von Adam gedacht. «Er hörte sich niedergeschmettert an.»Wir wußten, daß er stiehlt, aber töten. «Er schüttelte den Kopf.»Wissen Sie genau, daß die Spritze von ihm kam? Oder haben Sie sie bloß da auf der Straße liegen sehen?«
«Ich weiß genau, daß er sie in der Hand gehalten hat und daß ich sie ihm herausgeschlagen habe.«
Der Professor und ich saßen mittlerweile auf Drehstühlen in dem Bereich des Labors, den er als persönliches Arbeitszimmer nutzte.
«Die große Frage«, meinte ich,»ist eigentlich, warum?«
George Lawson-Young hatte keine Ahnung.
«Tun Sie mir einen Gefallen«, bat er schließlich.»Erzählen Sie mir die Geschichte mal von Anfang an.«
«Dann sage ich kurz meinem Fahrer Bescheid.«
Ich benutzte mein Handy. Jim meldete sich auf seinem Autotelefon und war einerseits erleichtert, daß ich frei sprechen konnte und von mir hören ließ, befürchtete aber andererseits, zu spät nach Hause zu kommen, wo seine Frau mit dem Risotto wartete. Außerdem machte er sich
Gedanken, wo er mich gesund und unbehelligt abholen könnte. Ich war schon froh, daß er sich bereit erklärte, auf mich zu warten. Der Professor ließ sich mein Handy geben, wies Jim an, in genau einer Stunde wiederzukommen, und bat mich, die sechzig Minuten voll zu nutzen.
«Die Geschichte handelt von zwei Videobändern«, begann ich zögernd.
«Zwei?«fragte der Professor.
«Zwei«, erwiderte ich, stockte dann aber.
«Bitte erzählen Sie. «Der Professor hatte es verständlicherweise eilig.
«Eines wurde hier von Adam Force aufgenommen und gestohlen«, sagte ich.»Er überredete Martin Stukely, es für ihn aufzubewahren, damit es niemand fand.«
«Wir hatten einen richterlichen Durchsuchungs- und Beschlagnahmebefehl erwirkt und bereits angefangen, überall danach zu suchen, auch bei Adam zu Hause«, sagte Lawson-Young,»aber wir wären nie darauf gekommen, daß es in den Händen eines Jockeys ist.«
«Deshalb hat er es ihm wahrscheinlich gegeben«, sagte ich.»Aber wie es aussieht, dachte Martin, das Videoband sei bei mir, einem Freund, der keine vier neugierigen Kinder hat, noch besser aufgehoben. «Und keine geschwätzige oder zänkische Frau, hätte ich hinzufügen können. Die Frage blieb, ob Martin mir das Videoband wirklich gegeben hätte, wenn ihm klar gewesen wäre, daß es gestohlene Daten enthielt.
Der Professor lächelte.
«Martin Stukely«, fuhr ich fort,»nahm das gestohlene Band beim Pferderennen in Cheltenham von Force entgegen und gab es vorübergehend seinem Jockeydiener zur Aufbewahrung. Dann ritt er ein Pferd namens Tallahassee in einem Rennen, von dem er nicht zurückkam.«
Lawson-Young nickte.»Als Martin Stukely starb, gab der Jockeydiener Eddie das Band an Sie weiter, da er wußte, daß Martin es so gewollt hatte. «Der Professor schwieg.
«Mit Eddie dem Jockeydiener haben sich auch unsere Ermittler unterhalten, und er sagte ihnen, er wisse nichts von einem gestohlenen Forschungsvideo. Er sei der Meinung gewesen, er habe es mit einem Video von Ihnen zu tun, in dem Sie erklären, wie man eine unschätzbar wertvolle antike Halskette nacharbeitet.«
«Das ist das zweite Band«, sagte ich.»Es ist ebenfalls verschwunden.«
«Eddie hatte Ihr Halskettenduplikat in der Jockeystube gesehen. Und nebenbei bemerkt…«, George Lawson-Youngs kleines Büro erstrahlte von seinem Lächeln,»er fand es fabelhaft. Vielleicht können Sie es mir eines Tages mal zeigen, wenn das hier alles vorbei ist.«
Ich fragte ihn, was er unter» vorbei «verstehe, und sein Lächeln verschwand.»Für mich wird es vorbei sein, wenn wir das Videoband von unserer Arbeit wiederhaben.«
Er wußte sicher, daß Videobänder ziemlich einfach zu kopieren waren. Und daß es sich mit den darauf aufgezeichneten Informationen verhielt wie mit der Büchse der Pandora: Was einmal draußen war, blieb draußen. Das gestohlene Band zeigte vielleicht jetzt wirklich Pferderennen. Die Aufzeichnungen zur Krebsforschung aber kursierten vielleicht schon weltweit, so daß der Professor sie nicht mehr für sich, für sein Labor reklamieren konnte. Vielleicht war für ihn schon alles vorbei.
Für mich, dachte ich, würde es vorbei sein, wenn mich Rose und Adam Force in Ruhe ließen — aber wie aus heiterem Himmel schob sich plötzlich der vierte Schwarzmaskierte in mein Bewußtsein. Es würde erst vorbei sein, wenn seine Maske fiel.
Ganz beiläufig kam ich auf Nummer vier zu sprechen, da ich befürchtete, der Professor könnte meine Furcht davor als Hirngespinst abtun, doch er nahm sie durchaus ernst.
«Nehmen Sie die Vier in alle Ihre Berechnungen mit hinein«, empfahl er,»und schauen Sie sich die Ergebnisse an. Ergibt sich ein Grund, weshalb Force Ihnen nach dem Leben trachtet? Ergibt sich ein Grund, weshalb Sie überfallen werden? Denken Sie darüber nach.«
Das war vermutlich die Methode, die er gemeinhin bei seinen Forschungen anwandte: Addiere zu allem, was du gesehen und gehört und noch nicht ganz verstanden hast, eine Unbekannte, den Faktor x, und was bekommst du?
Bevor ich die Methode auch nur einüben konnte, kam einer der jungen Assistenten und teilte dem Professor und mir mit, daß Adam Force auf dem Gehsteig gegenüber dem Labor stand, zusammen mit einer drahtigen brünetten Frau — meiner Freundin Rose. Dr. Force, so hörten wir, starre auf den Eingang seiner einstigen Arbeitsstätte, als sinne er auf den bestmöglichen Weg zur Erstürmung der Bastille. Der Forschungsassistent wiederum tüftelte schon eifrig an einem Fluchtweg aus der Festung.
Der Professor meinte nachdenklich:»Adam kennt sich im Gebäude und drum herum mindestens so gut aus wie wir anderen. Er wird den Mann, der jetzt nicht mehr zu sehen ist, am Hintereingang postiert haben. Wie bekommen wir Mr. Logan also hier heraus, ohne daß Force es merkt?«
Die blitzgescheiten Forscher fanden zwar mehrere schwindelerregende Möglichkeiten, aber schließlich stimmten sie alle für den Fluchtweg, den ich dann auch nahm.
Die bildhübsche Ärztin, deren Vorschlag ich folgte, gab mir lebensgefährliche Anweisungen.»Gehen Sie die
Treppe hinauf. Am Ende der Treppe im sechsten Stock ist eine verriegelte Tür. Wenn Sie die aufmachen, kommen Sie aufs Dach. Da lassen Sie sich runterrutschen, bis Sie zu einer Brüstung kommen. Schleichen Sie geduckt die Brüstung entlang, damit der Mann unten auf der Gasse hinterm Haus Sie nicht sieht. Halten Sie sich rechts, und lassen Sie den Kopf unten. Da sind sieben Häuser aneinandergebaut. Sie schleichen hinter den Brüstungen durch bis zu der Feuerleiter am Ende, und da steigen Sie runter. Das letzte Glied der Leiter müssen Sie ausklinken, damit sie bis zum Gehsteig reicht. Wenn Sie unten sind, schieben Sie das Stück wieder hoch und klinken es ein. Mein Wagen steht dort in der Gasse. In einer halben Stunde komme ich hin. Bis dahin sollten Sie unten sein, ohne daß Dr. Force etwas gemerkt hat. Sie steigen zu mir in den Wagen, und ich bringe Sie zu Ihrem Fahrer. Sie müssen sich flach hinlegen, damit man nicht sieht, daß außer mir noch jemand im Wagen ist.«