Obwohl ich eine halbe Stunde vor dem normalen Arbeitsbeginn ins Geschäft kam, war Hickory bereits dort und versuchte hartnäckig noch einmal, das perfekte Segelboot zu zaubern. Diesmal hatte er das Boot viel größer angelegt und rote und blaue Streifen zum Mast hinaufgezogen, und das Ganze sah leichter und spielerischer aus.
Ich gratulierte ihm und bekam ein verächtliches Grunzen zur Antwort, so schnell konnte sein sonniges Gemüt in Donnerwetter umschlagen, und ich hoffte für ihn selbst und auch für unser eingespieltes kleines Team, daß sich der Sturm genauso ruckzuck wieder legte. Einstweilen räumte ich die Regale im Lager hinter dem Schmelzofen auf, den Hickory auf 1200 Grad Arbeitstemperatur eingestellt hatte. Im Umgang mit Glasschmelze, das mußte man ihm lassen, zeigte Hickory durchaus das Geschick, das er brauchen würde, um breite Anerkennung zu finden. Insgeheim dachte ich allerdings, daß es bei ihm nur für ein» beachtlich «und nicht für ein» grandios «reichte, und da er tief im Innern seine Grenzen kannte, waren seine derzeitigen Ressentiments etwas, dem man mit Nachsicht und freundlichem Lachen begegnen mußte, wenn er bleiben oder aber im guten scheiden sollte.
Irish und Pamela Jane kamen wie so oft gemeinsam und redeten gerade über einen Film, den sie gesehen hatten und in dem ein böser Glasbläser vorkam. Sie fragten Hickory nach seiner Meinung dazu und zogen ihn derart in die Diskussion hinein, daß Hickorys kostbares neues Segelboot mittendrin plötzlich mit einem mordsmäßigen Knall in fünf oder sechs Stücke zersprang. Es hatte frei auf der Bank gestanden und war an der Außenseite rascher abgekühlt als im ultraheißen Innern. Die Spannungen waren für das empfindliche Glas zu groß geworden. Das Boot war auseinandergeflogen, und die Scherben lagen auf dem Boden.
Entsetzte Gesichter bei meinen drei Gehilfen. Hickory sah auf seine Armbanduhr und sagte düster:»Das waren gerade mal drei Minuten. Ich wollte es in den Ofen stellen. Scheiß auf euern blöden Film.«
Niemand faßte die Scherben an oder machte Anstalten, sie aufzuheben. Sie waren noch fast so heiß wie in der Schmelze — man konnte seine Finger dran grillen.
«Machen Sie sich nichts draus. «Ich sah achselzuckend auf die traurigen Bruchstücke. Ich brauchte sie nicht daran zu erinnern, daß Späne flogen, wo gehobelt wurde. Es passierte wirklich jedem. Auch den besten.
Wir arbeiteten fleißig den ganzen Morgen und machten steil fliegende Vögel für Mobiles, die sich immer gut verkauften. Sie waren eine Spezialität von Pamela Jane, die am nächsten Morgen dann die Vögel auch auf Schnüre ziehen und sie gegen Mittag sorgfältig verpacken würde, so daß sie sich beim Herausnehmen nicht verhedderten.
Hickory, dem immer wunderschöne Vögel gelangen, hatte seine gute Laune wiedergefunden, als Worthington mit Marigolds Rolls-Royce vorfuhr. Marigold selbst entstieg ihrem blankpolierten Wagen in einem auffällig schwarzweiß gestreiften Kaftan und klimperte ausladend mit den dick getuschten Wimpern wie eine Giraffe. Sie sei gekommen, um mit mir im Wychwood Dragon essen zu gehen, sagte sie. Sie wolle mich um einen Gefallen bitten.
Worthington, immer einen Schritt hinter Marigold, wenn er als Leibwächter fungierte, sah nach dem Skiurlaub noch sonnengebräunter aus. Er hatte die meiste Zeit, wie er sagte, auf der Piste verbracht, während Marigolds Garderobe um drei riesengroße Koffer angewachsen war. Und beide hatten sich offenbar glänzend amüsiert.
Marigolds knisternde Vitalität brachte wie gewohnt alle um sie herum zum Schmunzeln, und sie und Hickory flirteten nicht zum ersten Mal ausgelassen miteinander.
Marigold hatte so viel Spaß daran, daß sie eine halbe Stunde blieb — ein Jahrhundert für sie —, während Worthington mich unauffällig zum Ofen hinüberzog und mir mit dem unglücklichsten Gesichtsausdruck mitteilte, daß die geheime Bruderschaft der Buchmacher mit meinem Untergang, wenn nicht gar meinem Tod rechnete.
«Rose schleicht immer noch herum und sinnt auf Rache, weil sie es nicht erträgt, daß Sie nicht vor ihr in die Knie gehen. Man lacht sie aus, weil Sie und Tom und ich zwei ihrer wohlgeplanten Abklatschereien heil überstanden haben, und diesen Gesichtsverlust wird sie auf keinen Fall hinnehmen. Seien Sie also auf der Hut, denn wie ich höre, werden Sie in Broadway beglast, und jede kleine Bewegung wird sofort Rose gemeldet.«
«Beglast?«
«Beobachtet. Leben Sie hinter dem Mond? Fernglas, Nachtglas, Opernglas. Aber ernstlich, Gerard, Tom Pigeon sagt, damit ist nicht zu spaßen.«
Ich versprach ihm, mich in acht zu nehmen, aber wer konnte schon auf Dauer im Alarmzustand leben?» Wenn das so ist«, sagte ich,»will ich Ihnen nicht verschweigen, daß Rose und Adam Force gestern schon versucht haben, mich umzubringen. Zumindest glaube ich das.«
Er hörte grimmig zu und stellte die unbeantwortbare Frage:»Wo ist Rose jetzt?«
Marigold und Hickory, die ihr Geschäker nicht trotz, sondern gerade wegen ihrer zwanzig Jahre Altersunterschied genossen hatten, gaben sich zum Abschied einen Schmatz auf die Wange, und Marigold und ich betraten unter allgemeinem Köpfedrehen den Speiseraum des Wychwood Dragon. Der Drachen selbst eilte mit vollen Segeln zwischen den Tischen hindurch Marigold entgegen, zwei prächtige Frauen, die sich ins Auge faßten, um zu ergründen, wer die Stärkere war.
In der Wahl ihrer Kleidung war eine so extravagant wie die andere, aber im Wimperntuscheverbrauch hieß die Siegerin eindeutig Marigold, und fast zwei Stunden vergingen, bevor sie den unterschwelligen Machtkampf leid war und mir sagte, warum sie mich zum Essen eingeladen hatte.
Einleitend verkündete sie:»Ich bin Bon-Bons Mutter.«
«Aha«, sagte ich. Das war mir bekannt.
«Zu Weihnachten«, fuhr Marigold fort,»bekam BonBon von den Kindern eine Videokamera, und Martin wollte ihr noch eine Halskette schenken.«
Ich nickte.»Aber ein Paar warme Winterschuhe war ihr lieber.«
«Das dumme Kind hat keinen Geschmack.«
«Aber wenn sie doch kalte Füße bekommt…«
Marigold war Mode weitaus wichtiger als Wohlbefinden.
«Martin sagte, du hättest mal eine unwahrscheinlich schöne Kette gemacht und die bekämst du auch noch mal hin. Könntest du jetzt nicht für Bon-Bon so eine machen? Als Geschenk von mir, versteht sich. Und die würde ich dann gern vorher mal sehen.«
Sie wartete unerhört geduldig auf meine Antwort und sah mir dabei hoffnungsvoll ins Gesicht. Ich wußte wirklich nicht, was ich ihr sagen sollte. Zu antworten, daß die Kette mehr kosten würde als die Winterstiefel und die Videokamera zusammen, wäre ein Affront gewesen, auch wenn es stimmte, aber außerdem war die Kassette mit der auf Gramm und Grad genauen Herstellungsanleitung für die Kette verschwunden und gehörte möglicherweise zu den Dingen, für die Rose über Leichen ging. Als ich eingewilligt hatte, die Kette für Bon-Bon zu machen, hatte ich Rose nicht gekannt.
Auf mein zu langes Schweigen hin fragte Marigold:»Wo liegt das Problem? Ist es zu aufwendig?«
Da eine Antwort unerläßlich wurde, sagte ich:»Wünscht sich Bon-Bon denn so eine Kette?«
«Sie weiß nichts davon. Es soll eine nette Überraschung sein, um sie aufzuheitern. Erst wollte ich ihr was aus Paris mitbringen, aber dann fiel mir ein, was Martin mit dir ausgemacht hat, also wie steht’s?«
Ihr wurde so selten etwas abgeschlagen, daß sie mein Zögern nicht verstand. Ich setzte mein gewinnendstes Lächeln auf und bat um ein wenig Bedenkzeit. Sie zog einen Schmollmund, und mir fiel Martin ein, der einmal lachend bemerkt hatte, wenn Marigold schmollte, sei Sturm angesagt.
Verdammt, dachte ich, würde er bloß noch leben! Seit einundzwanzig Tagen war er tot, und an jedem einzelnen hatte ich ihn vermißt.
«Die Kette, die ich damals angefertigt habe, liegt bei der Bank an der Ecke im Tresor. Ich finde wirklich, du solltest sie erst einmal sehen, bevor wir weiterreden.«
Der Schmollmund wich einem breiten, einsichtigen Lächeln, und obwohl wir ohne weiteres zu Fuß hätten gehen können, rief Marigold mit großer Geste Worthington herbei, bezahlte mit nicht minder großer Geste und überstrahlte den armen Drachen auf dem ganzen Weg bis zum Rolls.