In der Bank verneigte sich der Filialleiter bodentief vor Marigold, während seine Untergebenen enteilten, um uns die Stahlkassette zu bringen, deren Inhalt wir begutachten wollten. Ich öffnete die Kassette, nahm das samtbezogene blaue Kästchen heraus, das die Kopie des >Kretischen Sonnenaufgangs< enthielt, und legte sie Marigold zur Ansicht vor.
Da ich das antike Original nur beleuchtet hinter Glas gesehen hatte, war ein direkter Vergleich nicht möglich, aber im kalten Licht des Schauraums der Bank funkelte mein Duplikat, als käme das Licht aus ihm selbst, und erfüllte mich mit einem solchen Stolz, daß mein Onkel Ron vor Scham die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen hätte.
Marigold entfuhr ein überraschtes» Oh!«, dann holte sie Luft und sagte:»Ach du meine Güte«, und wurde sich nicht schlüssig, ob es ihr nun gefiel oder nicht.
Die vor dreitausendfünfhundert Jahren geschaffene Kette bestand aus zwanzig flachen Gliedern und jedes Glied aus dunkel- und aquamarinblauen Glasstückchen, die geschmolzenes Gold zusammenhielt. Die einzelnen Glieder waren fünf Zentimeter lang, einen Daumennagel breit und mit einem Blütenmotiv geprägt. Um den Hals getragen, fächerten die längsseitig aneinandergereihten Glieder wie die Strahlen der aufgehenden Sonne aus, und die Blütenmotive auf der Oberseite bildeten einen Kranz. Es war ein Schmuck von durchaus heidnischer antiker Pracht und von einigem Gewicht. Man konnte es der zarten Bon-Bon nicht verdenken, daß sie keinen Wert darauf gelegt hatte, ihn zu tragen.
Marigold kam wieder zu Atem und fragte, ob Martin die Kette gesehen habe.
«Ja«, sagte ich und nickte.»Er meinte, sie würde BonBon gut stehen, aber sie wollte lieber die Stiefel. «Ich hatte ihm die Nachbildung ohne Auflagen geliehen, und er hatte sie in der Jockeystube herumgezeigt. Zig Leute hatten sie gesehen.
Marigold, erstaunlicherweise schon wieder sprachlos, sah schweigend zu, wie ich die Kette wieder in ihre samtene Nacht sperrte und das Kästchen zurück in die Stahlkassette legte. Ich prüfte noch verschiedene Papiere — Testament, Versicherungspolicen, die Besitzurkunde für das Haus am Hang und andere Scheine, die üblicherweise zum Leben gehören, aber das Lehrvideo fehlte nach wie vor.
Noch einmal kämmte ich sorgfältig den Aktenstoß durch.
Keine Videokassette. Nichts. Dabei dachte ich, daß die Kette selbst mit der genauen Anleitung auf Video nicht gerade einfach anzufertigen war. Ich verwahrte sie nicht zuletzt deshalb im Safe, weil sie mich so viel Mühe und Tüftelei gekostet hatte.
Die Bankangestellten sperrten alles weg und händigten mir meinen Schlüssel aus, und Marigold befahl Worthington mit großer Geste, zu Logan Glas zurückzufahren. Von der Anweisung an ihren Chauffeur abgesehen, verhielt sie sich auf der kurzen Fahrt ungewöhnlich still, und schon im Wychwood Dragon war mir aufgefallen, daß sie ihren Ginkonsum drastisch eingeschränkt hatte.
Im Geschäft stolzierte sie dann durch den hell erleuchteten Ausstellungsraum, als wäre sie dort noch nie gewesen, und blieb schließlich vor Catherines Flügeln stehen, um uns allen — Worthington, Irish, Hickory, Pamela Jane und mir — eine Ansprache zu halten, als hätte sie die Schüler einer Grundschulklasse vor sich. Wir könnten uns glücklich schätzen, sagte sie, für ein so angesehenes Studio zu arbeiten. Sie aber werde dieses Ansehen durch einen ganz besonderen Auftrag noch wesentlich steigern,»denn Gerard«, hier warf sie mir eine Kußhand zu,»wird, natürlich mit Ihrer aller Unterstützung, eine wundervolle Halskette für mich kreieren, die ich den Marigold-Knight-Preis nennen und zur Erinnerung an meinen Schwiegersohn Martin Stukely alljährlich zu Silvester dem Sieger eines Hindernisrennens in Cheltenham überreichen werde… Na?«-sie breitete die Arme aus —»was haltet ihr davon?«
Was immer wir davon hielten, wir sahen sie in ehrfürchtigem Schweigen an.
«Also, Gerard«, wollte sie wissen,»was meinst du dazu?«
Ich sagte nicht:»Nun mal langsam. Das ist Wahnsinn«, aber ich dachte es.
«Davon hat jeder was«, fuhr Marigold triumphierend fort.»Es wird massenhaft neue Kunden hierherführen.«
Abgesehen von dem leidigen Problem der Versicherung hatte ihr Plan vor allem den Pferdefuß, daß jemand auf den Gedanken kommen konnte, die Nachbildung mit dem Original zu vertauschen, und das hätte Marigold mit dem Gesetz in Konflikt gebracht.
«Ich finde das eine wunderschöne Idee«, meinte Pamela Jane zu Marigold, und die anderen stimmten lächelnd bei. Nicht einmal Worthington meldete Bedenken an.
Hingerissen von dem Projekt, das sie sich da in zehn Minuten ausgedacht hatte, ging Marigold auch schon ins Detail. Sie würde sofort mit der Rennplanungskommission in Cheltenham sprechen. Gerard könne sich unverzüglich an die Arbeit machen. man müsse die Presse informieren.
Da hörte ich kaum noch zu. Fast alles hätte sich besser zum Rennpreis geeignet als die Kopie eines Schmuckstücks im Wert von Millionen. Auch die Glasskulptur für Martin, die ich im Kopf hatte, war dafür geeigneter. Glastrophäen gab es seit jeher im Rennsport, und den Auftrag, eine neue zu entwerfen, hätte ich mit Freuden angenommen.
Irish ergriff begeistert Marigolds Hand und schüttelte sie zu ihrer Überraschung heftig. Hickory strahlte. Bei Logan Glas waren alle für die Halskettenidee, aber der Kommission in Cheltenham gefiel sie vielleicht weniger.
Die Kommission in Cheltenham mußte erst einmal davon erfahren. Marigold benutzte mein Telefon und überredete ein einflußreiches Kommissionsmitglied, Logan Glas umgehend einen Besuch abzustatten.
Eine Stunde später empfing Marigold, die mächtige Männer zu bezaubern verstand, Kenneth Trubshaw, den Gentleman aus Cheltenham, mit einem zwanglosen Küß-chen und erläuterte ihren Plan, bevor sie ihn noch mit Irish, Hickory und Pamela Jane bekannt machte.
Der elegante, weltgewandte Mann vom Rennvereinsvorstand nickte mir zu. Wir kannten uns vom Sehen, hatten aber bis dahin noch nicht miteinander gesprochen. Marigold schwang die Arme in die Luft, um das zu ändern.
«Sie kennen doch Gerard Logan, mein Lieber?«
«Ehm… ja, natürlich.«
«Denn Gerard hat diese fabelhafte Halskette gemacht, die Sie sich unbedingt ansehen müssen, sie liegt hier auf der Bank.«
Alle schauten auf ihre Armbanduhr oder auf die Wanduhr in der Galerie. Die Bank hatte seit fünf Minuten geschlossen, und Marigold sah frustriert aus. Die Zeit war zu schnell vergangen.
Zögernd schlug ich vor, damit Mr. Trubshaw nicht umsonst gekommen sei, könne er sich ja vielleicht einige andere Sachen von mir ansehen, aber das war Marigold auch nicht recht.»Die Kette«, wandte sie ein,»ist wenigstens zum Teil aus Gold, mein Lieber, und es soll doch so eine Art Gold Cup sein.«
Kenneth Trubshaw tat, vielleicht mehr aus Höflichkeit als aus Interesse, unverbindlich ein paar Schritte in den Ausstellungsraum hinein. Dann schien er erfreulicherweise doch hinzuschauen, stockte, ging einen Schritt zurück und blieb nachdenklich vor Catherines Flügeln stehen.
«Wieviel kostet das?«fragte er.»Es steht kein Preis dran.«
«Das ist verkauft«, sagte ich.
Einhellige Überraschung bei meinen drei Mitarbeitern.
«Schade«, meinte Trubshaw.
«Da ist zu wenig Gold dran«, bemäkelte Marigold.
«Nun«, sagte ich,»ich habe schon mal ein Pferd gemacht, das über ein Hindernis geht. Das Hindernis war aus massivem Gold, die Hufe auch. Das übrige Pferd bestand aus Kristall, der Boden und der Sockel aus schwarzem Glas mit kleinen goldenen Einschlüssen.«
«Wo ist das jetzt?«fragte Kenneth.
«In Dubai.«
Er lächelte.
«Und was ist mit der Kette?«fragte Marigold verärgert.