Ihr Kenneth beschwichtigte sie sanft.»Ich komme morgen noch mal und schaue sie mir an, aber der junge Mann hier hat mehr als bloß eine Kette vorzuweisen. Allein die Flügel…«Er sah hin und neigte den Kopf zur Seite.»Können Sie die nicht noch mal machen? Wenn sie verkauft sind?«
«So etwas verkaufe ich als Unikat«, entschuldigte ich mich. Ich war mir auch nicht sicher, ob ich die Flügel noch einmal hinbekommen hätte. Ihre kraftvolle, beeindruckende Linienführung kam direkt aus dem Unbewußten. Ich hatte noch nicht mal meine Notizen dazu ins reine geschrieben.
Er fragte, ob ich statt dessen ein Andenken an Martin Stukely entwerfen könne.
«Ich könnte ein golddurchwirktes Pferd im Sprung machen. Ein Pferd, das Cheltenhams würdig wäre.«
«Ich komme morgen wieder«, sagte der Rennplanungsvorstand und umarmte Marigold zum Abschied mit einem begeisterten Lächeln.
Da Marigold mit ihrer Tochter vereinbart hatte, mich bei ihr abzusetzen, fuhren sie, Worthington und ich danach zu Bon-Bon und trafen zur gleichen Zeit dort ein wie Priam Jones, der die ruinierten Reifen seines Wagens durch teure neue ersetzt hatte und entsprechend vorsichtig die kiesbestreute Einfahrt entlangfuhr. Bon-Bon hatte mir erzählt, daß er doch darauf verzichtet hatte, die Stadt wegen der über Nacht aufgestellten spitzzackigen Sperren zu verklagen, und daß sein ganzer Unmut sich jetzt gegen Lloyd Baxter richtete, der seine Pferde einschließlich Tallahassee in einen Trainingsstall im Norden in der Nähe seines Wohnorts verlegt hatte.
Bon-Bon kam zur Begrüßung aus dem Haus, und da Priam Jones nichts davon wußte, daß er auf meinen Wunsch eingeladen worden war, fiel es mir nicht schwer, so zu tun, als wäre unser Wiedersehen hier ein Zufall. Priam schien mir die letzte Sackgasse zu sein.
«Bon-Bon hat mich zu einem frühen Abendessen eingeladen«, erklärte Priam ein wenig wichtigtuerisch.
«Na, großartig«, meinte ich herzlich.»Mich auch.«
Seinem Gesichtsausdruck nach legte Priam keinen Wert auf meine Anwesenheit, und so konnte es ihm nicht recht sein, daß Bon-Bon dann auch noch ihre Mutter zu einer Kleiderschau ins Haus entführte und im Weggehen über ihre Schulter sagte:»Gerard, schenk doch bitte Priam was zu trinken ein, ja? Du findest alles im Schrank.«
Bon-Bons Trauer um Martin hatte ein Stadium erreicht, in dem der Schmerz wie ein Halt gebender Anker ist. Sie hatte die Kinder besser im Griff und führte auch den Haushalt wieder souveräner. Ich hatte sie gefragt, ob sie sich vorstellen könne, Priam zum Essen einzuladen, aber daß sie ihn so geschickt meiner Fürsorge überlassen würde, damit hatte ich nicht gerechnet.
In diesem Moment kamen die Kinder aus dem Haus gestürzt, die mich zu meinem Erstaunen als» Onkel Gerard «und Priam mit» Sir «anredeten. Sie drängten sich dann um Worthington und schleppten ihn zum Spielen zu den Garagen hinüber. Priam und ich gingen allein ins Haus und setzten uns in Martins Zimmer. Ich spielte wie gewünscht den Gastgeber und überredete ihn mit Engelszungen, mir von seinen rennsportlichen Erfolgen zu berichten, da ich in der Zeitung Lobendes über einen seiner Sieger gelesen hatte.
Mit einem Anflug der alten Großtuerei erzählte er mir, daß seine Pferde siegten, weil er es wie kein zweiter verstehe, sie zur rechten Zeit fit zu bekommen. Niemand könne ein Pferd so zielsicher wie er auf ein bestimmtes Rennen vorbereiten.
Er strich sich über das lichte weiße Haar, durch das die rosa Kopfhaut schimmerte, und räumte ein, daß Martin hin und wieder ein wenig zu seinen Trainingserfolgen beigetragen habe.
Entspannt lehnte er sich auf der Couch zurück, die ich ihm zugewiesen hatte, und trank Scotch mit Soda, während ich auf Martins Drehstuhl saß und mit den Stiften auf seinem Schreibtisch spielte. Ich mußte an Priams Tränenausbruch in Cheltenham denken und fragte mich nicht zum ersten Mal, ob Priam vielleicht weniger selbstsicher war, als er tat. Wenn es mir gelang, ihn auf der Ebene der Tränen anzusprechen, würde er mir vielleicht einiges erzählen, was ich noch nicht wußte, und diesmal würde mir kein Gartenschlauch dazwischenkommen.
«Wie gut«, fragte ich im Plauderton,»kennen Sie Eddie Payne, Martins alten Jockeydiener?«
Überrascht antwortete Priam:»Ich kenne ihn nicht näher, falls Sie das meinen, aber manchmal übergebe ich ihm die Farben, und da rede ich dann schon mit ihm.«
«Und Rose?«tippte ich an.
«Bitte?«
«Eddie Paynes Tochter. Kennen Sie die auch?«
«Wie kommen Sie darauf?«Er hörte sich verwundert an, aber er hatte die Frage nicht beantwortet. Eddie und seine Tochter hatten unter schwarzen Kapuzenmasken gesteckt, dachte ich, aber konnte Priam Maske Nummer vier gewesen sein?
«Priam«, sagte ich herzlich,»an dem unglückseligen Tag, als Martin starb, waren Sie so nett, mir die Kassette nach Broadway zu bringen, die ich dummerweise in meinem Regenmantel in Martins Wagen hatte liegenlassen. Dafür wollte ich Ihnen noch mal aufrichtig danken. «Ich schwieg und setzte dann hinzu, als hätte das eine mit dem anderen nichts zu tun:»Mir sind wilde Gerüchte zu Ohren gekommen, daß Sie die Kassette vertauscht hätten. Sie hätten sie behalten und mir eine andere in die Tasche gesteckt.«
«Unsinn!«
«Das denke ich auch«, sagte ich lächelnd und nickte.»Ich bin sicher, daß Sie mir die Kassette nach Broadway gebracht haben, die ich in Cheltenham bekommen hatte.«
«Gut. «Er hörte sich erleichtert an.»Warum haben Sie mir das dann alles erzählt?«
«Nun, weil es natürlich schon stimmt, daß Sie, wenn Sie hier waren, auch Martins Riesenvideosammlung gesehen haben. Aus Neugier könnten Sie die Kassette, die ich im Auto vergessen hatte, in seinen Recorder eingelegt haben, um mal reinzuschauen, und dann fanden Sie sie vielleicht langweilig oder konnten nichts damit anfangen und haben sie zurückgespult und wieder eingepackt und sie mir nach Broadway gebracht.«
«Das sind doch jetzt bloß Vermutungen«, beanstandete Priam.
«Schon. Aber vermute ich richtig?«
Priam wollte seine Neugier nicht eingestehen. Ich argumentierte, es könne für ihn nur von Vorteil sein, wenn feststehe, welche Kassette aus dem Geschäft verschwunden sei.
Er schien das einzusehen und machte wieder ein selbstzufriedenes Gesicht, und wieder brachte ich ihn arg aus der Fassung, indem ich fragte, wem er an jenem Abend oder früh am nächsten Morgen auf Anfrage versichert hatte, daß die von ihm nach Broadway gebrachte Kassette nichts mit einer antiken Halskette zu tun habe, ob die nun Millionen wert sei oder nicht.
Priams Gesicht verschloß sich. Diese Frage wollte er eindeutig nicht beantworten.
«War es Rose Payne?«fragte ich ohne Nachdruck.
Er starrte mich nur an, war nicht bereit, seine lange ge-zügelte Zunge zu lösen.
«Wenn Sie mir sagen, wer es war, können wir dem Gerede von den Kassetten, die Sie angeblich vertauscht haben, entgegentreten.«
«Die Wahrheit zu sagen, hat noch nie geschadet«, wandte Priam ein, aber das stimmte natürlich nicht, die Wahrheit ließ sich in Zweifel ziehen, und sie konnte schmerzlich sein.
«Wer?«fragte ich noch einmal, ohne ihn zu bedrängen, und gerade das bewog ihn vielleicht, mit der Sprache herauszurücken.
«Nach Martins Tod«, sagte er,»habe ich seine Sachen hierhergebracht, wie Sie wissen, und da mein Wagen in der Werkstatt war wegen der, ehm. weil die Reifen gewechselt werden mußten.«
Ich nickte unverfänglich und lächelte nicht.
Priam erzählte beruhigt weiter.»Nun, Bon-Bon sagte, ich könne Martins Wagen nehmen — sie war so verstört, sie hätte zu allem ja gesagt —, und so bin ich mit Martins Wagen erst nach Hause gefahren und dann mit Baxters Tasche und Ihrem Regenmantel wieder nach Broadway, und von dort schließlich wieder nach Hause. Als ich am nächsten Tag von der Morgenarbeit mit dem ersten Lot zurückkam, klingelte mein Telefon, und Eddie Payne war dran…«Priam holte Atem, war aber offenbar entschlossen, fertig zu erzählen.»Tja… Eddie wollte wissen, ob die Kassette, die ich Ihnen gebracht habe, auch bestimmt die war, die er Ihnen in Cheltenham gegeben hatte, und ich sagte, da sei ich mir ganz sicher, und da sonst nichts anlag, legte er auf.«