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Kapitel 10

Am Freitag sagte mir Jim, daß seine Frau ihm davon abgeraten hatte, mich weiterhin zu fahren, da offenbar ein böser Fluch auf mir laste. Durch unsere Verspätung am Mittwoch war ihr das Risotto verbrutzelt.

Jim und ich kamen jedoch zu einer gegenseitigen Übereinkunft, die wir mit Handschlag besiegelten. Er würde mich fahren, wenn ich ihn zu meinem Schutz brauchte, und zwar ohne Radio, aber für das doppelte Geld.

Als wir diese kleinen Startschwierigkeiten überwunden hatten, fuhr er Tom, mich und die Hunde gutgelaunt nach Taunton und hielt im Halteverbot vor dem Bahnhof an. Zu spät fiel mir ein, daß die Züge werktags anders fuhren als sonntags, so daß»mein «Zug schon durch war und Victor umsonst gewartet hatte.

Er war nicht auf dem Bahnsteig.

Ich sagte Tom Bescheid, der versprach, auf mich zu warten, dann lief ich die Straße hinunter, bis 19 Lorna Terrace in Sicht kam. Kein Victor. Zurück zum Bahnhof — und dort fand ich den schmalen, nervösen Jungen im Wartesaal.

Er sah verfroren und gestreßt aus, als er aufstand, und meine Ankunft genügte nicht, um ihn zum Lächeln zu bringen. Auf der Fahrt hatte ich einige Zeit damit verbracht, Victor in jedes Ereignis einzufügen, dem Maske Nummer vier beigewohnt haben könnte, aber offenbar lagen mir diese Gleichungen längst nicht so wie George

Lawson-Young, zumindest gingen sie mit Victor als der Unbekannten einfach nicht auf.

«Ich habe mich verspätet, weil ich nicht mit der Bahn gekommen bin«, erklärte ich kurz.»Was ist los?«

«Ich möchte…«Er hörte sich so verzweifelt an, wie er aussah. Er setzte neu an.»Tante Rose ist bei uns eingezogen. Ich hasse sie. Ich kann sie nicht ausstehen, und Mum redet nur mit mir, wenn ich auf Tante Rose höre, so eine Angst hat sie vor ihr. Und wenn Dad rauskommt, läßt er sich hier nicht blicken, solange sie da ist. Das weiß ich genau, aber was soll ich denn machen? Wo soll ich denn hin? Außer Ihnen kenn ich keinen, den ich fragen kann, und das ist zum Heulen, wenn ich an Ihr Gesicht denke…«

«Hast du’s bei deinem Großvater versucht?«

«Der hat eine Scheißangst vor Tante Rose«, erwiderte Victor verzagt.»Schlimmer als Mum.«

«Vorigen Sonntag…«, setzte ich an, und er unterbrach mich.

«Das tut mir leid. Mit Ihrem Gesicht, das tut mir echt leid. Ich dachte schon, Sie würden heute nicht kommen — Sie wären nicht gekommen.«

«Vergiß vorigen Sonntag«, sagte ich.»Konzentrier dich mal auf Adam Force.«

«Der ist großartig«, meinte Victor ohne Überzeugung und ergänzte dann stirnrunzelnd:»Das sagen alle. Er hat ein paarmal meinen Computer benutzt. So bin ich an seinen Brief gekommen. Er dachte, er hätte die Datei gelöscht, aber sie war noch im Zwischenspeicher.«

Das erklärte vieles.

«Wie lange kennt er deine Tante Rose schon?«fragte ich, und diesmal bekam ich eine Antwort.

«Ungefähr so lange, wie er Mum kennt. Ein paar Monate also. Mum hat so eine Busfahrt zu seiner Klinik mitgemacht, und er hat sich in sie verguckt. Ein richtig cooler Typ, dachte ich. Er kam immer zu ihr, wenn Dad auf der Arbeit war. Aber Tante Rose kriegte das spitz, und was macht sie? Sie flitzt zu dem Hotel, wo Dad arbeitet, und sagt, wenn er sich beeilt, kann er die beiden in flagranti in seinem eigenen Bett ertappen. Dr. Force ist schon weg, als Dad heimkommt, aber Mum bezieht fürchterlich Prügel, Dad bricht ihr das Nasenbein und fünf, sechs Rippen und was weiß ich, und Tante Rose geht zur Polizei und zeigt Dad an. Er kommt für ein Jahr hinter Gitter. Und vorigen Sonntag«, sagte er unglücklich,»da geht Tante Rose hin und schnappt Mum Adam Force weg, das hatte sie wahrscheinlich von Anfang an vorgehabt, und jetzt hört er auf sie, und so komisch es klingt, ich würde sagen, sie schlägt ihn ziemlich oft und ziemlich heftig, und trotzdem küssen sie sich hinterher.«

Er hörte sich verwirrt an, und ich dachte bei mir, daß Worthington ihm wohl einiges hätte erklären können. Der väterliche Worthington, weltgewandt und zuverlässig, ein patenter Kerl, konnte schlicht und einfach nicht Maske Nummer vier sein. Und Victor? Victor sicher auch nicht, obwohl Maske Nummer vier kein solcher Schrank wie Worthington gewesen war, sondern eher schlank und geschmeidig wie Victor. Aber es konnte nicht sein, daß Victor mich erst getreten hatte und mich jetzt um Hilfe bat.

Nicht Victor, nicht Worthington, aber wie stand es mit Gina?

War sie kräftig genug? Ich wußte es nicht genau und kam zögernd zu dem Schluß, daß ich es herausfinden mußte. Ich hatte fast die ganze Auswahl an Sackgassen durchprobiert und niemanden gefunden, der als die Unbekannte x in Frage kam. Dabei hatte es doch einen vierten maskierten Angreifer gegeben. Ich hatte die Hände gespürt. Die Schläge gespürt. Ich hatte die Augen hinter der Maske gesehen. Schwarzmaske vier gab es.

Dem Professor zufolge mußte es eine Frage geben, die ich nicht stellte, und solange ich die richtige Frage nicht stellte, konnte ich nicht erwarten, die richtige Antwort zu bekommen. Aber wie lautete die richtige Frage? Und wem sollte ich sie stellen?

Mit einem stillen Seufzer führte ich Victor aus dem Bahnhofsgebäude und brachte ihn wieder zu Tom und seinen drei schwarzen Vierbeinern, worüber er sich offensichtlich freute. Er sagte Tom, der Sonntag, den wir im Moor verbracht hatten, sei für ihn einer der schönsten Tage überhaupt gewesen. Jedenfalls bis seine Tante Rose ihn kaputtgemacht habe.

Er spielte mit den Hunden, die offenbar auch gutgelaunt waren, und unterhielt sich statt mit uns mit ihnen weiter.

«Man kann bestimmt auch heute noch ausreißen und Seemann werden«, hörten ihn die schwarzen Ohren sagen.

«Ich werde mal zu Victors Mutter gehen«, meinte ich nach einer Weile,»und wenn sie da ist, frage ich sie, ob er das Wochenende mit uns verbringen darf.«

«Ich mach das«, wandte Tom ein.

«Wir gehen beide«, sagte ich, und Victors Befürchtungen konnten uns nicht zurückhalten: Wir ließen ihn bei Jim, nahmen die Hunde mit und klopften an die notdürftig reparierte Haustür von 19 Lorna Terrace.

Gina Verity kam nachsehen und wollte uns die ausgebesserte Tür vor der Nase wieder zuschlagen. Toms schwerer Stiefel war dazwischen.

In den fünf Tagen seit dem vergangenen Sonntag hatte Gina Verity ihr gutes Aussehen, ihre Gelassenheit und ihr Selbstvertrauen eingebüßt.

Sie starrte auf mein zerschnittenes, abheilendes Kinn, als wäre das der Tropfen, der das Faß zum Überlaufen brachte.

«Kommen Sie bitte rein«, sagte sie hilflos, und mit hängenden Schultern führte sie mich durch den schon bekannten Flur zur Küche. Wieder setzten wir uns an den Tisch.

Tom und die Hunde standen vor dem Haus Wache, da Gina nicht wußte, wann ihre Schwester oder Adam Force zurückkamen.

«Ich würde Victor gern fürs Wochenende zu mir einladen«, sagte ich.

Gina zündete sich wie gehabt eine Zigarette an der anderen an.»Gut«, gab sie dumpf ihr Einverständnis.»Dann holen Sie ihn von der Schule ab. «Ihr kam ein Gedanke.»Aber daß Rose nichts davon merkt — sie würde das bestimmt nicht zulassen.«

Die Finger an Ginas linker Hand waren vom Nikotin fast braun verfärbt. Die Finger der rechten Hand waren weiß. Ich beugte mich vor und hob erst ihre rechte, dann ihre linke Hand an und ließ sie sanft wieder sinken. Die Arme waren kraftlos, ohne Energie. Gina war zu apathisch, um sich zu wehren, sie sah nur selbst von der einen zur anderen Hand und sagte:»Was ist denn?«

Ich gab keine Antwort. Die linke Hand von Maske Nummer vier war nicht so quittengelb gewesen, auch nicht unter der Straßenbeleuchtung und in Großaufnahme, oder besser gesagt beim Zuschlagen. Die kräftigen Arme von Maske Nummer vier hatten einem Mann gehört.

Gina war nicht Maske Nummer vier gewesen. Das stand mit Sicherheit fest.

Zeit zu gehen.

Draußen vor dem Haus stimmten die Hunde ein Jaulen, Knurren und Bellen an, das in seiner Signalwirkung mei-nem Warnpfiff entsprach, denn Toms Hunde gaben nur dann Laut, wenn er es wollte.