Gina stand sofort auf und wich mit unverkennbar angstgeweiteten Augen vom Tisch zurück.»Das ist Rose«, sagte sie.»Sie ist wieder da. Die bringt Hunde immer zum Bellen. Sie mögen sie nicht. Wenn Rose naht, sträubt sich ihnen das Fell.«
Und mir die Nackenhaare, dachte ich. Die laut bellenden Hunde gaben Gina recht.
«Gehen Sie«, forderte sie mich mit belegter Stimme auf.
«Hinten raus — durch den Hinterhof auf die Gasse. Los, schnell. Beeilen Sie sich. «Es ging ihr ebensosehr um die eigene Sicherheit wie um meine.
Es wäre vielleicht klug gewesen zu gehen, aber von der Devise, daß nur der, der kämpft und zeitig flieht, einen neuen Kampf bestehen kann, hatte ich noch nie viel gehalten. Vor Rose fliehen? Dreimal war ich ihr ja schon durch die Lappen gegangen, und einmal Adam Force. Bei so viel Glück, dachte ich, kam ich vielleicht noch ein wenig länger ungeschoren davon.
Ich schob meinen Stuhl zurück und legte ein Bein über das andere, blieb aber am Tisch sitzen, als die zielbewußten Schritte durch den Flur kamen.
Es war nicht Rose allein, bei ihr war Adam Force. Rose hatte Tom und seine Freunde erkannt, aber der Arzt konzentrierte seine ganzen negativen Gefühle auf mich. Vor zwei Tagen hatte er vorgehabt, mir Insulin zu spritzen und mich als Opfer eines Unfalls mit Fahrerflucht sterben zu lassen, doch der Plan war gescheitert. Mich jetzt in diesem Haus zu sehen raubte ihm die Fassung.
Rose war interessanterweise so schnell aufgeblüht, wie Gina gewelkt war. Ihre trockene Haut und ihr sprödes Haar schienen geschmeidig geworden zu sein, und sie strahlte vor Glück, einem Glück, das ich nach Victors Erzählungen nur auf befriedigenden Sex zurückführen konnte.
Adam Force mochte immer noch gutaussehend und charmant sein, aber in meinen Augen war er ein Betrüger, der sich sein eigenes Grab schaufelte. Wenn er die gestohlenen Informationen aus Professor Lawson-Youngs Labor noch irgendwo auf Band hatte, würde sich Rose dieses Band unter den Nagel reißen. Rose schnappte sich alles, was sie haben wollte, ob Mann, Videoband oder Macht.
Rose war definitiv eine der Schwarzmasken gewesen, Adam Force aber nicht. Er hatte mich nicht gekannt, als ich in Phoenix House auftauchte.
Ich stand auf und sagte lässig:»So was wie letzten Sonntag gibt es heute nicht. Ich wollte zwar hauptsächlich Gina sprechen, aber ich habe auch eine Nachricht für Rose.«
Zu meiner Verwunderung waren sie ganz Ohr.
Ich sagte:»Der vierte von eurer maskierten Bande hat mir ein Lied gesungen.«
Die Möglichkeit, es könnte etwas Wahres daran sein, nagelte Rose immerhin so lange an ihrem Platz fest, daß ich durch den Flur hinausgehen und mich in den Schutz der Dobermänner begeben konnte. Tom setzte sich in Bewegung und ging mit hochgezogenen Brauen im Gleichschritt mit mir zur Straße, und niemand kam hinter uns her, als wir um die Ecke bogen und mit den Hunden als Nachhut zum Bahnhof zurückkehrten.
«Wie sind Sie denn da heil rausgekommen?«fragte Tom.
«Ich war sicher, Sie würden pfeifen.«
«Ich habe sie angelogen.«
Er lachte. Aber es war nicht zum Lachen gewesen. Der abschätzende Blick, mit dem Adam Force mich von Kopf bis Fuß gemustert hatte, war mir vorgekommen, als berechnete er die Gesamtmenge an Gift, die bei soundso viel Kilo Körpergewicht nötig war, um mich zu beseitigen. Eine letale Dosis Insulin… eine Spritze zur Abschrek-kung, eine Flasche Cyclopropan, ein Vorspiel zu irgendeiner todbringenden Injektion. Rose schlug im Affekt zu, aber Adam Force war ein Mann, der vorsätzlich tötete.
In einer normalen Küche konnte Rose zwar jederzeit zum Messer greifen, aber Adam Force würde dort kein Gift finden, die Waffe seiner Wahl. Da konnte er lange suchen.
Ich hatte im Hinausgehen einen großen Bogen um Rose gemacht, aber der weiße Bart und die orangen Socken, die Liebenswürdigkeit und die Phoenix-House-Apotheke, die Gier nach einer Million und der Glaube an die eigene Unfehlbarkeit, das waren auf lange Sicht die Gefahren, die ich am meisten zu fürchten hatte.
Zwei verschiedene Videokassetten waren verschwunden, und beide hatte ich einmal in meiner Obhut gehabt. Hatte Rose jetzt das Video über die Kette? Besaß Force noch die Informationen zur Krebsforschung, die er gestohlen hatte? Möglicherweise war die Antwort einmal ja und einmal nein, aber wie zum Teufel sollte ich das herausfinden?
Auf dem Rückweg nach Broadway fuhren wir über Cheltenham, um Kenneth Trubshaw einen Besuch abzustatten, dem Mann von der Rennplanungskommission, der mir auf Jims Autotelefon gesagt hatte, er sei zu Hause. Etwas überrascht, wie viele wir waren, bat er meine Gefährten dennoch gastfreundlich in die warme Küche, setzte ihnen eine große Dose Kekse vor und komplimentierte mich allein in sein viel kälteres Wohnzimmer. Es war ein großer, nach Norden gehender Raum mit grauem Licht und grü-nem Teppichboden, eine Farbkombination, die mir aufs Gemüt drückte.
Ich gab ihm das Portfolio, das ich ihm zur Ansicht mitgebracht hatte, einen Überblick über meine Arbeit aus rund zwölf Jahren, dokumentiert in einer Reihe großformatiger Hochglanzfotos.
Die Stücke unverändert nachzubauen komme zwar nicht in Frage, sagte ich, aber wenn ihm welche gefielen, könne ich sehr wohl noch einmal etwas Ähnliches entwerfen.
Er legte das Portfolio auf den großen Tisch, schlug es auf und blätterte es langsam durch. Mir lag ziemlich viel daran, daß ihm wenigstens einige Sachen zusagten, merkte ich, auch wenn sich die Hälfte davon nicht direkt als Rennpreis empfahl. Allerdings waren in jüngerer Zeit schon Ehrenpreise in Gestalt sehr ausgefallener Glaskrüge kreiert worden. Der Phantasie waren heutzutage kaum Grenzen gesetzt.
Trubshaw sah das ganze Portfolio durch. Dann klappte er es zu meiner großen Enttäuschung zu und teilte mir mit einem viel zu strengen Zug um den Mund sein Urteil mit.
«Wenn Sie mir das Buch ausleihen, lege ich es unserer Kommission vor, die morgen wieder zusammentritt. Ich weiß, die liebe Marigold will Taten sehen. Ich werde sie anrufen, wenn die Entscheidung gefallen ist.«
Verdammt noch mal, dachte ich. Was für ein Gesicht machte der Mann denn, wenn er etwas rundweg ablehnte?
Er sagte:»Ich wäre für das springende Pferd. Könnten Sie so etwas noch mal machen? Und dann müßte ich wissen, wie hoch und wie schwer es insgesamt wird. Das auf dem Foto sieht aus, als wäre es zu groß.«
«Die Größe können Sie frei wählen«, versprach ich und sagte ihm, daß die Skulptur auf dem Foto einem Herrn von der Rennleitung in Leicester und seiner Frau gehörte.
Während Kenneth Trubshaw seine Überraschung zum Ausdruck brachte, rief ich mir, so gut ich konnte, noch einmal die Szene dort auf dem Balkon der Rennleitung in Erinnerung, das Gespräch, bei dem Lloyd Baxter mir zum ersten Mal von dem weißbärtigen Mann erzählte, der sich mit meinem Geld und dem so weit herumgekommenen Videoband davongestohlen hatte.
Lloyd Baxter mit seiner Epilepsie konnte nicht die Unbekannte x sein. Er hatte weder die Statur noch die Beweglichkeit von Maske Nummer vier.
Kenneth Trubshaw legte seine Hand auf das Portfolio und fragte nachdenklich:»Könnten Sie das nötige Gold einarbeiten, damit Marigold zufrieden ist?«
«Ja. Beliebig viel.«
«Ehm… wie geht das? Und, na ja… kann man das überhaupt bezahlen?«
«Es ist nicht allzu teuer.«
Kenneth Trubshaw und seine Kommission hatten triftige Gründe, sich für die Kostenfrage zu interessieren, doch er zögerte merklich, bevor er mich Platz zu nehmen bat, sich auch selbst hinsetzte und sagte:»Ich weiß nicht, wie weit Sie mit den Hintergründen und den Feinheiten der Rennsportpolitik vertraut sind. Damit meine ich jetzt nicht die Leistungen der Pferde oder Spekulationen über ihre Form. Ich meine etwa die Frage, ob die Kosten für einen Ehrenpreis vom Preisgeld abgezogen werden sollten, wie es bis vor kurzem Usus war. Der Ehrenpreis wird deshalb von vielen Besitzern zurückgewiesen, da sie lieber den Geldpreis in voller Höhe ausgezahlt bekommen möchten. Es gibt aber auch die Weisung, in jedem Fall sowohl den Geldpreis als auch den Ehrenpreis zu überreichen. Fragen Sie doch bitte Marigold, ob sie den Preis selbst stiften möchte oder ob der Rennverein dafür aufkommen soll.