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Nein. Sie ziehen mich heraus. Hinaus!

Es wird kalt, und ich kann nicht atmen. Ich ersticke! Ich versuche, mich festzuklammern, aber sie lassen nicht los! Sie ziehen mich immer weiter heraus, hinaus, hinaus in die Welt von Feuer und Schmerz!

Ich wehre mich. Ich will nicht. Aber es nützt nichts. Ich bin endlich hinausgezerrt.

Ich schaue mich um. Zwei verschwommene Gestalten über mir. Ich wische mir die Augen, und alles wird klar. Warshow und Sigstrom, das sind die beiden.

Sigstrom lächelt und sagt dröhnend: Na, das ist ja wunderbar verheilt!

Ein Wunder, sagt Warshow. Ein Wunder.

Ich schwanke. Ich möchte stürzen, aber ich liege schon. Sie reden weiter, und ich fange vor Wut an zu weinen.

Aber es gibt keinen Weg zurück. Es ist vorbei. Alles, alles vorbei.

Falks Stimme erstarb plötzlich. Warshow kämpfte gegen eine schier unüberwindliche Übelkeit an. Sein Gesicht fühlte sich kalt und klamm an, und er drehte den Kopf, um die blassen, nervösen Gesichter Sigstroms und Cullinans anzublicken. Hinter ihnen saß Thetona mit ausdrucksloser Miene.

Cullinan brach das lange Schweigen.

»Leon, Sie haben schon bei der ersten Sitzung zugehört. Haben Sie wiedererkannt, was er uns eben erzählte?«

»Das Geburtstrauma«, sagte Warshow tonlos.

»Offensichtlich«, sagte Sigstrom. Er fuhr mit zitternden Fingern durch seine dichte, weiße Mähne. »Die Chemotherapie… für ihn war das die Gebärmutter. Wir haben ihn zurück in den Mutterschoß getan.«

»Und ihn wieder herausgezogen«, sagte Warshow. »Wir haben ihn zur Welt gebracht. Und dann suchte er nach einer Mutter.«

Cullinan nickte zu Thetona hinüber.

»Er hat auch eine gefunden.«

Warshow befeuchtete die Lippen.

»Tja-a, nun haben wir die Antwort. Was fangen wir damit an?«

»Wir spielen ihm das Ganze auf Band vor. Sein bewußter Intellekt sieht seine Beziehung zu Thetona als das, was sie ist — der neurotische Zugriff eines erwachsenen Mannes, der in einen künstlichen Mutterschoß gezwungen wurde und nach einer Mutter sucht. Sobald wir das aus seinem Keller sozusagen in den Speicher geholt haben, glaube ich, wird er wieder in Ordnung sein.«

»Aber seine Mutter war das Schiff«, sagte Warshow. »Dort hat sich der Inkubationstank — der Mutterschoß — befunden.«

»Das Schiff hat ihn ausgestoßen. Sie sind ein Onkel-Image gewesen, nicht ein Mutter-Ersatz. Das hat er selbst gesagt. Er suchte anderswo und fand Thetona. Spielen wir ihm die Bänder vor.«

Viel später saß Matt Falk ihnen in der Kabine gegenüber. Er hatte seine eigene Stimme von seiner Vergangenheit erzählen hören. Jetzt wußte er Bescheid.

Es blieb lange still, als das letzte Band abgelaufen war und Falks Stimme gesagt hatte: »Alles, alles vorbei. Und ich bin schrecklich allein.«

Die Worte schienen in der Luft zu hängen. Schließlich sagte Falk mit kalter, toter Stimme: »Danke.«

»Danke?« wiederholte Warshow dumpf.

»Ja. Danke dafür, daß man mir die Augen geöffnet und mir fürsorglich gezeigt hat, was hinter meinem Leid war. Gewiß — danke.« Das Gesicht des Jungen war mürrisch und verbittert.

»Sie verstehen natürlich, warum es notwendig war«, sagte Cullinan. »Warum wir — «

»Ja, ich weiß, warum«, sagte Falk. »Und jetzt kann ich mit euch zur Erde zurückfliegen, und euer Gewissen ist rein.« Er warf einen Blick auf Thetona, die ihn mit sichtbar verstörter Neugier betrachtete. Falk fröstelte ein wenig, als sein Blick dem ihren begegnete. Warshow bemerkte die Reaktion und nickte. Die Therapie hatte Erfolg gehabt.

»Ich war glücklich«, sagte Falk leise. »Bis ihr zu der Ansicht gekommen seid, daß ihr mich mit zur Erde zurücknehmen müßt. Und da habt ihr mich durch die Mangel gedreht und mir alle Psychosen ausgequetscht, und — und — «

Thetona machte zwei schwerfällige Schritte auf ihn zu und legte die Arme um seine Schultern.

»Nein«, murmelte er und machte sich los. »Siehst du nicht, daß es vorbei ist?«

»Matt — « sagte Warshow.

»Sparen Sie sich das ›Matt‹, Käpt’n! Ich bin jetzt heraus aus dem Mutterschoß und wieder im Dienst.« Er sah Warshow traurig an. »Thetona und ich hatten etwas Gutes, Warmes und Schönes, und Sie haben es zerstört. Man kann es auch nicht wieder zusammensetzen. Okay. Ich bin bereit, wieder zur Erde zurückzufliegen.« Er stakte hinaus. Warshow starrte Cullinan und Thetona mit grauem Gesicht an und senkte die Augen. Er hatte gekämpft, um Matt Falk zu behalten, und gewonnen — oder doch nicht? Aber im Geist? Falk würde ihm das nie verzeihen. Warshow zuckte die Achseln und dachte an das Handbuch. Er hatte nicht vor, sich von Falks düsteren Augen weiterhin aufregen zu lassen. Man hatte damit rechnen müssen, daß der Junge verbittert sein würde. Kein Kind vergibt dem Elternteil, das ihn aus dem Mutterschoß reißt.

»Kommen Sie, Thetona«, sagte er zu dem Mädchen. »Kommen Sie. Ich bringe Sie in die Stadt zurück.«

Robert Silverberg

DER NEUTRALE PLANET

Science Fiction-Erzählungen

Wilhelm Goldmann Verlag

München

Made in Germany • I • 1110

© 1974 by Robert Silverberg

Ins Deutsche übertragen von Tony Westermayr.

Alle Rechte, auch die der fotomechanischen Wiedergabe, vorbehalten.

Jeder Nachdruck bedarf der Genehmigung des Verlages. Umschlag: Jürgen F. Rogner.

Satz: IBV Lichtsatz KG, Berlin.

Druck: Presse-Druck Augsburg. SF 0240 • bru/pap

ISBN 3-442-23240-6

Der neutrale Planet

Sanfte Kannibalen

Ein Präzedenzfall

Schocktherapie

Schmerzhafte Wiedergeburt

Das Ultimatum

Eine Goldgrube für Zoologen

Fleischfressende Bäume