«Finde dich lieber mit dem Gedanken ab, daß es weg ist«, sagte Offen mit einer gerade noch wahrnehmbaren Spur von Bosheit.
«Vielleicht hatten sie nicht genug Zeit«, sagte Yola.»Der Alarm wird gegeben, wenn jemand das kleine Zimmer betritt. Bis zum Eintreffen der Polizei kann eigentlich niemand den Safe öffnen und ausräumen. Wir haben schließlich genug dafür bezahlt.«
Sie hatten insofern Pech, als ich mir durch Zufall das kleine Zimmer bis zuletzt aufgespart hatte.
Yola legte auf. Nach zwanzig Sekunden Pause hörte ich, wie Onkel Bark vom unteren Telefon aus Matt anrief. Was Matt sagte, konnte ich nicht hören, aber seine Stimme klang wütend. Er schien sich einverstanden zu erklären, sofort zu kommen, aber nichts von dem, was Offen sagte, gab mir einen Hinweis auf Matts gegenwärtigen Aufenthaltsort. Allerdings mußte er sich irgendwo in erreichbarer Nähe von Las Vegas aufhalten, da er kommen, sich um alles kümmern und die Pferde rechtzeitig am Abend wieder füttern wollte. Das Gebiet, in dem ich ihn zu suchen hatte, schmolz damit auf nur hundertfünfzigtausend Quadratmeilen zusammen, grob überschlagen. Ein Taschentuch.
Dann folgte ein kurzes, uninteressantes Telefongespräch. Später, anscheinend am Nachmittag, hörte Offen am Fernseher eine Sportreportage von einem Pferderennen. Es nahm, wie ich mit Stichproben feststellte, die gesamte restliche Spielzeit des
Bandes von insgesamt vier Stunden ein.
Seufzend schaltete ich aus und ging nach unten. Eunice und Lynnie trugen Kleider in atemberaubenden Farben und tranken ihren Rumcocktail. Dabei beobachteten sie den Sonnenuntergang über dem Pazifik. Wieder empfingen sie mich recht kühl und beantworteten meine Fragen recht einsilbig.
Schließlich sagte Eunice unnahbar:»War’s schön in San Francisco?«
Ich mußte blinzeln.»Hm, ja, danke.«
Wieder hüllten sie sich in Schweigen, das ein Ober unterbrach, der mich ans Telefon rief.
Es war Walt.
«Wo sind Sie jetzt?«fragte ich.
«Am Flughafen Las Vegas.«
«Wie war’s?«
«Ich kann Sie beruhigen«, sagte er.»Die Pferde befinden sich auf einer kleinen Farm in einem Tal in Arizona, nicht weit von Kingman entfernt. Dort sind wir gelandet, und ich habe ein bißchen herumgefragt. Das Ehepaar, dem die Farm gehört, kommt anscheinend nicht besonders gut zurecht. Aber letzte Woche haben sie erzählt, ein Freund bezahle ihnen eine Reise nach Miami, und ein junger Mann würde sich um die Farm kümmern, während sie fort seien.«
«Großartig!«rief ich begeistert.
«Mit der Farbe war’s einfach. Als er es bemerkt hat, schrie er Zeter und Mordio, aber da war sie anscheinend schon so angetrocknet, daß er sie nicht mehr wegwischen konnte. Es war schließlich schon kurz nach Mittag. Ich hatte schon Sorge, er könnte das Abhörmikrofon entdeckt haben. Jedenfalls sind wir gestartet, als er den Motor anließ. Der gelbe Fleck war aus jeder Höhe leicht zu erkennen, wie Sie schon sagten. Er fuhr durch Las Vegas und über die Hoover-Damm-Straße nach
Arizona hinüber. Ich habe ihn mit dem Glas beobachtet, und ich bin sicher, daß wir nie so nahe herankamen, daß er uns bemerken konnte. Er fuhr eine Serpentinenstraße hinauf in die Berge südöstlich von Kingman.«
«Sie haben ein Wunder vollbracht.«
«Na sicher. Aber es lief alles viel besser, als wir befürchtet hatten. Bis in eine Höhe von mehreren hundert Metern konnte man durch die Kopfhörer des Hubschraubers alles recht gut hören. Selbst im Dunkeln hätten wir ihn verfolgen können, da er fast den ganzen Weg sein Radio eingeschaltet hatte. Ab und zu hörten wir Musik und Nachrichten.«
«Kommen Sie heute abend noch zurück?«
«Ja, in einer halben Stunde fliegt eine Maschine. Aber ich kann erst nach Mitternacht dort sein.«
«Ich bin noch wach«, sagte ich.»Übrigens, Walt — was haben Sie Eunice und Lynnie als Grund für meine Reise nach Los Angeles angegeben?«
Er räusperte sich.»Ich sagte, Sie hätten dort etwas zu erledigen.«
«Was denn?«
«Äh — hm — eine Frau…«
«Danke«, sagte ich ironisch.»Sie sind mir ein schöner Freund!«
Als ich auflegte, traf ein Laut meine Ohren, der sich verdächtig nach Lachen anhörte.
Kapitel 15
Lynnie und Eunice plauderten während des Essens in bester Laune miteinander, und ich saß schweigend daneben und machte Pläne für den nächsten Tag. Ich hörte ihnen gar nicht zu. Nach dem Kaffee sagten wir uns höflich gute Nacht; um elf Uhr fuhr ich zur Orpheus-Farm, legte ein neues Tonband in das Gerät ein und brachte das bespielte mit zurück.
Als ich es gerade abhörte, kam Walt zu mir ins Zimmer. Wir lauschten beide, wie Culham James Offen sich erst mit Matt und dann mit Yola unterhielt.
Für uns war Yola die ergiebigere Quelle; denn ihre hohe, weibliche Stimme klang scharf aus dem Hörer. Ich konnte mir gut vorstellen, wie Onkel Bark ihn ein Stück vom Ohr weghielt, um seine Trommelfelle zu schonen.
Er tat sein Bestes, sie zu beruhigen.»Matt meint, es hätte schlimmer kommen können. Einige von diesen Vandalen haben in anderer Leute Häuser sogar mit Sirup und Einmachgläsern um sich geworfen.«
«Er sagt, der ganze Fußboden sei mit Mehl bedeckt. Es wird Wochen dauern, bis alles wieder sauber ist.«
«Mit dem Staubsauger geht das doch ganz einfach, wie? Mehl klebt nicht und macht keine Flecken.«
Aber sie war nicht zu beruhigen, auch dann nicht, als er ihr versicherte, das Geld sei in Sicherheit, und ihr Nerzmantel sei nicht gestohlen worden.
Sie jammerte:»Aber Matt sagt, er sei ganz weiß gewesen.«
«Das Mehl läßt sich herausbürsten. Vielleicht wird er davon noch sauberer.«
«Du verstehst das alles nicht.«
«Doch, Yola«, sagte er geduldig.»Du hast das Gefühl, daß man dich und nicht dein Haus beleidigt hat. Du fühlst dich beschmutzt und bist wütend und möchtest den Kerl, der das getan hat, am liebsten ohrfeigen. Sicher weiß ich das. Als deine Tante Ellen noch lebte, wurde bei uns auch einmal eingebrochen. Alle ihre Ringe wurden gestohlen, und sie sagte, das sei wie eine Vergewaltigung.«
Sie redeten noch eine ganze Weile über den Einbruch. Mit hochgezogenen Augenbrauen bemerkte Walt, ich hätte mich für den Schlag auf den Kopf ganz schön gerächt. Als Offen Feierabend machte, gähnten wir alle beide. Während der letzten halben Stunde hörten wir nur noch, wie er seinem Hausboy Anweisungen erteilte. Nichts davon verriet Besorgnis oder Unsicherheit. Culham James war sehr selbstsicher, und das freute mich. Besorgte Leute sind doppelt auf der Hut.
Walt ging schlafen. Obgleich ich in der vergangenen Nacht überhaupt nicht geschlafen hatte, wachte ich nach drei Stunden schon wieder auf. Die farbigen Lichter vor dem Motel warfen bunte Lichtflecke auf die Decke meines Zimmers. Ich starrte sie an und versuchte, sie in meiner Vorstellung zu Formen und Bildern zusammenzufügen. Ich wandte jeden noch so dummen Trick an, um meinen Verstand vor einem Kopfsprung in den dunklen Abgrund zu bewahren. Der nicht abgeschlossene Fall kümmerte mich kaum noch, und es schien mir völlig unwichtig, ob Allyx oder Showman jemals wieder Nachkommenschaft zeugten oder nicht. Betrug, Diebstahl, Mordversuch — welche Rolle spielte das schon?
Ich hatte meine Parabellum mit dem Halfter auf einem Stuhl auf der anderen Seite des Zimmers liegengelassen. Weder von den Clives noch von Offen erwartete ich, daß sie sich mitten in der Nacht anschlichen, mich zu erledigen, und meine anderen Feinde waren sechstausend Meilen weiter östlich zu Hause. Nur von mir selbst drohte mir Gefahr. Ich war mein gefährlichster Feind. Die Theorie, daß die magische Versuchung dahinschwinden würde, wenn ich beim Schlafengehen die Pistole außer Reichweite deponierte, erwies sich als trauriger Irrtum.
Noch ein Tag, dachte ich schließlich. Einen einzigen Tag noch — das mußte doch zu schaffen sein. Wenn man sich das Nacht für Nacht überzeugend genug einredet, schafft man es vielleicht sogar bis ans Ende.