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Raum untergebracht, aber Sonja hat ihr eigenes Zimmer, das durch einen Bretterverschlag abgeteilt ist ... Hm! ... ja ... Es sind schrecklich arme Leute, und sie stottern ... ja ... Ich stand am nächsten Morgen auf, zog mir meine Lumpen an, hob die Arme zum Himmel und begab mich zu Seiner Ex-zellenz Iwan Afanasjewitsch. Sie kennen doch wohl Seine Exzellenz Iwan Afanasjewitsch? ... Nein? Nun, dann ken-nen Sie wahrhaftig einen Mann Gottes nicht! Er ist Wachs ... Wachs vor dem Antlitz des Herrn ... Er schmilzt wie Wachs! ... Er vergoß sogar Tränen, nachdem er geruht hatte, alles anzuhören. ,Nun, Marmeladow', sagte er, ,einmal hast du meine Erwartungen schon getäuscht ... ich nehme dich aber noch einmal auf, auf meine persönliche Verantwortung hin.' So sagte er. ,Vergiß das nicht und geh jetzt!' Ich küßte den Staub seiner Füße, aber nur in Gedanken; denn in Wirklichkeit hätte er es nicht zugelassen, da er ein hoher Würdenträger und ein Mensch mit den neuen Staatsideen der gebildeten Leute ist. So ging ich nach Hause, und sobald ich erklärte, daß ich wieder in den Dienst aufgenommen sei und ein Gehalt bekommen würde, o Herr und Gott, was da los war! ...«

Wieder hielt Marmeladow in starker Erregung inne. In diesem Augenblick kam von der Straße eine ganze Schar Trunkenbolde herein, die ohnedies schon bezecht waren, und am Eingang erklangen die Weisen eines gemieteten Leier-kastens und die brüchige Stimme eines siebenjährigen Kindes, das einen Gassenhauer sang. Es gab Lärm. Der Wirt und die Bedienung befaßten sich mit den neuen Gästen. Marmeladow jedoch schenkte ihnen keine Beachtung und setzte seinen Be-richt fort. Er schien schon sehr geschwächt, aber je betrun-kener er war, desto redseliger wurde er. Die Erinnerung an seinen Erfolg im Dienst hatte ihn gleichsam belebt und spie-gelte sich in einem gewissen Glanz in seinem Gesicht wider. Raskolnikow hörte aufmerksam zu.

»Das war vor etwa fünf Wochen, mein Herr. Ja ... kaum hatten die beiden, Katerina Iwanowna und Sonjetschka, da-von erfahren, o du mein Gott, da war es, als ob ich ins Himmelreich übergesiedelt wäre. Früher lag ich da wie ein

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Vieh und hörte nur Schimpfreden, jetzt aber, jetzt liefen sie auf Zehenspitzen umher und ermahnten die Kinder: ,Semjon Sacharytsch ist müde vom Dienst; er ruht sich aus, pst!' Be-vor ich in den Dienst ging, bekam ich Kaffee zu trinken, und Sahne wurde warmgemacht. Richtige Sahne kauften sie mir, hören Sie! Und woher sie mir für eine anständige Beklei-dung elf Rubel fünfzig Kopeken zusammengekratzt haben, das verstehe ich bis heute nicht. Stiefel, ein Vorhemd aus Perkai, eine prächtige Uniform - und das alles schneiderten sie für elfeinhalb Rubel ganz großartig zusammen. Als ich am ersten Tag heimkam, sah ich, daß Katerina Iwanowna zwei Gerichte gekocht hatte, eine Suppe und Räucherfleisch mit Meerrettich, wovon bis dahin überhaupt keine Rede hatte sein können. Sie selber besitzt gar keine Kleider ... wirklich keine, aber sie hatte sich angezogen, als ob sie einen Besuch machen wollte. Dabei trug sie gar nichts Besonderes, aber sie verstehen es, die Frauen, aus nichts etwas zu machen: sie frisieren sich, nehmen irgendeinen neuen sauberen Kragen und Ärmelschützer, und vor dir steht ein ganz neuer Mensch. Sie sah jünger und hübscher aus. Sonjetschka, mein Herzens-kind, hatte nur mit Geld geholfen; denn, so sagte sie, es wäre vorläufig nicht passend, wenn sie oft zu uns käme, höchstens abends bei Dunkelheit, damit niemand sie sähe. Hören Sie, hören Sie? Nach dem Essen ging ich schlafen, und was glau-ben Sie? Katerina Iwanowna hatte es nicht ausgehalten, und obgleich sie sich noch eine Woche vorher mit Amalja Fjo-dorowna auf das schlimmste zerzankt hatte, lud sie sie jetzt zu einer Schale Kaffee ein. Zwei Stunden saßen sie beisam-men und flüsterten immerzu miteinander: ,Semjon Sacharytsch ist jetzt wieder im Dienst und bezieht ein Gehalt, und er war selbst bei Seiner Exzellenz, und Seine Exzellenz kam persönlich heraus und ließ alle anderen warten und führte Semjon Sacharytsch am Arm an allen vorbei in sein Arbeits-zimmer, hören Sie? >Natürlich<, sagte er, >erinnere ich mich Ihrer Verdienste, Semjon Sacharytsch, obgleich Sie diese leichtsinnige Schwäche haben. Aber da Sie mir jetzt ver-sprechen, davon zu lassen, und da wir obendrein ohne Sie schlecht zurechtkommen konnten< - hören Sie, hören Sie? -,

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>so hoffe ich und verlasse mich jetzt auf Ihr Wort als Edelmann ...<' Und ich sage Ihnen, das alles hat sie er-funden, nicht so sehr aus Leichtsinn, als vielmehr um mich zu loben! Nein, mein Herr, sie selbst glaubte an all das, sie freute sich an ihren eigenen Märchen, beim wahrhaftigen Gott! Und ich verurteile das nicht; nein, das verurteile ich nicht! ... Als ich ihr vor sechs Tagen mein ganzes erstes Gehalt - drei-undzwanzig Rubel vierzig Kopeken - brachte, nannte sie mich ihren lieben Schatz. ,Du bist wirklich mein lieber Schatz!' sagte sie. Und unter vier Augen, verstehen Sie? Nun, wer bin ich denn schon und was für ein Gatte bin ich denn? Nein, sie kniff mich in die Wange und sagte: ,Lieber Schatz!'«

Marmeladow verstummte und wollte lächeln, plötzlich je-doch begann sein Kinn zu zittern. Er beherrschte sich aber. Die Schenke, sein verkommenes Aussehen, die fünf Nächte auf den Heukähnen, die Flasche Schnaps und dabei diese krankhafte Liebe zu seiner Frau und zu seiner Familie brachten den Zuhörer aus der Fassung. Raskolnikow lauschte angespannt, aber mit einem quälenden Gefühl. Er ärgerte sich darüber, daß er hierhergekommen war.

»Lieber Herr, lieber Herr!« rief Marmeladow und richtete sich auf, »o mein Herr, Ihnen kommt das alles vielleicht komisch vor, so wie den anderen Leuten auch, und ich störe Sie nur mit der Dummheit all dieser erbärmlichen Einzel-heiten aus meinem häuslichen Leben; aber mir ist nicht zum Lachen zumute! Denn ich kann das alles fühlen ... Und wäh-rend dieses ganzen paradiesischen Tages meines Lebens und während dieses ganzen Abends gab ich mich hochfliegenden Träumen hin, wie ich alles einrichten wollte, die Kinderchen bekleiden und meiner Frau Ruhe schaffen und meine einzige Tochter aus der Ehrlosigkeit in den Schoß der Familie zu-rückführen ... Und vieles, vieles andere ... Das ist verständ-lich, mein Herr, nun ja, mein lieber Herr ...« Plötzlich schien Marmeladow zu erschauern, hob den Kopf und blickte seinen Zuhörer starr an. »Nun also, und am nächsten Tag, nach all diesen Plänen - das heißt, vor genau fünf Tagen -, stahl ich am Abend auf hinterlistige Weise wie der Dieb in der Nacht aus Katerina Iwanownas Truhe ihren Schlüssel, nahm

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das Geld, das von dem heimgebrachten Gehalt übriggeblieben war, ich entsinne mich nicht mehr wieviel, und jetzt sehen Sie mich an, seht alle her! Den fünften Tag bin ich schon fort von daheim, und dort suchen sie mich, und mit dem Dienst ist es aus, und meine Uniform habe ich in einer Schenke an der Ägyptischen Brücke für diese Lumpen hier hergegeben ... Und alles ist zu Ende!«