So saß Christoph wieder einmal alleine und schaute in die Nacht hinein. Nicht einmal die allernächste Umgebung war erkennbar. Der Nebel hatte alles verschluckt. Er wartete auf Hundegebell. Nichts rührte sich.
Aus dem Nebel schaute ihn Esther an.
Philo schlich durch die Nacht. Er war auf den Hund gespannt. Denn dass der Frosch hier draußen ohne Hund hausen sollte, das war nicht denkbar.
Aber sind Hunde ein Problem?
Nasses Gras, nasse Sträucher, alles nass. Der Weg mit Steinen gepflastert wie die Auffahrt zu einem großen Herrn. Aber er wusste, dass von der ehemaligen Burg nur noch ein Stall übrig war. Es roch nach faulem Obst und nach verdorbenem Gemüse.
Da, ein Licht. Es sickert heraus wie durch Milch. Er schläft also noch nicht. Das Licht fällt durch einen Spalt in der Türe. Vorsichtig hineingeschaut. Da sitzt er und schläft, und – kein Hund, wie leichtsinnig! Der Kienspan ist gleich heruntergebrannt. Da wollen wir den Herrn doch rechtzeitig wecken!
Ist er alleine? Ein Raum ziemlich groß, soweit man das durch den Spalt ahnen kann. Aber auch ziemlich leer. Wenige Möbel, der Herr! Einiges Gerät steht in der Ecke, ein Spaten, einige Messer. Aha!
»Guten Abend, der Herr, darf man eintreten?«
Wie der hochfährt!
»Die Hand lassen wir jetzt schön vom Gürtel, Herr Frosch! Man kann nicht immer mit dem Dolch arbeiten.«
»Was willst du? Wer bist du?«
Herein mit mir in die gute Stube!
Verdammt, jetzt hat der das Licht ausgeblasen! Nicht ungeschickt. Die Schlacht findet also im Dunkeln statt. Hereinspaziert, meine Damen und Herren! Also in die Knie gegangen und seitwärts abgerollt. Ganz still liegen. Dort drüben ist er. Wie laut der sich bewegt, da hätte er gleich das Licht anlassen können. Trotzdem: Vorsicht – er hat einen Dolch und er kann damit umgehen. Näher, noch näher, ganz, ganz nah, und den Atem schön angehalten. Wenn der wüsste, dass ich ihm jetzt jederzeit eine runterhauen könnte! Sein Atem – hat der Angst! Angst ist ein schlechter Ratgeber, Herr Frosch. Da, hab ihn schon. Wie leicht knickt der Mensch in den Kniekehlen ein, wenn einer etwas davon versteht! Wie fett der ist! Und wie schwer! Da ist ja auch das Messer. Man muss nur den Griff können, dann lässt der andere es auch schon fallen. So, jetzt gehört es mir.
»Wenn ich wieder um Beleuchtung bitten dürfte. Dort drüben ist noch etwas Glut und wir wollen nicht sparen. Es sind sicher auch Kerzen in einem so reichen Haushalt. So ist es recht.«
»Was willst du von mir? Ich habe dich noch nie gesehen.«
»Stimmt nicht. Aber das ist unwichtig. Du hast meinen Freund erstochen und bist jetzt dran, du Frosch!«
»Wer soll das sein?«
»Hast du verschiedene zur Auswahl, du Lump?«
»Ich habe niemand erstochen. Ich bin ein ehrlicher Händler.«
»Das sagen alle.«
»Ich habe noch nie einen Menschen erstochen. Ganz bestimmt nicht!«
»Ich will ihn dir beschreiben: ein Junge, nicht ganz so dünn wie ich, dafür etwas kleiner, aber nicht viel, auch etwas jünger, aber auch nicht viel. Er hat schwarze buschige Haare und blaue Augen. Na, kommt er dir bekannt vor?«
Toll, wie ich mit zwei Bällen und einem Dolch gleichzeitig jonglieren kann! Das sollte jetzt Balthas sehen.
»Wird’s bald!«
»Kenn ich nicht!«
Schade, dass das Licht so trübe ist. Aber vielleicht wird er längst nicht mehr rot, wenn er lügt.
»Kennst du nicht? Was könnte denn jetzt dein Dolch aus dir machen? Soll ich dich zur Alraune zerschneiden, du fetter Zwerg?«
»Leute wie du erstechen niemand.«
Leider ein guter Menschenkenner.
»Und jetzt verschwinde. Ich habe mächtige Verbündete. Wenn du mich auch nur anrührst, wirst du es bitter bereuen.«
»Jetzt kommen wir der Sache schon näher. Was würdest du davon halten, wenn morgen ganz Offenburg wüsste, wie du hier Alraunen aus – lass mal sehen – Rübenwurzeln schneidest und sie mit Dudelsackmusik teuer verkaufst? – Junge, der Galgen wartet schon.«
Macht er ganz geschickt, diese Alraunen aus Rüben.
»Morgen kann ich weit sein.«
»Ich reise dir nach. Mein Freund ist mir das wert. Ich lasse dir keine Ruhe mehr. Ich erzähle jedem, was du für ein Betrüger bist. Schließlich sorge ich dafür, dass du an den Galgen kommst.«
»Das war nicht ich.«
»Nicht du? – Du hast doch dafür kassiert!«
»Es war ein anderer. Er wurde dafür bezahlt.«
»Nicht du wurdest bezahlt? Woher weißt du denn dann das alles?«
»Ich – «
»Du hast den getötet, dem du das Blutgeld hättest geben müssen. Du hast ihn in der Nacht in Straßburg auf den Gedeckten Brücken erstochen und in die Ill geschmissen.«
»Woher weißt du –? Glaubst wohl – «
»Ich glaube nicht – ich weiß! Ich weiß, dass alles wahr ist, was ich gesagt habe. Und du weißt es auch. Ich will das auch gar nicht von dir wissen, das musst du mit dir selbst ausmachen. Ich will bloß wissen, wo der Junge hingeworfen worden ist. Und ich will wissen, von wem du das Blutgeld hast!«
»Das Erste weiß ich nicht. Er wird ihn auch in die Ill geschmissen haben. Das Zweite kann ich dir nicht sagen.«
»Warum nicht? Du weißt, was ich mit dir mache, wenn du es mir nicht sagst.«
»Ich sage es dir nicht. Du kannst machen, was du willst.«
»Ich bringe dich an den Galgen, wie ich gesagt habe.«
»Wenn es so ist, dann hängst du zuerst dran.«
Der Mann schien verändert, er schien auf einmal sehr sicher zu sein, ein hässliches Lächeln erschien auf seinem Gesicht. Philo überlegte. Da stand auf einmal das nächtlich beleuchtete Haus vor seinen Augen.
»Was weißt du über ein Haus, das nachts beleuchtet ist, als stünde die Ankunft des Herrn bevor – in dem aber kein Mensch zu sehen ist?«
»Wa-was weißt du über den kleinen Turm?«
Mehr war nicht zu erfahren. Philo stand wie vor einer Wand.
Später sagte er zu Christoph: »Das nächste Mal kommt es allein auf dich an. Dann kommt dein großer Auftritt, das kann ich dir fest versprechen!«
Das Haus Löbs war in heller Aufregung. Ein Brief von Elieser war angekommen. Jüdische Kaufleute hatten ihn aus Prag mitgebracht.
Esther weinte, als Christoph sie sah, gab ihm aber einen Kuss auf die Wange, was sie noch nie getan hatte: »Ich freue mich so, dass du wieder da bist.« Sie griff nach seiner Hand und ließ sie lange nicht los. »Hier ist es sehr schlimm. Hannah ist schon abgereist!«
Gegen Abend traf sich die ganze Familie in der Stube, Christoph wurde von einem sehr finsteren Nachum dazugeholt.
Löb begann: »Wie wir anderen bereits wissen, gibt es Schwierigkeiten mit dem Straßburger Bürgerrecht Eliesers. Der kaiserliche Hof hat ihn zuerst lange hingehalten, der Bürgerbrief wird immer teuerer. Kaiser Karl braucht Geld, dazu noch ist er sehr verschuldet bei den Juden in Nürnberg und in anderen Städten. Ich weiß das und Elieser deutet es an. Er schreibt weiter, ein Brief an den Rat der Stadt Nürnberg werde vorbereitet, in dem der Stadt bedeutet werde, sie sei straffrei, wenn es zu Übergriffen gegen die Juden komme! Das ist eine direkte Aufforderung zum Mord an den Juden. Der Kaiser will von seinen Schulden weg! Und das ist so gut wie eine Aufforderung an alle Städte im Reich!«
»Dabei ist der Kaiser zu unserem Schutz verpflichtet. Der Kaiser als Mörder!« Nachums Augen sprühten vor Zorn.
»Woher weiß Elieser von dem Brief an die Stadt Nürnberg?« Christoph war rot geworden.
Nachum funkelte ihn an: »Glaubst du Elieser etwa nicht?«
»Das hat nichts mit Glauben zu tun. Mein Vater hat einmal gesagt, nirgends gebe es mehr Gerüchte als am kaiserlichen Hof. Deshalb – «
»Du brauchst nur mit offenen Augen und Ohren durch Straßburg zu gehen, dann weißt du schnell, was wahr ist!« Nachum warf den Kopf in den Nacken.
»Leider, Christoph. Wir müssen es glauben: Elieser schreibt, er habe es aus einer zuverlässigen Quelle, von einem Juden, der bei Hofe ein und aus gehe und die kaiserliche Kasse mitverwalte.«