»Kann es ihm gehören?«
»Jedem kann es gehören – leider, ich weiß es nicht.«
»Wer ist denn dieser Herr Dopfschütz?«
»Das kann dir jeder sagen, er gehört zu den ganz großen Kaufleuten, einer der reichsten Männer von Straßburg. So viel Geld, wie der an einem Tag ausgeben kann, hätte ich gern in einem ganzen Monat.«
»Und ist mit dem Haus alles in Ordnung?«
»Ich denke schon, aber sie tun sehr geheimnisvoll damit. Nun, mich geht es nichts an. Ich will in nichts hineinkommen.«
»Was ist denn damit? – Mein Herr ist sehr streng, wenn ich dem nicht alles sage – au Backe!«
»Irgendetwas Geheimnisvolles ist damit. Das Haus steht immer leer. Aber ein-, zweimal war es diesen Sommer in der Nacht von oben bis unten beleuchtet, vielleicht auch öfter, ich war nicht immer da.«
»Beleuchtet?«
»Ja, alle Fenster waren hell, und das noch spät in der Nacht.«
»Sie werden ein Fest gefeiert haben darin. Da ist doch kein Geheimnis.«
»Dann hätte man irgendetwas gehört – ich bitte dich. Aber alles war völlig stumm, keine Musik, kein Laut zu hören. Nur diese Festbeleuchtung, die ja ganz schön teuer ist.«
»Wie lange ging das?«
»Das kann ich dir nicht sagen. Ich bin dann ins Bett gegangen, ich kann mich ja nicht die ganze Nacht an das Fenster stellen.«
»Und am anderen Morgen?«
»Alles wie immer. Ein stummer Diener – ich kann dir sagen! Natürlich habe ich ihn gefragt. Aber schön angegangen bin ich da. Kein Sterbenswort. Hinausgeschmissen hat er mich.«
»Man müsste es vielleicht der Obrigkeit sagen.«
»Das habe ich auch schon gedacht. Aber der Herr Dopfschütz, der das Haus ja verwaltet, sitzt im Rat der Stadt. Da käme man schön an!«
In Altkirch zwischen Mühlhausen und Basel kehrten die beiden Viehhändler Mendel und Nathan, beides Juden, in ein Gasthaus ein. Sie hatten einander unterwegs getroffen und wollten das letzte Wegstück gemeinsam gehen.
»Die Zeiten sind unsicher«, stellte Nathan fest. Er war der Ältere von beiden, schon mit grauen Haaren. »Du musst froh sein, wenn du dein Geld kriegst und keine Steine mit auf den Weg. Die Bauern sind kaum mehr zu ertragen.«
»Ungeduldig sind sie und störrisch wie die Ochsen, die ich ihnen verkauft habe.« Mendel war rundlicher und hatte viele Lachfältchen um die Augen.
Man kannte die beiden in der Gegend. Sie hatten gute Waren und vernünftige Preise, wenn sie auch manchmal recht stur sein konnten beim Handel. Aber man wusste, Mendel hatte fünf Kinder zu Hause, Nathan war vor einem Jahr die Frau gestorben und nun warteten vier Kinder zu Hause auf den Vater. Beide verstanden einen Spaß, wenn die Bauern einmal unleidlich waren. Mendel konnte die Bauern besonders gut zum Lachen bringen. Beide hatten einen Bart, wie ihn oft Juden auf dem Land trugen.
»He, Jude, was kostet dein Bart?«, rief ein Halbwüchsiger, als Mendel den Gasthof betreten wollte.
»Vier Jahre«, sagte Mendel augenzwinkernd, »vier Jahre, dann wächst er dir auch, vielleicht nicht so schön wie bei mir, aber – «
»Hört euch das an, Judenbart, Judenbart! He, kommt doch einmal her – abschneiden sollte man denen den Judenbart.«
»Was soll das? Bist du verrückt? Dann erkennt man sie ja nicht mehr, die Judensäue.«
Im Gasthof wurden sie ähnlich empfangen: »Juden können wir hier nicht brauchen. He, Wirt, hast du keine anständigen Gäste?«
»Schmeiß das Pack raus!«
Aber einer der Gäste, ein reicher Weinhändler, flüsterte kurz mit dem Wirt und setzte sich zu den beiden, die ihn anschauten: »Ihr dauert mich, ihr beiden – wieder so wenig Geld verdient bei den bösen Christen«, sagte er. »Ja, da wollen wir euch heute einmal so richtig verwöhnen und satt machen. He, Wirt, her mit dem Braten und nur vom Besten. Alles auf meine Rechnung! Aufgetafelt, Herr Wirt, bringt, was die Küche vermag! Aber wehe, ihr beiden esst nicht, was auf den Tisch kommt.«
In der Gaststube war es still geworden. Alle schauten auf den Weinhändler und auf die Juden.
Da trug der Wirt auf. Er brachte eine große Schüssel mit Kesselfleisch, Grieben, Sauerkraut und Blutwürsten: »So, meine Herren, es kommt von Herzen und vom besten Schwein, das jemals in meinem Stall gelegen hat. Hast du es mir nicht selbst verkauft und dabei gelobt und gepriesen, dass selbst der Kaiser von Rom keine besseren Säue gehabt habe?«
Die Gäste bogen sich vor Lachen.
»Meine Herren«, begannen Mendel und Nathan zugleich, »Ihr wisst, dass wir Juden nichts vom Schwein essen dürfen und kein Blut – «
»Was«, schrie der Weinmichel und seine Augen leuchteten. Das konnte man erzählen, wohin man auch kam. Da würde der Wein nur so fließen. »Was?«, schrie er noch einmal. »Habe ich recht gehört, die Herren Juden wollen das nicht essen, was sie den Christen verkaufen, es wird doch nicht vergiftet sein, was ihr uns da verkauft!«
Die ganze Gaststube trampelte, johlte, grölte und pfiff.
Ein Mordsspaß ist das, dass ich darauf gekommen bin – das glaubt mir keiner in ganz Altkirch. Jetzt aber weiter: »Das wird gefressen! So wahr ich Michel heiße. Und zwar jetzt sofort hier auf der Stelle, was glaubt ihr denn!«
»Meine Herren«, begann Mendel noch einmal. Seine Stimme war leise und gleichzeitig ruhig, ein wenig so, wie wenn einer um Verzeihung bittet, und ein wenig so, wie man mit einem kranken Kind spricht. »Meine Herren, man weiß es doch, dass Juden kein Fleisch vom Schwein und nichts aus Blut Gemachtes essen dürfen, so wenig wie ihr am Freitag Fleisch essen dürft.«
»Ist heute Freitag?«, schrie Michel mit rotem Kopf und leuchtenden Augen. So sollte ihn seine Frau sehen, die ihn immer für einen Duckmäuser hielt, der sich nichts Rechtes traute.
»Ist heute Freitag?«, schrie die ganze Gaststube. »Ist heute Freitag? Die reden immer vom Freitag!« Es war ein herrlicher Spaß. Endlich war einmal etwas los in diesem langweiligen Nest. Da konnte man sogar die Pest für einen Augenblick vergessen. Und hieß es nicht –?
»Heute ist kein Freitag, meine Herren Juden«, fuhr Michel fort. Was sagte man denn nun gleich? Etwas Witziges musste es sein. Die ganze Stube schaute ihn an. Etwas Witziges musste ihm einfallen.
Da war es schon: »Jeder Christ«, sagte er mit einem Glucksen im Hals und sein Mund verzog sich immer breiter, »jeder Christ kann heute Schweinefleisch essen. Vielleicht sind es ja die Bärte, die die Herren hindern. Da können wir doch helfen – «
Jetzt dröhnte die ganze Stube los. Welch ein Einfall! Erst würde man den beiden die Bärte scheren, dann würde man ihnen das Fleisch in das Maul stopfen. Was war das mit dem Vergiften? Was hatte der Michel da gesagt? Vergifteten die Juden nicht die Brunnen, damit die Leute die Pest bekamen?
Man musste es ihnen zeigen, den Juden!
Da rückte Michel auf der Bank zurück wie vor einem Gespenst und streckte eine Hand vor, die andere presste er auf den Mund. Er war der Erste, der ihn sah.
Der Knecht des Wirts war durch die rückwärtige Türe in die Gaststube getreten. Er schritt langsam, fast feierlich. Er ging mit ausgebreiteten Armen und nacktem Oberkörper wie ein Gekreuzigter. Da sahen es alle: Unter seinen Achseln waren dicke Beulen, blauschwarz angelaufen. Sein Gesicht war schweißüberronnen und von einer fürchterlichen Blässe. Er sprach kein Wort und stand nur keuchend da mit seinen ausgebreiteten Armen.
Als Erster rannte Michel davon. Dann gab es kein Halten mehr. Die Gäste schrien und rannten und quetschten sich durch die Türe. Dem Wirt war die Schüssel aus den Händen gefallen und die Scherben und das Essen spritzten durch die Stube und auf die beiden Juden.
Dann war die Stube leer bis auf die Juden, die sich langsam erhoben. Draußen aber wartete die Menge auf sie und schrie auf sie ein: »Schlagt sie tot! Schlagt sie tot!«
Erst wurden sie gestoßen und gepufft, als müssten sich die Leute Mut machen. Die von hinten drückten und drängten. Die beiden Juden wurden eingequetscht; dass sie kaum mehr Luft bekamen, als steckten sie in einem Brei von Leibern.