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»Nehmt doch Steine.«

Balthas war wieder da. Er stand mit seinem Prophetenbart plötzlich im schönsten Novembersonnenschein vor Regine, gesund wie immer. Nur der Bart war etwas grauer geworden.

Nach der ersten herzlichen Begrüßung sagte Balthas bedrückt: »Die Pest ist schon in der Gegend von Mühlhausen. Jedenfalls wird gesagt, dort sei der Knecht eines Gastwirts an der Pest gestorben.«

»Wir müssen abwarten. Man kann nur beten.«

»Ich komme eigentlich wegen einer erfreulicheren Sache.« Balthas zog Regine auf die Seite. »Ich meine, das Rätsel der drei Zahlen ist klarer geworden, vielleicht können wir es jetzt sogar lösen.«

Am Abend saßen sie in der Stube bei Löb, der hatte Bücher vor sich auf dem Tisch liegen und fasste zusammen: »Balthas hat herausgefunden, was die Gaukler mit diesen drei Zahlen machen. Die Sache scheint schon recht alt zu sein, ist aber wohl in Vergessenheit geraten. Aus drei Stoffen wird im Verhältnis fünfundsiebzig – fünfzehn – zehn ein Substrat gemacht, das sehr leicht und hell brennt. Gaukler benutzen es auf Jahrmärkten, weil der Effekt groß ist, wenn man es anzündet. Er erzählt es am besten selbst.«

»Es leuchtet sehr hell und sprüht auf«, sagte Balthas, »ich habe es in Italien gesehen. Ihr müsst wissen«, wandte er sich an Löb, »dass ich in meiner Jugend weit herumgekommen bin, bis nach Apulien, Neapel, Sizilien, Syrakus. Da habe ich vieles gesehen und habe viel gelernt, von dem dieser Nichtsnutz Philo heute profitiert.«

»Verliebt warst du auch«, lachte Regine, »und nicht in mich.«

»Dich kannte ich noch gar nicht. Die Italiener sind sehr gute Gaukler, sie kennen ein Unmenge von Tricks. Jedenfalls, eines Tages habe ich gesehen, wie jemand eine grauschwarze Masse in einen ausgehöhlten Stock gestopft hat. Der Stock war vorne geschnitzt – ein roter Kopf, der grinste. Dann hat er den Stock mit dem Kopf an einen dünnen Stab gebunden und den Stab in den Sand gesteckt. Am Ende des ausgehöhlten Stockes war eine Schnur befestigt und mit Pech bestrichen. Dann hat er die Schnur angezündet. Ich kann euch sagen – das Ding ist losgegangen, hat gezischt und gefaucht, Funken sind herausgesprüht, und dann –, es war unglaublich, hat sich der Stock mitsamt dem roten Kopf in die Luft erhoben, ist sehr hoch aufgestiegen und dann zur Erde gefallen, es hat gestunken, und alle haben geklatscht. Er hat sehr viel Geld eingenommen. Wenn ich herausbekommen hätte, wie das zuging, wäre ich ein reicher Mann geworden. Das alles hatte ich längst vergessen.«

»Und die Zahlen?«

»Leider nur von denen habe ich damals gehört, aber eben nicht, worauf sie sich beziehen: fünfundsiebzig – fünfzehn – zehn! Aber mit den Zahlen allein konnte ich nichts anfangen und so habe ich alles vergessen und es ist mir erst wieder eingefallen, als vor ein paar Tagen in Freiburg einer einen Feuerteufel machte, wie er das nannte. Das war eine Art Springbrunnen mit diesem schwärzlichen Zeug. Der Gestank ist sehr typisch. Da war alles wieder da! Ich habe damals in Italien überall herumgefragt, es war verlockend. Aber entweder wollte man es mir nicht sagen oder die Leute, die ich gefragt habe, wussten es nicht. Nur einer kannte tatsächlich die drei Zahlen, wusste aber nicht, worauf sie sich beziehen, oder sagte es mir nicht.«

»Der in Freiburg hat dir auch nicht gesagt, wie man das grauschwarze Zeug mithilfe der Zahlen herstellt.«

»Nein – ich kann es ihm nicht übel nehmen. Der Trick ist so gut, dass man damit sorglos leben kann bis an das Ende seiner Tage. So etwas sagt man nicht weiter.«

»Aber ich weiß jetzt, wie man es herstellt. Balthas bringt mich darauf.« Löb hatte eines seiner kostbaren Bücher aufgeschlagen. Er las triumphierend: »Die Römer und Griechen hatten von den Ägyptern ein Feuer. Das nannten sie griechisches Feuer oder auch indisches Feuer. Sie warfen es im Krieg auf Dinge, die sie verbrennen wollten. Sie machten dieses Feuer aus Salpeter, Holzkohle und Schwefel. Der Salpeter ist die Luft, also der Atem des Feuers, der Schwefel ist das Feuer selbst und die Kohle ist die Erde, das Wasser ist feindlich, aber ohnmächtig. So steht es in einem Buch über die Kriege der Griechen und Römer. Das Buch ist hebräisch geschrieben und kommt aus Spanien. Schade, dass die Zahlen nicht dabeistehen – was hätten wir Zeit gespart!«

»Und du meinst?«

»Ja, Christoph«, sagte Löb, »es kann nicht anders sein: Balthas weiß die Zahlen, die sind das Mischungsverhältnis. Das Buch gibt die Stoffe, die gemischt werden müssen.«

»Aber«, fragte Esther, »wenn sogar Gaukler das wissen, weshalb dann die Verfolgung, weshalb bringen sie Menschen um, nur weil sie die Zahlen gelesen haben?«

»Das Substrat ist alt, es kann nur so sein, dass sie eine neue Anwendung gefunden haben. Eine ganz andere, neue – es muss etwas Gewaltiges sein«, fuhr Löb fort.

»Etwas viel Größeres, als nur einen geschnitzten Stock in die Luft zu befördern«, sagte die alte Esther leise.

»Etwas, das Macht gibt, und zwar viel Macht! Unendlich viel Macht!«, sagte Löb.

»Die Macht über die Welt!«, stieß Nachum zornig hervor. »Vielleicht vergiften sie damit die Brunnen und machen die Pest wie wir Juden.« Seine Stimme war rau und klang, als würde er gleich weinen, dann stampfte er hinaus.

»Sie machen in Benfeld einen Tag«, sagte Herr Kropfgans bedrückt, »sie wollen die Juden ausrotten. Auch in Straßburg.«

»Was in Straßburg geschieht, wird nicht in Benfeld beschlossen, sondern in Straßburg, Herr Kropfgans, Herr Eisenhut, ich bitte Sie!«

»Aber der Herr Bischof will es so. Er will, dass die Juden aus dem Elsass verschwinden. Er hat es gesagt, er hat es gesagt.«

»Kaltes Blut, Herr Kropfgans, kaltes Blut.«

»Es ist ja nicht nur der Bischof«, warf Herr Eisenhut ein, »der Adel will es im Elsass und drüben im Markgräfler Land, in Freiburg und im Schwarzwald.«

»Wir in Straßburg wollen es nicht!«, sagte Herr Dopfschütz laut. »Der Adel kann uns ganz gleichgültig sein.«

»Das meine ich nicht«, sagte Herr Eisenhut zögernd, »wir brauchen die Juden, wir brauchen das Geld. Aber der Adel hat kein Geld, sondern Schulden, und die hat er bei den Juden. Das wissen wir doch. Es gibt nichts Besseres für den Adel, als dass die Juden umgebracht werden. Also werden sie auch umgebracht. Alle!«

»Nein. Die in Straßburg nicht!« Herr Dopfschütz stampfte auf.

Herr Kropfgans schaute von einem zum anderen: »Denkt denn niemand an die armen Menschen?«

»Doch, wir drei, das wisst Ihr doch, Herr Kropfgans.«

»Kann man überleben?«, fragte Christoph den alten Abraham. »Wie ist das mit der Pest?« Es wurde viel geredet über den verstorbenen Knecht in Altkirch bei Mühlhausen.

»Das kann ich dir ganz gut sagen«, warf die alte Esther ein. »Hannah hat es mir geschildert. Sie war oft dabei und hat es so genau erzählt, dass es fast ist, als wäre ich selbst dabei gewesen: Zuerst bist du gesund, dann fühlst du dich auf einmal elend und bekommst Kopfschmerzen und Fieber. Bis jetzt ist es noch nicht schlimm, es kann auch irgendetwas anderes sein, etwas Harmloses. Aber jetzt pass auf: In den Achselhöhlen und in der Leistengegend fängt es an zu ziehen, zu drücken und wehzutun. Der Schmerz, ein schneidend stechender Schmerz, wird immer stärker, du kannst die Arme schwer bewegen, Schweiß bricht aus und das Fieber steigt, gleichzeitig wirst du schwach. Jetzt schaust du unter deine Achselhöhlen und in deine Leisten, und dort wirst du dann das Schreckliche sehen: Dicke Beulen, blauschwarz und immer noch anschwellend, beginnen die Höhlen auszufüllen und lassen dich bei jeder Bewegung schreien vor Schmerzen. In den nächsten Tagen bekommst du Beulen auch an anderen Stellen. Schneidet man die Beulen auf, so kommt ein stinkender, breiiger Eiter heraus. Das tut zwar sehr weh, aber es kann dir Erleichterung, ja sogar Heilung verschaffen. Nur musst du jemand finden, der diese Schnitte kann und auch macht. Denn die meisten Ärzte liefen davon, wenn sie die Beulen sahen, hat wenigstens Hannah gesagt. Die Krankheit ist überaus ansteckend und kaum einer hält die Angst vor ihr aus, um jemand zu pflegen.«