»Wo ist es? Wo ist es?«, wollte der andere Mann atemlos wissen. Die rennenden Schritte hielten nur einen Augenblick lang an, dann waren sie wieder zu hören, wenn auch nicht ganz so schnell.
»Wovon redest du?«, rief Doc ihm in meine Richtung hinterher.
»Von dem Parasiten!«, zischte Brandt ungeduldig und nervös, als er durch den Torbogen platzte.
Brandt war kein großer Mann wie Kyle oder Ian; er war wahrscheinlich nur ein paar Zentimeter größer als ich, aber er war dick und massiv wie ein Nashorn. Seine Augen suchten den Raum ab; sein durchdringender Blick ruhte eine halbe Sekunde lang auf meinem Gesicht, nahm anschließend Walters bewusstlosen Zustand wahr und huschte erneut im Raum umher, um schließlich wieder auf mir zu landen. Dann hatte Doc Brandt eingeholt und seine langen Finger packten ihn genau in dem Moment an der Schulter, als der breite Mann den ersten Schritt auf mich zu machte.
»Was tust du hier?«, fragte Doc, wobei seine Stimme einem Knurren ähnlicher war als je zuvor.
Bevor Brandt antworten konnte, war das seltsame Geräusch wieder da, erst leise, dann dröhnend laut, dann wieder leise, so plötzlich, dass wir alle wie erstarrt waren. Das Hämmern war rasend schnell und ließ die Luft vibrieren, als es am lautesten war.
»Ist das ... ist das ein Hubschrauber?«, fragte Doc, der plötzlich flüsterte.
»Ja«, flüsterte Brandt zurück. »Das ist die Sucherin - die von neulich, die nach dem da gesucht hat.« Er wies mit dem Kinn auf mich.
Mein Hals war plötzlich zu eng - meine Atemzüge waren dünn und flach und versorgten mich nicht mit genügend Luft. Mir wurde schwindelig.
Nein. Nicht jetzt. Bitte.
Was bitte ist ihr Problem?, schnauzte Mel in meinem Kopf.
Warum kann sie uns nicht einfach in Ruhe lassen?
Wir können nicht zulassen, dass sie ihnen etwas tut. Aber wie können wir sie aufhalten?
Ich weiß nicht. Das ist alles meine Schuld!
Meine auch, Wanda. Unsere. »Bist du sicher?«, fragte Doc.
»Kyle hat sie eindeutig durchs Fernglas erkannt, als sie über uns schwebte. Es ist dieselbe, die er schon mal gesehen hat.«
»Sucht sie genau hier?« Docs Stimme klang erschrocken. Er drehte sich halb um und warf einen Blick in Richtung Ausgang. »Wo ist Sharon?«
Brandt schüttelte den Kopf. »Sie durchkämmt einfach die Gegend hier. Fliegt Schleifen von Picacho aus. Es sieht nicht so aus, als hätte sie irgendwas hier in der Nähe ins Auge gefasst. Sie hat ein paar Kreise über der Stelle gedreht, wo wir das Auto zurückgelassen haben.«
»Und Sharon?«, fragte Doc noch einmal. »Sie ist mit Lucina bei den Kindern. Es geht ihnen gut. Die Jungs packen ein paar Sachen zusammen, falls wir heute Nacht aufbrechen müssen, aber Jeb meint, das ist nicht sehr wahrscheinlich ...«
Doc atmete schwer aus und ging dann zu seinem Schreibtisch, um sich dagegenzulehnen. Er sah aus, als hätte er einen langen Sprint hinter sich. »Also eigentlich nichts Neues«, murmelte er.
»Nein. Wir müssen nur ein paar Tage vorsichtig sein«, versicherte ihm Brandt. Sein Blick schweifte erneut durch den Raum und fiel immer wieder auf mich. »Hast du vielleicht ein Seil zur Hand?«, fragte er. Er hob die Ecke des Lakens auf einem leeren Feldbett an und untersuchte es.
»Ein Seil?«, wiederholte Doc verständnislos. »Für den Parasiten. Kyle hat mich hergeschickt, um ihn zu fesseln.«
Meine Muskeln zogen sich unfreiwillig zusammen; meine Hand drückte Walters Finger zu fest und er wimmerte. Ich versuchte sie wieder zu entspannen, während ich meinen Blick auf Brandts hartes Gesicht gerichtet hielt. Er sah Doc erwartungsvoll an.
»Du bist hier, um Wanda zu fesseln?«, fragte Doc. Seine Stimme klang wieder scharf. »Und wie kommst du auf die Idee, dass das nötig sein könnte?«
»Komm schon, Doc. Du bist doch nicht blöd. Hier gibt es ziemlich große Fenster und eine Menge reflektierendes Metall.« Brandt zeigte auf einen Aktenschrank an der hinteren Wand. »Du musst nur einen Augenblick unaufmerksam sein und schon wird es der Sucherin Signale senden.« Ich sog schockiert die Luft ein; es klang laut in dem stillen Zimmer.
»Siehst du?«, sagte Brandt. »Ich hab seinen Plan sofort durchschaut.«
Ich hätte mich am liebsten unter einem Felsbrocken verkrochen, um mich vor den hervorstehenden, gnadenlosen Augen meiner Sucherin zu verstecken, und er glaubte, ich wolle ihr den Weg hierher zeigen. Sie hier hereinbringen, um sie alle zu töten: Jamie, Jared, Jeb, Ian ... Ich musste würgen.
»Du kannst jetzt gehen, Brandt«, sagte Doc mit eisiger Stimme. »Ich werde ein Auge auf Wanda haben.«
Brandt hob eine Augenbraue. »Was ist bloß los mit euch? Mit dir und Ian und Trudy und den anderen? Es ist, als stündet ihr alle unter Hypnose. Wenn eure Augen nicht okay wären, müsste ich mich fragen ...«
»Nur zu, Brandt, stell dir alle Fragen, die du willst. Aber verschwinde, während du das tust.«
Brandt schüttelte den Kopf. »Ich habe einen Auftrag zu erfüllen.«
Doc ging auf Brandt zu und blieb zwischen ihm und mir stehen. Er verschränkte die Arme vor der Brust.
»Du wirst sie nicht anrühren.«
Der dröhnende Hubschrauberpropeller war in der Ferne wieder zu hören. Wir waren alle mucksmäuschenstill und hielten den Atem an, bis das Geräusch verklungen war.
Brandt schüttelte den Kopf, als es wieder ruhig war. Er sagte nichts, ging zum Schreibtisch und nahm Docs Stuhl. Er trug ihn zur Wand, an der der Aktenschrank stand, knallte ihn auf den Boden und ließ sich darauffallen, so dass die Metallbeine auf dem Fels quietschten. Dann beugte er sich vor, stützte die Hände auf die Knie und starrte mich an. Ein Geier, der darauf wartete, dass ein sterbender Hase aufhörte sich zu bewegen.
Docs Zähne schlugen mit einem leisen Knall aufeinander. »Gladys«, murmelte Walter und tauchte aus seinem betäubten Schlaf auf. »Da bist du ja.«
Viel zu nervös, um unter Brandts Blick mit ihm zu sprechen, streichelte ich nur vorsichtig seine Hand. Seine verhangenen Augen musterten mein Gesicht und sahen Gesichtszüge, die nicht da waren.
»Es tut weh, Gladdie. Es tut so weh.« »Ich weiß«, flüsterte ich. »Doc?«
Er stand schon bereit, die Brandyflasche in der Hand. »Mund auf, Walter.«
Das leise Dröhnen des Hubschraubers war zu hören, weit weg, aber trotzdem viel zu nah. Doc fuhr zusammen und ein paar Tropfen Brandy spritzten auf meinen Arm.
Es war ein fürchterlicher Tag. Der schlimmste meines ganzen Lebens auf diesem Planeten, schlimmer als mein erster Tag hier in den Höhlen oder der letzte heiße, trockene Tag in der Wüste, nur Stunden vor meinem vermeintlich sicheren Tod.