Jared antwortete nicht. Ich spürte, wie meine Augen feucht wurden. Hielt Ian wirklich so viel von mir? Glaubte er wirklich, ich verdiente das Recht auf ein Leben hier?
»Na?«, hakte Ian nach.
»Darüber ... muss ich erst nachdenken.« »Tu das.«
»Aber ...«
Ian unterbrach ihn seufzend. »Reg dich nicht auf. Wanda ist trotz des Körpers nicht so richtig menschlich. Sie scheint auf ... Körperkontakt nicht genauso zu reagieren wie ein Mensch.«
Jetzt lachte Jared. »Ist das deine Theorie?«
»Was ist daran so lustig?«
»Sie reagiert durchaus auf Körperkontakt«, ließ ihn Jared, jetzt wieder in nüchternem Tonfall, wissen. »Dafür ist sie menschlich genug. Oder ihr Körper zumindest.«
Mein Gesicht glühte. Ian schwieg.
»Eifersüchtig, O'Shea?«
»Allerdings ... das bin ich. Erstaunlicherweise.« Ians Stimme war angespannt. »Und woher weißt du das?«
Jetzt zögerte Jared. »Es war ... eine Art Experiment.« »Ein Experiment?«
»Es ist allerdings nicht so ausgegangen, wie ich erwartet hatte. Mel hat mich geboxt.« Ich konnte hören, dass er beim Gedanken daran grinsen musste, und sah in meinem Kopf die kleinen Linien um seine Augen auftauchen.
»Melanie ... hat dich ... geboxt?«
»Es war bestimmt nicht Wanda. Du hättest ihr Gesicht sehen sollen ... Was denn? Hey, Ian, ganz ruhig, Mann!«
»Hast du auch nur einen Moment daran gedacht, was das für sie bedeutet haben muss?«, fauchte Ian.
»Für Mel?«
»Nein, du Idiot, für Wanda!«
»Was das für Wanda bedeutet haben muss?«, fragte Jared und klang befremdet.
»Komm, hau ab. Geh was essen. Lass mich ein paar Stunden in Ruhe.«
Ian gab Jared nicht die Gelegenheit zu antworten. Er riss die Tür zur Seite - heftig, aber leise -, schlüpfte in sein Zimmer und stellte die Tür zurück.
Er wandte sich um und unsere Blicke begegneten sich. Seinem Gesichtsausdruck nach zu schließen, war er überrascht, dass ich noch wach war. Überrascht und verlegen. Das Feuer in seinen Augen leuchtete noch einmal auf und wurde dann langsam schwächer. Er kräuselte die Lippen.
Dann legte er den Kopf schief und lauschte. Ich lauschte ebenfalls, aber Jareds Rückzug verursachte kein Geräusch. Ian wartete noch einen Moment, dann seufzte er und ließ sich mir gegenüber auf den Rand seiner Matratze fallen.
»Ich schätze, wir waren nicht ganz so leise wie geplant«, sagte er.
»Diese Höhlen hier sind sehr hellhörig«, flüsterte ich.
Er nickte. »Und?«, sagte er schließlich. »Was denkst du?«
Berührt
»Was ich denke? Worüber?«
»Über unsere ... Diskussion da draußen«, erläuterte Ian.
Was dachte ich darüber? Ich wusste es selbst nicht. Ian war irgendwie in der Lage, die Dinge aus meiner Perspektive zu sehen, aus meiner außerirdischen Perspektive. Er fand, dass ich das Recht auf ein eigenes Leben hatte. Aber war er wirklich eifersüchtig? Auf Jared?
Er wusste, was ich war. Er wusste, dass ich nur ein winziges, hinten an Melanies Gehirn angeschlossenes Wesen war. Ein Wurm, wie Kyle mich genannt hatte. Trotzdem glaubte sogar Kyle, dass Ian in mich »verknallt« war. In mich? Das war unmöglich. Oder wollte er meine Meinung über Jared wissen? Meine Gefühle bezüglich seines Experiments? Mehr Einzelheiten über meine Reaktion auf Körperkontakt? Ich schauderte. Oder meine Gedanken über Melanie? Melanies Gedanken über ihr Gespräch? Oder ob ich Jareds Meinung war, was ihre Rechte anging?
Ich wusste nicht, was ich dachte. Egal worüber. »Ich weiß es einfach nicht«, sagte ich.
Er nickte nachdenklich. »Das ist verständlich.« »Nur, weil du sehr verständnisvoll bist.«
Er lächelte mich an. Es war eigenartig, wie seine Augen einen sowohl versengen als auch wärmen konnten. Und das, obwohl sie eher die Farbe von Eis hatten als von Feuer ... Im Moment waren sie ziemlich warm.
»Ich mag dich sehr, Wanda.«
»Das wird mir jetzt erst so langsam bewusst. Ich glaube, ich bin ein bisschen schwer von Begriff.«
»Für mich kommt es auch überraschend.« Wir dachten beide darüber nach.
Er kräuselte die Lippen. »Und ... ich nehme an, das ist einer der Sachen, bei denen du nicht weißt, was du dabei fühlst?«
»Nein. Ich meine, ja, ich weiß es ... nicht. Ich ... ich ...«
»Schon okay. Du hattest noch nicht besonders viel Zeit, um darüber nachzudenken. Und es muss dir ... komisch vorkommen.«
Ich nickte. »Ja. Mehr als das. Unmöglich.«
»Kann ich dich was fragen?«, sagte Ian nach einer Weile. »Wenn ich die Antwort weiß.«
»Es ist keine schwierige Frage.«
Er stellte sie nicht sofort. Stattdessen streckte er den Arm aus und nahm meine Hand. Er hielt sie einen Moment lang zwischen seinen Händen und fuhr dann mit den Fingern seiner linken Hand langsam meinen Arm hinauf, vom Handgelenk bis zur Schulter. Genauso langsam fuhr er wieder zurück. Er blickte mir nicht ins Gesicht, sondern auf die Haut an meinem Arm, auf der sich eine Gänsehaut bildete, wo seine Finger entlangstrichen.
»Fühlt sich das gut oder schlecht an?«, fragte er. Schlecht, behauptete Melanie.
Es tut doch gar nicht weh, protestierte ich.
Das hat er nicht gemeint. Wenn er gut sagt ... o Mann, das ist als würde man mit einem kleinen Kind reden!
Denk daran, ich bin noch nicht mal ein Jahr alt. Oder bin ich das inzwischen? Der Versuch, mich an das Datum zu erinnern, lenkte mich ab.
Melanie war nicht abgelenkt. Gut heißt für ihn, dass es sich genauso anfühlt, wie wenn Jared uns berührt. Die Erinnerung, die sie mir zeigte, stammte nicht aus den Höhlen. Es war ein Sonnenuntergang in dem zauberhaften Canyon. Jared stand hinter ihr und fuhr mit seinen Händen ihre Arme von den Schultern bis zu den Handgelenken entlang. Ich schauderte bei dem Genuss, den mir diese schlichte Berührung verursachte. So.
»Wanda?«
»Melanie findet, >schlecht<«, flüsterte ich. »Und was findest du?«
»Ich finde ... Ich weiß es nicht.«