»Sie auch, danke.«
Jamies euphorische Stimmung und sein glückliches Geplapper ließen die Situation nicht zu angespannt werden. Er sprach oft über - und mit - Melanie, bis ihr Name in Jareds Anwesenheit nicht mehr so ein Reizwort war wie früher. Von Tag zu Tag wurde es ein bisschen angenehmer, mein Leben ein bisschen erfreulicher.
Wir waren ... beinahe glücklich. Beide, Melanie und ich.
Und dann war Jared vor einer Woche erneut auf Tour gegangen - hauptsächlich, um kaputte Werkzeuge zu ersetzen - und hatte Jamie mitgenommen.
»Bist du müde?«, fragte Ian.
Ich merkte, dass ich mir die Augen rieb. »Eigentlich nicht.« »Du schläfst immer noch nicht gut.«
»Es ist zu still.«
»Ich könnte bei dir schlafen - oh, beruhige dich, Melanie. Du weißt, was ich meine.«
Ian bemerkte immer, wenn Melanies Feindseligkeit mich zusammenzucken ließ.
»Du meintest doch, sie würden heute zurückkommen«, forderte ich ihn heraus.
»Du hast Recht. Vermutlich ist es nicht nötig, die Schlafplätze umzuverteilen.« Ich seufzte.
»Vielleicht solltest du dir den Nachmittag freinehmen.«
»Sei nicht albern«, erklärte ich ihm. »Ich bin fit genug zum Arbeiten.«
Er grinste, als hätte ich etwas gesagt, das ihm gefiel. Etwas, von dem er gehofft hatte, ich würde es sagen.
»Gut. Ich könnte Hilfe bei einer Sache gebrauchen.« »Was für eine Sache?« »Ich zeige es dir - bist du fertig mit Essen?«
Ich nickte.
Er nahm meine Hand, als er mich aus der Küche führte. Auch das war inzwischen so normal, dass Melanie kaum protestierte.
»Warum gehen wir hier lang?« Auf dem abgelegenen östlichen Feld gab es nichts mehr zu tun. Wir waren in der Gruppe gewesen, die es heute Morgen bewässert hatte.
Ian antwortete nicht. Er grinste immer noch.
Er führte mich weit in den östlichen Tunnel hinein, am Feld vorbei und in den Gang, der nur zu einem Ort führte. Ich konnte den Widerhall von Stimmen hören und ein gelegentliches dumpfes Geräusch, das ich nicht gleich zuordnen konnte. Der abgestandene, muffige Schwefelgeruch half mir, die Geräusche mit der dazugehörigen Erinnerung zu verknüpfen.
»Ian, ich bin nicht in der Stimmung.«
»Du hast gesagt, du wärst fit.«
»Zum Arbeiten, nicht zum Fußballspielen.«
»Aber Lily und Wes werden furchtbar enttäuscht sein. Ich habe ihnen ein Spiel zwei gegen zwei versprochen. Sie haben heute Morgen so hart gearbeitet, um sich heute Nachmittag freinehmen zu können ...«
»Versuch nicht, mir Schuldgefühle einzureden«, sagte ich, als wir um die letzte Kurve bogen. Ich konnte das blaue Licht mehrerer Lampen sehen und Schatten, die davor umherflitzten.
»Klappt das etwa nicht?«, zog er mich auf. »Komm schon, Wanda. Es wird dir guttun.«
Er zog mich in die niedrige Sporthalle, wo Lily und Wes sich den Ball über die ganze Länge des Spielfelds hinweg zuspielten.
»Hey, Wanda. Hey, Ian«, rief Lily uns zu.
»Dieses Spiel gewinne ich, O'Shea«, warnte ihn Wes.
»Du wirst mich doch nicht gegen Wes verlieren lassen, oder?«, murmelte Ian.
»Du könntest sie auch allein schlagen.«
»Es wäre trotzdem eine Strafe. Ich würde nie darüber hinwegkommen.«
Ich seufzte. »Also gut. Dann los.«
Ian umarmte mich mit - wie Melanie fand, unnötiger - Begeisterung. »Du bist die Beste im ganzen bekannten Universum.«
»Danke«, murmelte ich trocken.
»Bereit für eine Demütigung, Wanda?«, stichelte Wes. »Ihr habt vielleicht den Planeten eingenommen, aber dieses Spiel wirst du verlieren.«
Ian lachte, aber ich reagierte nicht. Der Witz verursachte mir Unbehagen. Wie konnte er über so etwas Witze machen? Die Menschen überraschten mich immer wieder.
Melanie eingeschlossen. Sie war genauso schlecht gelaunt gewesen wie ich, aber jetzt war sie ganz aufgeregt.
Letztes Mal konnten wir nicht mitspielen, erklärte sie. Ich spürte ihren Drang zu rennen - zum Vergnügen, nicht aus Angst. Sie war immer gerne gerannt ... Nichtstun bringt sie auch nicht früher nach Hause. Etwas Ablenkung kann nicht schaden. Sie dachte bereits über die Strategie des Spiels nach und schätzte unsere Gegner ab.
»Kennst du die Regeln ...?«, fragte Lily mich unsicher.
Ich nickte. »Ich erinnere mich daran.«
Geistesabwesend hob ich meine Ferse, umfasste mein Fußgelenk und zog daran, um die Muskeln zu dehnen. Es war eine vertraute traute Bewegung für meinen Körper, ich dehnte das andere Bein und freute mich, dass es sich gesund anfühlte. Der Bluterguss auf der Rückseite meines Schenkels war blassgelb, fast verschwunden. Meine Seite fühlte sich gut an, weshalb ich glaubte, dass meine Rippe gar nicht gebrochen gewesen war.
Vor zwei Wochen hatte ich beim Spiegelputzen mein Gesicht gesehen. Die Narbe, die sich auf meiner Wange bildete, war dunkelrot und so groß wie meine Handfläche, mit einem unregelmäßigen Rand. Melanie machte das mehr aus als mir.
»Ich gehe ins Tor«, erklärte Ian, während Lily nach hinten ging und Wies neben dem Ball hin und her hüpfte. Ein ungleiches Spiel. Das gefiel Melanie. Konkurrenz spornte sie an.
Sobald das Spiel begonnen hatte - indem Wes den Ball zu Lily zurückspielte und dann loslief, um sich von mir zu lösen, damit er Lilys Pass entgegennehmen konnte -, blieb wenig Zeit zum Denken. Nur zum Reagieren und Fühlen. Ich sah Lily ihren Körper bewegen und schätzte die Richtung ab, in die sie den Ball schießen würde. Fing den Ball ab, bevor Wes ihn erwischte - haha, er war überrascht davon, wie schnell ich war -, spielte ihn Ian zu und lief das Feld hoch. Lily war zu weit aus dem Tor herausgekommen. Wir veranstalteten ein Wettrennen zum Lampen-Torpfosten und ich gewann. Ian spielte mir einen perfekten Pass zu und ich schoss das erste Tor.
Es fühlte sich gut an - die Bewegung der Muskeln, das Schwitzen vor körperlicher Anstrengung anstatt einfach bloß wegen der der ewigen Hitze, das Zusammenspiel mit Ian. Wir waren ein gutes Team. Ich war schnell und er konnte todsicher zielen. Wes' Hänseleien verstummten, noch bevor Ian das dritte Tor geschossen hatte.
Lily erklärte das Spiel für beendet, als wir bei einundzwanzig Toren waren. Sie atmete schwer. Ich nicht, ich fühlte mich gut - meine Muskeln waren warm und geschmeidig.
Wes wollte eine Revanche, aber Lily konnte nicht mehr.
»Akzeptier es, sie sind einfach besser.«
»Man hat uns betrogen.«
»Niemand hat behauptet, sie könne nicht spielen.«
»Es hat uns aber auch keiner gesagt, dass sie ein Profi ist.« Das gefiel mir - es brachte mich zum Lächeln.
»Sei kein schlechter Verlierer«, sagte Lily und streckte die Hand aus, um ihn spielerisch am Bauch zu kitzeln. Er packte ihre Finger und zog sie näher zu sich heran. Sie lachte und wich ihm aus, aber Wes zog sie an sich und drückte ihr einen festen Kuss auf den lachenden Mund.
Ian und ich wechselten einen kurzen, erstaunten Blick.
»Für dich verliere ich gern«, erklärte Wes und ließ sie dann los. Lilys zarte karamellfarbene Haut war auf ihren Wangen und am Hals ein wenig rot geworden. Sie linste zu Ian und mir herüber, um zu sehen, wie wir reagierten.
»Und jetzt«, fuhr Wes fort, »gehe ich Verstärkung holen. Mal sehen, wie sich dein kleiner Neuzugang gegen Kyle behauptet, Ian.« Er warf den Ball im hohen Bogen in die hintere dunkle Ecke der Höhle, wo ich ihn in die Quelle platschen hörte.
Ian trabte los, um ihn zurückzuholen, während ich Lily weiterhin neugierig ansah.
Sie lachte über meinen Gesichtsausdruck und klang dabei ungewohnt selbstbewusst. »Ich weiß, ich weiß.«
»Wie lange ... geht das schon?«, fragte ich. Sie verzog das Gesicht. »Entschuldige, das geht mich nichts an.«
»Schon okay. Ist ja kein Geheimnis - wie könnte man hier auch Geheimnisse haben? Es ist nur einfach noch ... ganz neu für mich. Eigentlich bist du schuld daran«, fügte sie hinzu und lächelte dabei, um deutlich zu machen, dass sie mich nur aufziehen wollte.