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Mir wurde erneut schlecht. Seine Worte brachten mir alles wieder ins Bewusstsein. Den Anblick. Den Gestank.

»Lass mich los«, flüsterte ich. »Setz mich ab.«

»Ich wollte dich nicht wecken. Entschuldige bitte.« Die letzten Worte sagte er voller Inbrunst, als wollte er sich für mehr entschuldigen als nur dafür, mich geweckt zu haben.

»Lass mich los.«

»Es geht dir nicht gut. Ich bringe dich in dein Zimmer.«

»Nein. Setz mich sofort ab.« »Wanda ...«

»Sofort!«, brüllte ich. Ich stieß ihn vor die Brust und strampelte gleichzeitig mit den Beinen. Mein heftiges Aufbäumen überraschte ihn. Ich rutschte ihm aus den Armen und fiel halb zu Boden, wo ich in der Hocke landete.

Ich sprang auf und rannte los.

»Wanda!«

»Lass sie.«

»Fass mich nicht an. Wanda, komm zurück!«

Es hörte sich so an, als würden sie hinter mir miteinander ringen, aber ich verlangsamte mein Tempo nicht. Natürlich kämpften sie miteinander. Es waren Menschen. Gewalt bereitete ihnen Vergnügen.

Ich hielt nicht an, als ich wieder Licht sah. Ich rannte durch die große Höhle, ohne irgendeins der Monster dort anzusehen. Ich konnte ihre Blicke auf mir spüren, aber es war mir egal.

Es war mir auch egal, wohin ich rannte. Ich wollte einfach irgendwohin, wo ich allein sein konnte. Ich vermied die Tunnel, in deren Nähe sich Leute aufhielten, und bog in den ersten leeren ein, den ich finden konnte.

Es war der östliche Tunnel. Das war bereits das zweite Mal heute, dass ich durch diesen Gang rannte - das letzte Mal voller Freude, jetzt voller Entsetzen. Es war nicht leicht, mich daran zu erinnern, wie ich mich vorhin gefühlt hatte, als ich erfuhr, dass die Beutezügler zurück waren. Jetzt kam mir alles finster und grausam vor, einschließlich ihrer Rückkehr. Sogar die Steine schienen bösartig zu sein.

Dieser Gang war auf jeden Fall die richtige Wahl für mich. Niemand hatte irgendeinen Grund hierherzukommen, und er war leer.

Ich rannte bis zum äußersten Ende des Tunnels, in die Schwärze der leeren Sporthalle hinein. Hatte ich wirklich noch vor so kurzer Zeit mit ihnen gespielt? Ihren lächelnden Gesichtern Glauben geschenkt und die Bestien darunter nicht wahrgenommen?

Ich lief vorwärts, bis ich knöcheltief in das ölige Wasser der dunklen Quelle stolperte. Ich wich mit ausgestreckter Hand zurück und tastete nach einer Wand. Als ich auf einen Vorsprung im Fels stieß, der sich scharfkantig anfühlte, kroch ich dahinter und rollte ich mich auf dem Boden zusammen.

Es ist nicht so, wie du denkst. Doc hat niemanden absichtlich verletzt, er hat nur versucht ...

Verschwinde aus meinem Kopf!, kreischte ich.

Als ich sie wegstieß - sie abwürgte, damit ich ihre Rechtfertigungen nicht ertragen musste -, bemerkte ich, wie schwach sie in all diesen freundschaftlichen Monaten geworden war. Wie viel ich zugelassen hatte. Sie ermutigt hatte.

Jetzt war es fast zu leicht, sie zum Schweigen zu bringen. So leicht, wie es von Anfang an hätte sein müssen.

Jetzt war da nur ich. Nur ich und der Schmerz und das Entsetzen, denen ich nie würde entkommen können. Nie mehr würde ich dieses Bild in meinem Kopf auslöschen können. Ich würde nie mehr frei davon sein. Es würde für immer ein Teil von mir bleiben.

Ich wusste nicht, wie ich hier trauern sollte. Ich konnte nicht auf menschliche Art um diese verlorenen Seelen trauern, deren Namen ich nie erfahren würde. Um das hingemetzelte Kind auf dem Tisch.

Auf dem Ursprung hatte ich nie trauern müssen. Ich wusste nicht, wie man es dort tat, in der wahren Heimat meiner Spezies. Also entschied ich mich für die Art der Fledermäuse. Das kam mir angemessen vor, da es hier so dunkel war, als wäre man blind. Die Fledermäuse trauerten schweigend - sie stellten über Wochen das Singen ein, bis der Schmerz über die Leere, die die fehlende Musik zurückließ, schlimmer war als der Schmerz darüber, eine Seele verloren zu haben. Dort hatte ich einen Verlust erlitten: ein Freund, der bei einem verrückten Unfall umgekommen war, erschlagen von einem nachts umstürzenden Baum, zu spät entdeckt, um ihn noch aus dem zerquetschten Körper seines Wirts retten zu können. Spiraling ... Upward ... Harmony; das waren die Worte, die seinen Namen in der hiesigen Sprache bezeichnet hätten. Nicht ganz genau, aber sie kamen seinem Namen ziemlich nahe. Sein Tod hatte kein Entsetzen verursacht. Nur Trauer. Ein Unfall.

Der gurgelnde Strom war zu unmelodiös, um mich an unsere Lieder zu erinnern. Bei seinem unharmonischen Geplätscher konnte ich trauern.

Ich schlang meine Arme fest um meinen Körper und trauerte um das Kind und die andere Seele, die zusammen mit ihm gestorben war. Meine Geschwister. Meine Familie. Wenn ich einen Weg hier hinaus gefunden hätte, wenn ich die Sucher benachrichtigt hätte, würden ihre Überreste jetzt nicht so durcheinandergeworfen in diesem blutbefleckten Raum liegen.

Ich hätte am liebsten geweint, erbärmlich geheult. Aber das war die menschliche Art zu trauern. Also presste ich meine Lippen aufeinander, kauerte mich in die Dunkelheit und verschloss den Schmerz in meinem Inneren.

Mein Schweigen, mein Trauern, wurde mir genommen.

Sie brauchten ein paar Stunden. Ich hörte sie suchen, hörte ihre verzerrten Stimmen durch die langen Luftschächte hallen. Sie riefen nach mir, erwarteten eine Antwort. Als sie keine erhielten, brachten sie Licht mit. Nicht die gedämpften blauen Lampen, die mein Versteck hier in all der Schwärze vielleicht nie enthüllt hätten, sondern die durchdringenden gelben Kegel der Taschenlampen. Sie schwangen hin und her, wie Lichtpendel. Sogar mit den Taschenlampen fanden sie mich erst, als sie den Raum zum dritten Mal durchsuchten. Warum konnten sie mich nicht in Ruhe trauern lassen?

Als mich der Strahl einer Taschenlampe schließlich ausfindig machte, war ein erleichterter Seufzer zu hören.

»Ich hab sie gefunden! Sag den anderen, sie sollen wieder herkommen! Sie ist doch hier drin!«

Ich kannte die Summe, gab ihr aber keinen Namen. Nur ein weiteres Monster.

»Wanda? Wanda? Ist alles in Ordnung?«

Ich hob weder den Kopf noch öffnete ich die Augen. Ich trauerte.

»Wo ist Ian?«

»Was meinst du, sollen wir Jamie holen?«

»Er sollte mit seinem Bein nicht aufstehen.«

Jamie. Beim Klang seines Namens zuckte ich zusammen. Mein Jamie. Er war ebenfalls ein Monster. Er war genau wie alle anderen. Mein Jamie. Es tat körperlich weh, an ihn zu denken.

»Wo ist sie?«

»Hier drüben, Jared. Sie ... reagiert nicht.«

»Wir haben sie nicht angerührt.«

»Los, gib mir die Lampe«, sagte Jared. »Und alle anderen raus hier. Der Ausnahmezustand ist beendet. Lasst ihr ein bisschen Luft zum Atmen, okay?«

Man hörte ein schlurfendes Geräusch, das sich nicht besonders weit entfernte.

»Im Ernst, Leute. Ihr seid hier keine Hilfe. Verschwindet. Ganz raus hier.«

Das Scharren begann langsam, wurde dann aber energischer. Ich hörte, wie sich viele Schritte durch den Raum entfernten und schließlich ganz verhallten.

Jared schwieg, bis es wieder still war.

»Okay, Wanda, wir sind allein.« Er wartete auf irgendeine Art von Antwort.

»Hör zu, ich weiß, dass das ziemlich ... übel für dich gewesen sein muss. Wir wollten nicht, dass du das siehst. Es tut mir leid.«

Es tat ihm leid? Geoffrey hatte gesagt, es sei seine Idee gewesen. Er wollte mich heraustrennen, in kleine Stücke schneiden, mein Blut an der Wand verspritzen. Er würde eine Million von uns langsam verstümmeln, wenn er nur einen Weg fände, um sein Lieblingsmonster am Leben zu erhalten. Er würde uns alle in Scheiben schneiden.