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Ich erstarrte und umklammerte Ians Hand. Ian warf Jeb einen erschrockenen Blick zu. »Du willst es ihr sagen?«, fragte er.

»Was?«, keuchte ich. »Was ist denn jetzt schon wieder?« Jeb hatte sein Pokerface aufgesetzt. »Es geht um Jamie.« Diese vier Wörter stellten die Welt erneut auf den Kopf.

Drei ganze Tage lang war ich Wanderer gewesen, eine Seele unter Menschen. Jetzt war ich plötzlich wieder Wanda, eine sehr verstörte Seele mit menschlichen Gefühlen, die zu stark waren, um sie unter Kontrolle zu bekommen.

Ich sprang auf - wobei ich Ian mitriss, da meine Hand die seine wie einen Schraubstock umklammert hielt – und schwankte. Mein Kopf drehte sich.

»Schsch. Ich habe gesagt, du sollst nicht gleich ausrasten, Wanda. Jamie geht es gut. Er macht sich nur Gedanken um dich. Er hat gehört, was passiert ist, und fragt ständig nach dir. Der Junge ist außer sich vor Sorge und ich glaube nicht, dass das gut für ihn ist. Ich bin hergekommen, um dich zu bitten, zu ihm zu gehen. Aber nicht so. Du siehst furchtbar aus. Es wird ihn nur unnötig aufregen. Setz dich hin und iss noch was.«

»Wie geht es seinem Bein?«, wollte ich wissen.

»Es hat sich etwas entzündet«, murmelte Ian. »Doc will, dass er im Bett bleibt, sonst wäre er schon längst hier. Wenn Jared ihn nicht schon fast festhalten würde, wäre er trotzdem gekommen.«

Jeb nickte. »Jared wollte schon beinahe herkommen und dich hintragen, aber ich habe ihm gesagt, er soll mich erst mit dir sprechen lassen. Es würde dem Jungen auch nicht guttun, dich katatonisch zu sehen.«

Mein Blut fühlte sich an, als wäre es zu Eiswasser geworden, aber das war sicher nur Einbildung.

»Was habt ihr gegen die Entzündung gemacht?«

Jeb zuckte mit den Achseln. »Da können wir nichts machen. Der Junge ist stark, er wird schon damit fertigwerden.«

»Ihr könnt nichts machen? Was soll das heißen?«

»Es ist eine bakterielle Infektion«, sagte Ian. »Wir haben keine Antibiotika mehr .«

»Die funktionieren sowieso nicht - Bakterien sind schlauer als eure Medikamente. Es muss etwas Besseres geben, etwas anderes.«

»Tja, wir haben hier nichts anderes«, sagte Jeb. »Er ist ein gesunder Junge. Es muss einfach seinen Gang gehen.«

»Seinen ... Gang ... gehen«, murmelte ich benommen.

»Iss was«, drängte Ian. »Er macht sich sonst bloß Sorgen, wenn er dich so sieht.«

Ich rieb mir die Augen und versuchte einen klaren Gedanken zu fassen.

Jamie war krank. Es gab hier nichts, um ihn zu behandeln. Keine Möglichkeit, außer abzuwarten, ob sein Körper sich selbst heilen konnte. Und wenn nicht...

»Nein«, keuchte ich.

Es kam mir vor, als stünde ich wieder am Rand von Walters Grab und hörte Sand in die Dunkelheit fallen.

»Nein«, stöhnte ich und kämpfte gegen die Erinnerung an.

Mechanisch drehte ich mich um und begann mit steifen Schritten auf den Ausgang zuzugehen.

»Warte«, sagte Ian, aber er zog nicht an der Hand, die er immer noch hielt. Er hielt mit mir Schritt.

Jeb holte mich ein und ging auf der anderen Seite neben mir her. Er schob mir noch mehr Brot in meine freie Hand.

»Iss, dem Jungen zuliebe«, sagte er.

Ich biss hinein, ohne zu schmecken, kaute, ohne zu denken, schluckte, ohne zu spüren, wie das Essen hinunterrutschte. »Ich wusste, sie würde überreagieren«, knurrte Jeb. »Warum hast du es ihr dann gesagt?«, fragte Ian frustriert.

Jeb antwortete nicht. Ich fragte mich, warum. War es etwa noch schlimmer, als ich dachte?

»Ist er im Krankenflügel?«, fragte ich mit emotionsloser, unbewegter Stimme.

»Nein, nein«, versicherte mir Ian schnell. »Er ist in deinem Zimmer.«

Ich verspürte noch nicht mal Erleichterung. Ich war zu benommen.

Für Jamie hätte ich jenen Raum noch mal betreten, auch wenn er immer noch nach Blut roch.

Ich nahm die vertrauten Höhlen, durch die ich schritt, nicht wahr. Ich bemerkte kaum, dass es Tag war. Ich konnte keinem der Menschen, die anhielten, um mich anzustarren, in die Augen blicken. Ich konnte nur einen Fuß vor den anderen setzen, bis ich schließlich den Gang mit den Schlafzimmern erreichte.

Ein paar Leute hatten sich vor der siebten Höhle versammelt. Der Seidenparavent war ganz zur Seite geschoben und sie reckten die Hälse, um in Jareds Zimmer zu schauen. Sie waren mir alle vertraut, Menschen, die ich als Freunde betrachtete. Auch Jamies Freunde. Warum waren sie hier? War sein Zustand so instabil, dass sie ständig nach ihm sehen mussten?

»Wanda«, sagte jemand. Heidi. »Da kommt Wanda.«

»Lasst sie durch«, sagte Wes. Er klopfte Jeb auf den Rücken.

»Gute Arbeit.«

Ich ging durch die kleine Gruppe Menschen hindurch, ohne sie anzusehen. Sie traten zur Seite, sonst hätte ich sie umgerannt. Ich konnte mich auf nichts anderes konzentrieren als auf meine eigenen Schritte.

In dem Raum mit der hohen Decke war es hell. Es war nicht voll; Doc oder Jared hatten alle draußen gehalten. Ich war mir Jareds Anwesenheit undeutlich bewusst. Er lehnte an der hinteren Wand hatte die Hände hinter dem Rücken verschränkt – eine Haltung, die er nur einnahm, wenn er sich große Sorgen machte. Doc kniete neben dem breiten Bett, auf dem Jamie lag, genau so wie ich ihn verlassen hatte.

Warum hatte ich ihn verlassen?

Jamies Gesicht war rot und verschwitzt. Das rechte Hosenbein seiner Jeans war abgeschnitten und der Verband von seiner Wunde entfernt worden. Sie war nicht so groß und schrecklich, wie ich sie mir vorgestellt hatte. Nur eine etwa fünf Zentimeter lange Schnittwunde mit glatten Kanten. Aber die Kanten waren von einem unheimlichen Rotton und die Haut um den Schnitt war geschwollen und glänzte.

»Wanda«, hauchte Jamie, als er mich sah. »Ein Glück, es geht dir gut. Oh.« Er holte tief Luft.

Ich stolperte und fiel neben ihm auf die Knie, wobei ich Ian mitzog. Ich berührte Jamies Gesicht und konnte spüren, wie die Haut unter meiner Hand glühte. Mein Ellbogen stieß an Docs, aber ich bemerkte es kaum. Er zuckte zurück, doch ich blickte nicht auf, um zu sehen, welche Gefühle sich in seiner Miene spiegelten, ob es Abscheu war oder Schuldbewusstsein.

»Jamie, Kleiner, wie geht es dir?«

»Das ist idiotisch«, sagte er grinsend. »Einfach vollkommen idiotisch. Kannst du das glauben?« Er zeigte auf sein Bein. »Ausgerechnet.«

Ich fand ein feuchtes Tuch auf seinem Kissen und wischte ihm damit über die Stirn.

»Du kommst bald wieder in Ordnung«, versprach ich ihm. Ich war überrascht, wie überzeugend meine Stimme klang.

»Klar. Das ist nicht so schlimm. Aber Jared wollte mich nicht zu dir lassen, um mit dir zu reden.« Sein Gesicht war plötzlich beunruhigt. »Ich habe gehört, dass ... Wanda, weißt du, ich ...«

»Psst. Denk nicht darüber nach. Wenn ich gewusst hätte, dass du krank bist, wäre ich früher gekommen.«

»Ich bin nicht richtig krank. Nur eine dämliche Infektion. Aber ich bin trotzdem froh, dass du hier bist. Es war furchtbar, nicht zu wissen, wo du steckst.«

Es gelang mir nicht, den Kloß in meinem Hals hinunterzuschlucken. Ein Monster? Mein Jamie? Niemals.

»Ich habe gehört, du hast es Wes gezeigt an dem Tag, als wir zurückgekommen sind«, sagte Jamie und wechselte breit grinsend das Thema. »Mann, ich wünschte, ich hätte das sehen können! Ich wette, Melanie war begeistert.«

»Ja, das stimmt.«

»Ist alles okay mit ihr? Ich hoffe, sie ist nicht zu besorgt.«

»Natürlich ist sie besorgt«, murmelte ich und betrachtete das Tuch, das über seine Stirn wischte, als wäre es die Hand eines anderen, die es bewegte.

Melanie.

Wo war sie?

Ich durchforstete meinen Kopf und suchte nach ihrer vertrauten Stimme. Aber da war nichts als Schweigen. Warum war sie nicht da? Jamies Haut glühte, als ich mit den Fingern darüberstrich. Dieses Gefühl - diese ungesunde Hitze - hätte sie in dieselbe Panik versetzen müssen wie mich.

»Ist alles okay mit dir?«, fragte Jamie. »Wanda?«

»Ich bin ... müde, Jamie, tut mir leid. Ich bin einfach ... nicht ganz da.«

Er sah mich aufmerksam an. »Du siehst nicht besonders gut aus.«