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Was hatte ich getan?

»Ich ... habe mich länger nicht gewaschen.«

»Mir geht es gut, weißt du. Du solltest etwas essen oder so. Du bist ganz blass.«

»Mach dir keine Sorgen um mich.«

»Ich bringe dir was zu essen«, sagte Ian. »Hast du auch Hunger, Junge?«

»Äh ... nein, eigentlich nicht.«

Mein Blick huschte zu Jamie zurück. Jamie hatte immer Hunger. »Schick jemand anderen«, bat ich Ian und fasste seine Hand fester.

»Sicher.« Sein Gesicht war entspannt, aber ich konnte sowohl Überraschung als auch Besorgnis spüren. »Wes, könntest du etwas zu essen holen? Auch für Jamie. Ich bin sicher, sobald du zurück bist, wird er auch wieder Appetit haben.«

Ich musterte Jamies Gesicht. Es war ganz rot, aber seine Augen leuchteten immer noch. Er konnte ein paar Minuten ohne mich auskommen.

»Jamie, macht es dir etwas aus, wenn ich mir das Gesicht waschen gehe? Ich fühle mich irgendwie ... schmierig.«

Er runzelte die Stirn über den falschen Unterton in meiner Stimme. »Natürlich nicht.«

Ich zog Ian mit hoch, als ich aufstand. »Ich bin gleich zurück. Diesmal wirklich.«

Er lächelte über meinen lahmen Witz.

Ich spürte, dass jemand mir nachsah, als ich mit Ian den Raum verließ. Jared oder Doc, ich wusste es nicht. Es war mir egal.

Nur Jeb stand jetzt noch im Gang; die anderen waren weg, vielleicht beruhigt, dass es Jamie gutging. Jeb hielt neugierig den Kopf schief und versuchte herauszufinden, was ich vorhatte. Dass ich Jamie so schnell und so plötzlich wieder verließ, überraschte ihn. Auch er hatte meine Ausrede als solche erkannt.

Ich ignorierte seinen durchdringenden Blick und zog Ian hinter mir her.

Ich zerrte ihn bis zu der Stelle, wo all die Gänge mit den Zimmern in einem großen Gewirr von Höhlenausgängen zusammentrafen. Anstatt weiter in Richtung der großen Höhle zu gehen, zog ich ihn in irgendeinen anderen der dunklen Flure. Er war leer.

»Wanda, was ...«

»Du musst mir helfen, Ian.« Meine Stimme war angespannt, verzweifelt.

»Was immer du willst. Das weißt du.«

Ich nahm sein Gesicht zwischen beide Hände und blickte ihm in die Augen. In der Dunkelheit war kaum ein Schimmer ihres Blaus zu sehen.

»Du musst mich küssen, Ian. Jetzt sofort. Bitte.«

Gezwungen

Ian klappte der Unterkiefer herunter. »Du ... was?«

»Ich erkläre es dir später. Es ist nicht ganz fair dir gegenüber, ich weiß, aber ... bitte. Küss mich einfach.«

»Wird dich das nicht durcheinanderbringen? Wird Mel dir keinen Ärger machen?«

»Ian!«, sagte ich ungeduldig. »Bitte!«

Immer noch verwirrt, legte er mir die Hände um die Taille und zog mich an sich. Sein Gesicht war so besorgt, dass ich mich fragte, ob es überhaupt funktionieren würde. Ich brauchte keine Romantik, aber er vielleicht schon.

Er schloss die Augen, als sein Gesicht näher kam, eine automatische Geste. Er drückte einmal leicht seine Lippen auf meine und wich dann zurück, um mich immer noch besorgt anzusehen.

Nichts.

»Nein, Ian. Küss mich richtig. Als ob ... als ob du es darauf anlegen würdest, eine Ohrfeige zu bekommen. Verstehst du?«

»Nein. Was ist los? Sag es mir erst.«

Ich legte ihm die Arme um den Hals. Es fühlte sich komisch an, ich hatte nicht die leiseste Ahnung, wie man das richtig machte. Ich stellte mich auf die Zehenspitzen und zog gleichzeitig seinen Kopf zu mir herunter, bis ich mit meinen Lippen an seine heranreichte. Bei einer anderen Spezies hätte das nicht funktioniert. Ihr Verstand würde sich nicht so leicht von ihrem Körper überwältigen lassen. Andere Spezies hatten ihre Prioritäten besser im Griff. Aber Ian war ein Mensch und sein Körper reagierte entsprechend.

Ich drückte meinen Mund auf seinen und umarmte ihn fester, als seine erste Reaktion war, mich auf Abstand zu halten. Ich erinnerte mich, wie sein Mund sich auf meinem bewegt hatte, und versuchte, diese Bewegung nachzuahmen. Seine Lippen öffneten sich und ich fühlte ein seltsames Triumphgefühl angesichts meines Erfolgs. Ich nahm seine Unterlippe zwischen die Zähne und hörte, wie ihm vor Überraschung ein leiser, entfesselter Ton entfuhr.

Und dann musste ich nichts mehr tun. Eine von Ians Händen hielt mein Gesicht fest, während die andere mein Kreuz umschlang und mich so fest an ihn presste, dass ich kaum noch Luft bekam. Ich keuchte, aber er tat es ebenfalls. Sein Atem vermischte sich mit meinem. Ich spürte die Felswand, die sich in meinen Rücken drückte. Er nutzte sie, um mich noch fester an sich zu pressen. Es gab keinen Teil von mir, der nicht mit ihm verschmolzen war.

Da waren nur wir zwei, so nah beieinander, dass wir fast eins waren.

Nur wir. Niemand sonst. Allein.

Ian merkte es, als ich aufgab. Er musste darauf gewartet haben - nicht so vollständig von seinem Körper dominiert, wie ich gedacht hatte. Er wich zurück, sobald meine Arme erschlafften, ließ aber sein Gesicht nah an meinem, seine Nasenspitze an meiner.

Ich ließ die Arme sinken und er atmete tief durch. Langsam löste er beide Hände und legte sie mir leicht auf die Schultern.

»Erklär's mir«, sagte er.

»Sie ist weg«, flüsterte ich. Mein Atem ging immer noch stoßweise. »Ich kann sie nicht finden. Noch nicht mal jetzt.«

»Melanie?«

»Ich kann sie nicht hören! Ian, wie soll ich wieder zu Jamie hineingehen? Er wird merken, dass ich lüge! Wie soll ich ihm erklären, dass ich ausgerechnet jetzt seine Schwester verloren habe? Ian, er ist krank! Ich kann es ihm nicht sagen! Es wird ihn aufregen, seine Genesung verhindern! Ich ...«

Ian drückte mir die Finger auf die Lippen. »Schsch, schsch. Gut. Lass uns in Ruhe darüber nachdenken. Wann hast du sie zum letzten Mal gehört?«

»Oh, Ian! Direkt nachdem ich ... im Krankenflügel. Und sie hat versucht, sie zu verteidigen ... und ich habe sie angebrüllt ... und ich ... ich habe sie zum Teufel gejagt! Und seitdem habe ich sie nicht mehr gehört. Ich kann sie nicht finden!«

»Schsch«, sagte er noch einmal. »Ganz ruhig. Gut. Also, was möchtest du wirklich? Ich weiß, du willst Jamie nicht aufregen, aber er wird bestimmt auch so wieder gesund. Überleg doch mal ... wäre es nicht besser für dich, wenn ...«

»Nein! Ich kann Melanie nicht auslöschen! Das kann ich nicht, es wäre nicht richtig! Das würde auch aus mir ein Monster machen!«

»Okay, okay! Gut. Schsch. Wir müssen sie also finden?«

Ich nickte heftig.

Er holte noch einmal tief Luft. »Dann musst du ... wirklich überwältigt sein, stimmt's?«

»Ich weiß nicht, was du meinst.«

Ich fürchtete allerdings, dass ich es doch wusste.

Ian zu küssen war eine Sache - vielleicht sogar eine angenehme, wenn ich nicht so wahnsinnig besorgt gewesen wäre - aber etwas ... Raffinierteres ... Konnte ich ...? Mel würde wütend sein, wenn ich ihren Körper dazu benutzte. War es das, was ich tun musste, um sie zu finden? Aber was war mit Ian? Es war so unglaublich unfair ihm gegenüber.

„Ich bin gleich zurück«, versprach Ian. »Bleib hier.«

Zur Bekräftigung drückte er mich an die Wand, dann verschwand er draußen im Gang.

Es fiel mir schwer, auf ihn zu hören. Ich wollte ihm nachlaufen, um zu sehen, was er tat und wo er hinging. Wir mussten darüber reden ... ich musste darüber nachdenken. Aber dazu hatte ich keine Zeit. Jamie wartete auf mich, voller Fragen, die ich nicht mit Lügen beantworten konnte. Nein, er wartete nicht auf mich, er wartete auf Melanie. Was hatte ich getan? Was, wenn sie wirklich weg war?

Mel, Mel, Mel, komm zurück! Melanie, Jamie braucht dich. Nicht mich, er braucht dich. Er ist krank, Mel. Mel, hörst du mich? Jamie ist krank!