Ich konnte andere in der Höhle hören, am entgegengesetzten Ende. Ich hielt nicht an; hier konnten sie mich nicht sehen und ich hatte bereits den Spalt gefunden, nach dem ich suchte.
Es gab eigentlich nur einen Ort, wo ich hingehen konnte. Selbst wenn ich irgendwo den Weg nach draußen entdeckt hätte, wäre ich trotzdem dort hingegangen. Ich kroch in die schwärzeste Dunkelheit, die man sich vorstellen konnte, und eilte weiter.
Unentschlossen
Ich tastete mich zurück zu meinem Zellenloch.
Es war Wochen her, seit ich durch diesen Gang gegangen war; seit dem Morgen, an dem Jared aufgebrochen und Jeb mich freigelassen hatte, war ich nicht mehr hier gewesen. Es kam mir so vor, als sei dies der Ort, an den ich gehörte, solange ich lebte und Jared in den Höhlen war.
Diesmal leuchtete mir kein gedämpftes Licht entgegen. Ich war ziemlich sicher, mich jetzt im letzten Abschnitt zu befinden - die Kurven und Biegungen kamen mir noch immer vage vertraut vor. Ich strich mit meiner linken Hand so weit unten wie möglich an der Wand entlang und suchte nach der Öffnung, während ich weiterging. Ich hatte nicht unbedingt vor, wieder in das enge Loch zu kriechen, aber zumindest hätte ich in ihm einen Bezugspunkt und wüsste, dass ich dort war, wo ich sein sollte. Es stellte sich heraus, dass ich gar nicht die Möglichkeit hatte, meine Zelle wieder zu bewohnen. Im selben Moment, als meine Finger die raue Oberkante des Lochs berührten, stieß ich mit dem Fuß gegen ein Hindernis, stolperte und fiel auf die Knie. Ich streckte die Hände aus, um mich abzustützen, und durchschlug mit ihnen knisternd und raschelnd etwas, das kein Felsgestein war und nicht hierhergehörte.
Das Geräusch erschreckte mich; der unerwartete Gegenstand machte mir Angst. Vielleicht war ich falsch abgebogen und überhaupt nicht in der Nähe meines Lochs. Vielleicht war ich bei jemandem im Zimmer. In Gedanken ging ich noch mal meinen Weg ab und fragte mich, wie ich mich dermaßen hatte verlaufen können. Gleichzeitig verharrte ich unbeweglich in der Dunkelheit und lauschte auf irgendeine Reaktion auf meinen geräuschvollen Sturz.
Ich hörte nichts - keine Reaktion, kein Geräusch. Es war einfach nur so dunkel und muffig und feucht wie immer und so still, dass ich allein sein musste.
Vorsichtig und so leise wie möglich erkundete ich meine Umgebung.
Meine Hände steckten irgendwo fest. Ich zog sie heraus und betastete den Umriss von etwas, das sich wie ein Karton anfühlte - ein Karton mit einer dünnen, knisternden Plastikfolie als Deckel, die ich mit meinen Händen durchstoßen hatte. Ich stocherte in dem Karton herum und fand eine weitere Schicht aus knisterndem Plastik - kleine Rechtecke, die einen Höllenlärm machten, als ich in ihnen herumwühlte. Ich zog schnell meine Hand heraus aus Angst, Aufmerksamkeit zu erregen.
Ich erinnerte mich, dass ich geglaubt hatte, auf die Oberkante des Lochs gestoßen zu sein. Also suchte ich zu meiner Linken und fand dort einen weiteren Kartonstapel. Ich versuchte herauszubekommen, wie hoch der Stapel war, wozu ich aufstehen musste - er war so groß wie ich. Ich tastete weiter herum, bis ich die Wand erreichte und dann das Loch, genau dort, wo ich es vermutet hatte. Ich versuchte hineinzuklettern, um mich zu versichern, dass es sich wirklich um denselben Ort handelte - eine Sekunde auf dem gekrümmten Fußboden und ich würde Gewissheit haben -, aber ich kam nicht weiter als bis zur Öffnung. Das Loch war ebenfalls voll mit Kartons.
Da ich hier nicht weiterkam, erforschte ich mit meinen Händen den Gang vor der Höhle. Ich stellte fest, dass ich den Flur nicht weiter entlanggehen konnte, da er komplett mit den geheimnisvollen Pappkartons vollgestellt war.
Als ich den Boden absuchte und versuchte zu verstehen, was das alles zu bedeuten hatte, stieß ich noch auf etwas anderes als stapelweise Kartons. Ich fühlte ein raues Gewebe, wie Sackleinen, einen Sack mit etwas Schwerem, das sich mit einem sanften Knirschen verschob, als ich daran stieß. Ich knetete den Sack mit den Händen. Das leise Knirschen beunruhigte mich weniger als das Knistern des Plastiks - es war unwahrscheinlich, dass dieses Geräusch irgendjemanden auf mich aufmerksam machen würde.
Plötzlich war mir alles klar. Es war der Geruch, der den Ausschlag gab. Als ich mit dem sandähnlichen Inhalt des Sacks herumspielte, stieg mir der unerwartete Hauch eines vertrauten Aromas in die Nase. Ich war plötzlich wieder in meiner kargen Küche in San Diego, vor dem Unterschrank links von der Spüle.
In Gedanken sah ich alles genau vor mir: die Packung mit Reis, den Plastikmessbecher, mit dem ich ihn abmaß, die Reihen von Dosen dahinter ...
Sobald mir klar war, dass ich einen Sack Reis berührte, verstand ich. Ich war also doch am richtigen Ort. Hatte Jeb nicht gesagt, dass dies hier als Lagerraum diente? Und war Jared nicht gerade von einer langen Tour zurückgekehrt? Anscheinend hatten sie alles, was sie in sechs Wochen erbeutet hatten, hier an diesem abgelegenen Platz abgestellt, bis es benötigt wurde.
Mir rasten viele Gedanken gleichzeitig durch den Kopf.
Erstens wurde mir bewusst, dass ich von Essen umgeben war. Und zwar nicht bloß von hartem Brot und dünner Zwiebelsuppe, sondern von Essen. Irgendwo in diesem Haufen gab es vielleicht Erdnussbutter. Chocolate Chip Cookies. Kartoffelchips. Käsecracker.
Aber sobald ich mir vorstellte, diese Dinge zu finden, sie wieder zu schmecken, zum ersten Mal, seit ich die Zivilisation verlassen hatte, einmal wieder satt zu sein, hatte ich gleichzeitig Schuldgefühle deswegen. Jared hatte nicht sein Leben riskiert und sich wochenlang versteckt und gestohlen, um mich zu ernähren. Diese Lebensmittel waren für andere gedacht.
Ich machte mir auch Sorgen, dass das vielleicht noch nicht die ganze Ausbeute war. Was, wenn es noch mehr Kartons zu verstauen gab? Würden ausgerechnet Jared und Kyle sie herbringen? Es war nicht viel Vorstellungskraft nötig, um sich die Szene auszumalen, die sich abspielen würde, wenn sie mich hier fänden.
Aber war das nicht der Grund, weshalb ich hier war? War es nicht genau das, worüber ich alleine nachdenken wollte?
Ich ließ mich gegen die Wand sinken. Der Reissack gab ein anständiges Kissen ab. Ich schloss die Augen - was in der absoluten Dunkelheit eigentlich unnötig war - und machte es mir bequem, um mich zu beraten. Okay, Mel, was jetzt?
Ich war froh, festzustellen, dass sie noch immer präsent und wachsam war. Schwierigkeiten brachten ihre Stärke zum Vorschein. Nur wenn die Dinge gut liefen, verkrümelte sie sich.
Prioritäten setzen, beschloss sie. Was ist uns wichtiger? AmLeben zu bleiben? Oder Jamie?
Sie kannte die Antwort. Jamie, bestätigte ich und seufzte laut. Das Geräusch meines Atems hallte als flüsterndes Echo von den schwarzen Wänden wider.
Einverstanden. Wir können wahrscheinlich noch eine Weile durchhalten, wenn wir zulassen, dass Jeb und Ian uns beschützen. Aber wird ihm das helfen?
Vielleicht. Würde es ihn mehr verletzen, wenn ich einfach aufgäbe? Oder wenn sich das Ganze noch weiter hinzöge, nur um doch tödlich zu enden, was ja unausweichlich zu sein scheint?