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Kalte Hände schlossen sich um ihre Schultern. »Was kann ich tun?«, fragte Dickon.

»Unterstütze mich«, erwiderte sie mit einer Stimme, die sogar in ihren eigenen Ohren zerbrechlich klang. »Gib deine Magie für mich frei.«

Wie sein Magierlicht flackerte die Macht, die er ihr zuführte, unstet und willkürlich. Trotzdem half sie. Der alte Glockenturm ging in grellen Flammen auf, aber es gelang Sham, die wilde Magie davon abzuhalten, überall nach Lust und Laune zu wüten. Wie ein Hirtenhund griff ihre Macht bald hier, bald dort ein und drängte die schlimmsten Auswüchse der Magie gegen die Klippen zurück, wo das Wasser den Schaden begrenzen würde.

Kerim stand mit den anderen im Hintergrund und wünschte vergeblich, er hätte die Möglichkeit, irgendwie zu helfen. Der Hai befand sich zu seiner Rechten und sah so aus, wie sich Kerim fühlte. Talbot kauerte auf dem Boden, der Kopf des bewusstlosen Halvok ruhte auf seinem Knie. Der Blick des einstigen Seemanns war eindringlich auf Shamera und Dickon gerichtet. Elsic saß neben ihm, die Lippen vor Anspannung verkniffen – Kerim vermutete, dass Elsic, auch wenn er blind sein mochte, wahrscheinlich eine bessere Vorstellung von dem Kampf hatte als der Rest der Anwesenden.

Shamera wurde von einem schauerlichen Leuchten erhellt, das an das schillernde, im Meer treibende Plankton erinnerte, nur viele Male heller. Grelle Funken rieselten vereinzelt über Dickons Haare und auf seinen Rücken, tropften wie flüssiges Licht von seinen Fingern auf den Boden, wo sie zu seinen Füßen weiterschimmerten. Die Luft war erfüllt von Brandgeruch und einem knisternden Gefühl wie unmittelbar vor einem Blitzschlag.

Erneut prallten Wellen gegen die Klippen, doch diesmal wurden sie nur matt von dem seltsamen Flackern erhellt, das sich über die vorherigen Wogen ausgebreitet hatte. Als das Wasser wieder ins Meer abfloss, blieb nichts als Dunkelheit zurück. Dickon schwankte auf den Beinen, als bedürfe es all seiner Kraft, sich aufrecht zu halten. Sham sackte schlaff zu Boden.

Der Hai war nur deshalb vor Kerim bei ihr, weil die Krücken die Bewegungsfreiheit des Vogts einschränkten. Kerim zögerte an Dickons Seite und berührte ihn leicht an der Schulter.

»Es geht mir gut, Herr«, sagte Dickon. »Ich bin nur müde.«

Kerim nickte und ließ seine Krücken fallen. Er sank neben Sham auf die Knie, die mit dem Gesicht nach unten auf dem nassen Sand lag. Der auf ihrer anderen Seite kauernde Hai hielt die Hand an ihren Hals.

»Sie lebt«, verkündete er.

Eingedenk der Feuer, die über Shamera gezüngelt hatten, berührte Kerim sie äußerst vorsichtig und drehte mit der Hilfe des Hais ihr Gesicht aus dem Sand. Elsic und Talbot schlossen sich der stillen Versammlung an, Halvok lag zwischen ihnen eingekeilt.

Halvok vollführte eine Geste, und eine trübe Lichtkugel erschien in seiner Hand. Der Adelige aus Südwald wirkte müde, und er bewegte sich mit der qualvollen Trägheit eines sehr, sehr alten Mannes.

Im Schimmer seines Lichts ließ sich erkennen, dass Sham mit dem leichten Keuchen eines müden Kindes atmete, und ein Teil der Anspannung floss aus Kerims Brust ab. Er begann, Sham mit einer in zahlreichen Schlachten erlernten Gründlichkeit auf Verletzungen zu überprüfen, fand jedoch nur Blasen. Die meisten hatte sie an ihren Händen, sonst waren lediglich vereinzelte zu sehen. Blut verschmierte ihre Seite, aber Kerim konnte dort nur einen sich ausbreitenden blauen Fleck entdecken.

Er hatte mit viel Schlimmerem gerechnet.

Behutsam zog er sie auf seinen Schoß und wickelte sie in seinen Mantel, um zu verhindern, dass sie unterkühlte. Dabei erschien es ihm unmöglich, dass diese zerlumpte, verdreckte Diebin die Magierin war, deren grell schillernde Gestalt noch vor wenigen Augenblicken die Nacht erhellt hatte. Der Hai beobachtete ihn mit kühler Miene.

»Er ist weg«, brach Halvok das Schweigen. Er schüttelte den Kopf voll verhaltener Belustigung. »Gar nicht schlecht gemacht für einen Lehrling. Ich werde mit dem Rat der Magier reden und mich dafür einsetzen, sie in den Rang eines Meisters zu erheben. Einen Dämon zurück in die Hölle zu schicken sollte als Meisterstück durchgehen.«

»Nicht in die Hölle«, berichtigte ihn Elsic mit einem verträumten Lächeln. »Es war wunderschön – habt Ihr es nicht gesehen?«

Epilog

Als Sham erwachte, befand sie sich in ihrem Zimmer in der Feste. Mit geschlossenen Augen lauschte sie, wie Jenli mit jemandem zankte. Dann schloss sich eine Tür, und das Streitgespräch wurde gedämpft. Sham döste wieder ein.

»Shamera«, zischte Kerim leise, und ihr Bett neigte sich unter seinem Gewicht.

Mühsam rang sie sich dazu durch, die Lider zu öffnen.

»Ich habe dafür gesorgt, dass Dickon deine Zofe ablenkt, damit ich mich hereinschleichen kann, um mit dir zu reden. Seit wir dich zurückgebracht haben, gebärdet sie sich schlimmer als eine Katze mit Jungen. Obwohl«, fügte er mit einem Augenzwinkern hinzu, »ich glaube, dass sie über den Zustand deines Kleides noch aufgebrachter war.«

Sham setzte als Erwiderung zu einem Grinsen an, hielt sich jedoch zurück, als sie spürte, wie ihre Lippen aufzuplatzen begannen.

»Ich habe das Gefühl«, sagte sie vorsichtig, um keinen weiteren Schaden zu verursachen, »ich brauche einen Apfel.«

Er sah sie verdutzt an. »Einen Apfel?«

»M-hm«, bestätigte sie nickend. »Bratet ihr aus dem Osten eure Schweine nicht mit einem Apfel im Maul?«

Kerim musterte sie und lachte. »Abgesehen von den Händen sind deine Verletzungen wenig schlimmer als ein Sonnenbrand, und Dickon meint, sogar dort werden keinen Narben zurückbleiben.«

Die Außentür öffnete sich einen Spalt und wurde jäh wieder geschlossen.

»Ich muss dich etwas fragen, bevor Halvok mit dir redet. Ich möchte nicht, dass du seinem Vorschlag zustimmst, bevor du dir meinen angehört hast«, erklärte Kerim hastig. »Wir haben nicht viel Zeit. Ich weiß nicht, wie lange Dickon die gute Jenli noch beschäftigen kann. Ich möchte, dass du in Erwägung ziehst, Maurs Posten zu übernehmen. Ich …«, begann er leise, dann zögerte er und verfiel in einen sachlicheren Tonfall. »Wir brauchen dich – erst heute ist mir zu Ohren gekommen, dass an den heißen Quellen außerhalb von Landsend merkwürdige Dinge vor sich gehen. Natürlich gibt es keinen König, wir müssten also den Titel ändern.«

Sham achtete darauf, keinerlei Regung in ihren Zügen zuzulassen, vorwiegend aus dem Grund, dass jedes Zucken in ihrem Gesicht schmerzte. »Du willst, dass ich deine Magierin werde?«

Er nickte. »Ich habe mit Fykall gesprochen, und er ist einverstanden, dir Altis’ Segen zu erteilen. Du hättest also sowohl das als auch die Unterstützung des Staates.«

»Eine Machtposition«, meinte Sham langsam und wusste nicht recht, was sie von Altis’ Segen halten sollte.

Kerim lehnte sich gegen das Kopfteil ihres Bettes zurück. Als er sprach, hätte seine Stimme Eis zum Schmelzen bringen können. »Ich vertraue dir.«

Um Zeit zu haben, darüber nachzudenken, was dieser Tonfall bedeuten mochte, fragte sie: »Und wie lautet Halvoks Angebot?«

»Der Magierrat ist damit einverstanden, dich in den Rang eines Meisters zu erheben.«

Sham zuckte mit den Schultern. »Das ist eine reine Formalität.«

Er nickte. »Das hat er auch gesagt. Außerdem konnte er für dich einen Posten beim ae’Magi aushandeln.« Seine Zunge stolperte über den für ihn fremdartigen Begriff.

Beeindruckt meinte Shamera: »Das ist eine ziemliche Ehre.«

»Es würde dir ermöglichen, mit anderen Magiern zusammenzuarbeiten. Du hättest Zugang zu den Bibliotheken des Erzmagiers.« Seine Stimme wurde sanfter, und er lehnte sich näher. »Du wärst dort sicher: keine aufgebrachten Menschenmengen, keine Dämonen.«

Er kannte sie bereits zu gut. Sham betrachtete ihn einen Augenblick lang mit schief gelegtem Kopf, dann beugte sie sich vor und berührte mit ihren Lippen die seinen. Berücksichtigte man die Blasen an ihrem Mund, wurde es ein ziemlich beachtlicher Kuss – was sie voll und ganz Kerim zuschrieb.