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»Und hören Sie auf, mich senhor zu nennen«, sagte Sharpe. »Ich bin ein Leutnant wie Sie.«

Vicente wich einen Schritt zurück, konnte seine Überraschung nicht verbergen. »Sie sind ein ...?«, begann er, dann wurde ihm klar, dass sich die Frage nicht schickte. Sharpe war älter als er, vielleicht zehn Jahre, und wenn Sharpe immer noch Leutnant war, dann war er vermutlich kein guter Soldat, denn ein guter Soldat im Alter von dreißig musste befördert worden sein. »Aber ich bin mir sicher, senhor«, fuhr Vicente fort, »dass Sie ranghöher als ich sind.«

»Das bezweifle ich«, sagte Sharpe.

»Ich bin seit zwei Wochen Leutnant«, sagte Vicente.

Jetzt war Sharpe überrascht. »Seit zwei Wochen!«

»Zuvor hatte ich natürlich etwas Ausbildung«, sagte Vicente. »Und während meines Studiums habe ich über die Taten der großen Offiziere gelesen.«

»Welches Studium?«

»Ich bin ein Anwalt, senhor.«

»Ein Anwalt!« Sharpe konnte seine instinktive Abneigung nicht verbergen. Er kam aus der Gosse von England, und jeder, der in der Gosse geboren und aufgewachsen war, wusste, dass er bei vielen Anwälten gegen Vorurteile und Schikanen ankämpfen musste. Anwälte waren für Sharpe und die anderen Unterprivilegierten die Diener des Teufels gewesen, die Männer und Frauen an den Galgen brachten, mit ihren Fallstricken aus juristischen Spitzfindigkeiten durch ihre Opfer reich und dann Politiker wurden, damit sie noch mehr Gesetze verabschieden konnten, die ihren Reichtum vermehrten. »Ich hasse verdammte Anwälte«, grollte Sharpe angewidert, denn er erinnerte sich an Lady Grace und das, was nach ihrem Tod geschehen war, und wie er durch die Anwälte jeden Penny losgeworden war, den er besessen hatte, und die Erinnerung an Grace und ihr totes Baby brachte all das alte Elend zurück. »Ich hasse Anwälte«, sagte er aufgewühlt.

Vicente war verblüfft und sprachlos nach Sharpes feindseligen Worten, dass er einen Moment brauchte, um die Fassung wiederzugewinnen. »Ich war Anwalt, bevor ich das Schwert meines Landes nahm. Ich arbeitete für die Real Companhia Velha, die für die juristische Beratung des Handels mit Portwein verantwortlich ist.«

»Wenn ein Kind von mir Anwalt werden wollte, dann würde ich es mit meinen eigenen Händen erwürgen und auf sein Grab pissen«, sagte Sharpe.

»Sie sind also verheiratet, senhor?«, fragte Vicente höflich.

»Nein, ich bin verdammt nicht verheiratet.«

»Dann habe ich das missverstanden«, sagte Vicente. Dann wies er auf seine müden Soldaten. »Wir sind also hier, senhor, und ich dachte, wir könnten uns Ihnen anschließen.«

»Vielleicht«, sagte Sharpe widerwillig, »aber lassen Sie uns eines klarstellen, Mister Anwalt. Wenn Ihre Beförderung zum Leutnant erst zwei Wochen alt ist, bin ich ranghöher. Ich habe das Kommando. Kein verdammter Anwalt schleicht da mit juristischen Spitzfindigkeiten um mich herum.«

»Selbstverständlich, senhor«, sagte Vicente und runzelte die Stirn, als sei er beleidigt.

Verdammter Anwalt, dachte Sharpe. Er wusste, dass er sich ungehobelt verhalten hatte, besonders weil dieser anständige junge Anwalt den Mut besessen hatte, einen Sergeant zu töten, um die Moral aufrechtzuerhalten und seine Männer zu seiner, Sharpes, Rettung zu führen. Er wusste, dass er nicht alle Anwälte über einen Kamm scheren und sich für seine Vorurteile entschuldigen sollte. Stattdessen starrte er nach Süden und Westen, hielt nach Verfolgern Ausschau und versuchte, sich die Landschaft einzuprägen. Er nahm sein feines Fernrohr, das ein Geschenk von Sir Arthur Wellesley war, und richtete es auf den Weg, auf dem sie gekommen waren. Er spähte über die Bäume hinweg und sah schließlich, was er zu sehen erwartet hatte: Staub. Viel Staub, der von Pferdehufen, Stiefeln oder Rädern aufgewirbelt wurde. Sharpe konnte nicht erkennen, ob der Staub von Flüchtlingen aufgewirbelt wurde, die ostwärts strömten, oder von den Franzosen.

»Werden Sie versuchen, südlich des Douro zu gelangen?«, fragte Vicente.

»Ja, das werde ich. Aber es gibt keine Brücken auf diesem Teil des Flusses, stimmt das?«

»Ja, bis Amarante gibt es keine Brücke, und das ist am Fluss Tamega. Es ist ein - wie sagt man? - ein Nebenfluss?«

Sharpe nickte.

»Es ist ein Nebenfluss des Douro, aber jenseits des Tamega gibt es eine Brücke über den Douro bei Peso da Régua.« »Und sind die Franzmänner auf der fernen Seite des Tamega?«

Vicente schüttelte den Kopf. »Man hat uns gesagt, dass dort General Silveira ist.«

Wenn man sagt, dass ein portugiesischer General jenseits eines Flusses wartet, ist es nicht das Gleiche, als es zu wissen, dachte Sharpe. »Und es gibt dort eine Fähre über den Douro, nicht weit von hier?«, fragte er.

Vicente nickte. »Bei Barca d'Avintas.«

»Wie nahe ist das?«

Vicente dachte kurz nach. »Vielleicht ein Marsch von einer halben Stunde. Vielleicht sogar weniger.«

»So nahe?« Doch wenn die Fähre so nahe bei Oporto war, dann konnten die Franzosen bereits dort sein. »Und wie weit ist Amarante entfernt?«

»Wir könnten morgen dort sein.«

»Morgen«, wiederholte Sharpe und spähte durch das Fernrohr. Wurde dieser Staub von den Franzosen aufgewirbelt? Waren sie auf dem Weg nach Barca d'Avintas?

Er wollte die Fähre benutzen, weil es viel näher war. Aber es war auch riskanter. Würden die Franzosen damit rechnen, dass die Flüchtlinge die Fähre benutzten? Es gab nur eine Möglichkeit, dies herauszufinden.

»Wie kommen wir nach Barca d'Avintas?«, fragte er Vicente und wies auf den Weg, der zwischen den Korkeichen hindurchführte. »Auf dem gleichen Weg, auf dem wir hergekommen sind?«

»Es gibt einen schnelleren Weg«, sagte Vicente.

Einige der Männer waren eingedöst, und Harper weckte sie mit einem Tritt. Alle folgten dann Vicente in ein sanftes Tal hinab, wo Wein in gepflegten Reihen angebaut war. Von dort aus stiegen sie auf einen anderen Hügel und gingen über Wiesen, die mit kleinen Heumieten übersät war. Blumen blühten im Gras, in dem kein Pfad zu erkennen war, doch Vicente führte die Männer, als kenne er sich gut aus.

»Sie wissen, wohin wir gehen?«, fragte Sharpe nach einer Weile misstrauisch.

»Ich kenne diese Gegend sehr genau«, versicherte Vicente.

»Sie sind hier aufgewachsen?«

Vicente schüttelte den Kopf. »Ich bin in Coimbra groß geworden. Das ist weiter im Süden, senhor, aber ich kenne diese Gegend, weil ich einem Verein angehöre ...«, er korrigierte sich, »... angehörte, der hier Wandertage durchführt.«

»Ein Verein, der auf dem Land wandert?«, fragte Sharpe amüsiert.

Vicente errötete. »Wir sind Philosophen und Poeten, senhor.«

Sharpe war erstaunt. »Sie sind - was?«

»Philosophen und Poeten, senhor.«

»Mein Gott!«, entfuhr es Sharpe.

»Wir glauben, senhor«, fuhr Vicente fort, »dass es auf dem Land Inspiration gibt. Das Land ist die Natur, während Städte von Menschen gemacht sind und so all die Bosheiten der Menschheit verkörpern. Wenn wir das natürliche Gute in uns entdecken wollen, dann müssen wir es auf dem Land suchen.« Er hatte Mühe, die richtigen Vokabeln zu finden, um auszudrücken, was er meinte. »Es gibt, glaube ich, eine natürliche Gutheit in der Welt, und wir suchen sie.«

»Sie suchen hier die Inspiration?«

»Ja, so ist es.« Vicente nickte eifrig.

Einem Anwalt Inspiration zu geben, das ist, als ob man eine Ratte mit feinem Brandy tränkt, dachte Sharpe. »Und lassen Sie mich raten«, sagte er und konnte kaum seinen Hohn verbergen, »die Mitglieder Ihres Vereins von reimenden Philosophen sind allesamt männlich. Keine Frau dabei, wie?«

»Woher wissen Sie das?«, fragte Vicente erstaunt.