Sharpe behielt Hagman und sechs andere Schützen bei sich. Sie verteilten sich an der Wand und feuerten so schnell, wie sie ihre Gewehre nachladen konnten. Sharpe wollte, dass die Franzosen unzählige Schüsse hörten und viel Rauch sahen und folglich nicht bemerkten, dass sich der Feind zurückzog.
Sharpe schlang das Gewehr am Riemen über die Schulter, wich aus dem Pulverrauch zurück und sah, dass Vicente und Harper jetzt den Weingarten erreicht hatten, und so rief er seinen verbliebenen Männern zu, sie sollten zurück über die Koppel eilen. Hagman feuerte eine letzte Kugel ab. Sharpe lief mit ihm, und er konnte noch immer nicht glauben, dass es so leicht gewesen war, sich abzusetzen, dass die Franzosen so träge und untätig geblieben waren - und in diesem Augenblick stürzte Hagman zu Boden.
Im ersten Moment glaubte Sharpe, Hagman wäre auf einem der Metallpflöcke ausgerutscht, mit denen die Dragoner ihre Pferde angepflockt hatten, doch dann sah er Blut im Gras und bemerkte, dass Hagman das Gewehr aus den Händen glitt und sich seine rechte Hand langsam ballte und wieder entspannte.
»Dan!« Sharpe kniete sich neben ihn und sah eine winzige Wunde neben Hagmans linkem Schulterblatt, wo eine Karabinerkugel durch den Rauch ihr Ziel gefunden hatte.
»Laufen Sie weiter, Sir.« Hagmans Stimme klang krächzend. »Ich bin erledigt.«
»Das bist du verdammt nicht«, erwiderte Sharpe rau. Er drehte Hagman auf den Rücken und sah keine Ausschusswunde, was bedeutete, dass die Karabinerkugel noch in seinem Körper stecken musste. Dann würgte Hagman und spuckte Blut, und Sharpe hörte, dass Harper schrie: »Die Bastarde kommen, Sir!«
Gerade hatte sich Sharpe noch beglückwünscht, weil das Absetzen so leicht war, und jetzt war alles anders. Er riss Hagmans Gewehr vom Boden, schlang es neben sein eigenes am Riemen über die Schulter und hob den Verwundeten an. Hagman stöhnte auf und schüttelte den Kopf. »Lassen Sie mich liegen, Sir.«
»Ich lasse Sie nicht zurück, Dan.«
»Es tut weh, Sir, so weh!«, krächzte Hagman. Er war totenbleich, und Blut sickerte aus seinem Mundwinkel. Doch dann war Harper an Sharpes Seite und nahm ihm Hagman aus den Armen. »Lass mich hier«, wisperte der Verwundete.
»Nimm ihn, Pat«, sagte Sharpe, und dann feuerten einige Gewehre aus dem Weingarten, und Musketen krachten hinter ihm, als Sharpe Harper weiterschob. Er folgte ihm im Rückwärtsgang, beobachtete, wie blaue französische Uniformen im Rauchschleier auftauchten, den die Schüsse der Schützen hinterlassen hatten.
»Kommen Sie, Sir!«, rief Harper und ließ Sharpe wissen, dass er Hagman in den dürftigen Schutz der Rebenreihen gebracht hatte.
»Tragen Sie ihn nach Norden«, sagte Sharpe, als er den Weingarten erreichte.
»Er hat schlimme Schmerzen, Sir.«
»Tragen Sie ihn! Bringen Sie ihn von hier fort!«
Sharpe beobachtete die Franzosen. Drei Kompanien Infanterie marschierten über das Weideland, doch sie trafen keine Anstalten, Sharpe nach Norden zu folgen. Sie mussten die Kolonne von Portugiesen und britischen Soldaten gesehen haben, die sich durch die Weingärten wand und bei der Dutzende erbeuteter Pferde und eine Menge verängstigter Dorfbewohner waren, doch sie folgten ihr nicht. Es hatte den Anschein, dass sie lieber nach Barca d'Avintas wollten, als Sharpe und seine Männer zu verfolgen. Selbst als Sharpe eine halbe Meile nördlich des Dorfes auf einer Erhebung anhielt und durch sein Fernrohr die Franzosen beobachtete, näherten sie sich nicht, um ihn zu bedrohen. Sie konnten ihn leicht mit Dragonern jagen, doch stattdessen zerhackten sie das einzige noch brauchbare Boot, das Sharpe gefunden hatte, und setzten die Bruchstücke in Brand.
»Sie sperren den Fluss ab«, sagte Sharpe zu Vicente.
»Sperren den Fluss?« Vicente verstand nicht.
»Sie stellen sicher, dass sie als Einzige Boote haben. Sie wollen nicht, dass britische oder portugiesische Soldaten den Fluss überqueren. Was bedeutet, dass es verdammt schwer für uns wird, über den Fluss zu kommen.« Sharpe drehte sich um, als Harper herankam, und sah, dass die Hände des großen irischen Sergeants blutig waren. »Wie geht's ihm?«
Harper schüttelte den Kopf. »Er ist in furchtbarer Verfassung, Sir«, sagte der düster. »Ich vermute, dass die verdammte Kugel in seiner Lunge steckt. Er hustet rote Blasen, wenn er überhaupt husten kann. Der arme Dan.«
»Ich lasse ihn nicht zurück«, sagte Sharpe hartnäckig. Er wusste, dass er Tarrant zurückgelassen hatte und es Männer wie Williamson gab, die Freunde von Tarrant gewesen waren und ihm verübelten, dass er bei Hagman nicht das Gleiche tat, doch Tarrant war ein Trunkenbold und ein Unruhestifter gewesen, während Dan Hagman wertvoll war. Er war der Älteste von Sharpes Schützen und hatte einen gesunden Menschenverstand. Außerdem mochte er ihn. »Machen Sie eine Trage, Pat, und transportieren Sie ihn.«
Während die Trage aus zwei Stangen aus Eschenholz und Uniformröcken fertiggestellt wurde, beobachteten Sharpe und Vicente die Franzosen und diskutierten, wie sie ihnen entkommen könnten.
»Wir müssen nach Osten gehen«, sagte der portugiesische Leutnant. »Nach Amarante.« Er glättete Erde und benutzte sie als primitive Karte, indem er mit einem Holzsplitter darauf zeichnete. »Dies ist der Douro«, sagte er, »und hier ist Oporto. Wir befinden uns hier, und die nächste Brücke ist bei Amarante.« Er machte ein Kreuz. »Wir könnten morgen oder vielleicht übermorgen dort sein.«
»Und sie ebenfalls«, sagte Sharpe grimmig und nickte zum Dorf.
Zwischen den Bäumen, wo die Franzosen so lange gewartet hatten, bevor sie Sharpe und seine Männer angegriffen hatten, war ein Geschütz aufgetaucht. Die Kanone wurde von sechs Pferden gezogen, von denen drei von Kanonieren in ihren dunkelblauen Uniformen geritten wurden. Die Lafette der Kanone, ein Zwölfpfünder, war an einen leichten zweirädrigen Karren gehängt. Hinter dem Geschütz zog ein weiteres Gespann von vier Pferden einen Munitionswagen, der einem Sarg ähnlich war. Er wurde von einem halben Dutzend Kanonieren begleitet und enthielt die Munition für die Kanone. Selbst aus der großen Entfernung konnte Sharpe das Klirren von Ketten und Holpern der Räder hören. Er beobachtete schweigend, wie eine Haubitze in Sicht kam, dann eine zweite Zwölfpfünder-Kanone und danach ein Trupp Husaren.
»Meinen Sie, die kommen her?«, fragte Vicente alarmiert.
»Nein«, sagte Sharpe. »Sie sind nicht interessiert an Flüchtlingen. Ihr Ziel ist Amarante.«
»Dies ist nicht die gute Straße nach Amarante. Eigentlich führt sie nirgendwohin. Sie werden nördlich abbiegen müssen, um zur Hauptstraße zu gelangen.«
»Das werden sie wohl noch nicht wissen«, vermutete Sharpe. »Sie nehmen jede Straße nach Osten, die sie finden können.«
Im Wald war nun Infanterie erschienen, dann tauchte weitere Artillerie auf. Sharpe beobachtete eine kleine Armee, die ostwärts marschierte, und es gab nur einen Grund, so viele Männer und Geschütze nach Osten marschieren zu lassen, und das war die Einnahme der Brücke bei Amarante und damit der Schutz der linken Flanke.
»Amarante, das ist das Ziel der Bastarde.«
»Dann können wir nicht hin«, meinte Vicente.
»Doch, das können wir«, widersprach Sharpe. »Wir können nur nicht auf dieser Straße weitermarschieren. Sie sagen, es gibt dort eine Hauptstraße?«
»Dort oben«, sagte Vicente und glättete die Erde, um eine andere Straße nördlich von ihnen zu markieren. »Das ist die Hochstraße«, sagte Vicente. »Die Franzosen sind offenbar ebenso darauf. Müssen wir wirklich nach Amarante?«
»Ich muss über den Fluss«, sagte Sharpe. »Und da gibt es eine Brücke, und dort ist auch eine portugiesische Armee, und wenn auch die Franzosen dorthin marschieren, heißt das nicht, dass sie die Brücke einnehmen.« Und wenn sie es tun, dachte er, dann könnten wir von Amarante nach Norden gehen, bis wir den Fluss durchfurten können. »Wie erreichen wir Amarante, wenn wir nicht diese Straße benutzen? Können wir über Land gehen?«