»England bringt mir nichts«, sagte Harper. »Ich bin glücklicher hier.«
»Und die Männer?«
»Den meisten gefällt es hier«, sagte der Ire, »doch ein paar wollen heim. Cresacre, Sims, die üblichen Nörgler. John Williamson ist der Schlimmste. Er erzählt den anderen dauernd, dass Sie nur hier sind, weil Sie befördert werden wollen und uns alle dafür opfern.«
»Das sagt er?«
»Und Schlimmeres.«
»Klingt wie eine gute Idee«, sagte Sharpe leichthin.
»Aber ich glaube, niemand außer den üblichen Nörglern glaubt ihm. Die meisten von uns wissen, dass wir zufällig hier sind.« Harper starrte zu den fernen französischen Dragonern, dann schüttelte er den Kopf. »Ich muss Williamson früher oder später mal ordentlich verprügeln.«
»Sie oder ich«, stimmte Sharpe zu.
Harper hielt das Fernrohr wieder an die Augen. »Der Bastard kommt zurück«, sagte er, »und er hat diesen anderen Bastard bei ihnen zurückgelassen.« Er reichte Sharpe das Fernrohr.
»Olivier?«
»Er hat ihn den Franzosen zurückgegeben!« Harper war empört.
Durch das Fernrohr konnte Sharpe sehen, dass Christopher nach Vila Real de Zedes zurückritt, begleitet von einem einzelnen Mann, nach seiner Kleidung zu urteilen, einem Zivilisten, gewiss nicht Olivier, der offenbar mit den Dragonern nordwärts ritt. »Diese Scheißer müssen uns gesehen haben«, sagte Sharpe.
»Das ist klar«, stimmte Harper zu.
»Und Lieutenant Olivier wird ihnen erzählt haben, dass wir hier sind«, sagte Sharpe. »Warum, zum Teufel, lassen sie uns dann in Frieden?«
»Weil der Colonel mit den Bastarden eine Vereinbarung getroffen hat«, sagte Harper und nickte zum fernen Christopher hin.
Sharpe fragte sich, welche Vereinbarung das sein könnte. »Wir sollten ihn in die Mangel nehmen«, sagte
er.
»Nein, er ist ein Colonel.«
»Dann sollten wir den Bastard zweimal in die Mangel nehmen, dann finden wir die Wahrheit schnell genug heraus.«
Die beiden Männer verfielen in Schweigen, als Christopher über den Zufahrtsweg zum Haus zurückkehrte. Der Mann, der ihn begleitete, war jung, rothaarig und in Zivilkleidung, doch sein Pferd hatte ein französisches Brandzeichen, und der Sattel war aus Militärbestand. Christopher blickte auf das Fernrohr in Sharpes Hand. »Sie sind ziemlich neugierig, Sharpe«, sagte er mit ungewöhnlicher Freundlichkeit.
»Ich bin neugierig«, sagte Sharpe, »warum Sie unseren Gefangenen zurückgegeben haben.«
»Weil es mein Entschluss war, ihn zurückzugeben, natürlich«, sagte Christopher und glitt vom Pferd. »Und die Franzosen haben versprochen, nicht gegen uns zu kämpfen, bis sie einen britischen Gefangenen von gleichem Rang zurückgeben. Alles ganz normal, Sharpe, und kein Grund zur Empörung. Dies ist Monsieur Argenton, der mich begleiten wird, um General Cradock in Lissabon zu besuchen.« Der Franzose, der seinen Namen hörte, nickte Sharpe nervös zu.
»Wir werden mit Ihnen kommen«, sagte Sharpe und ignorierte den Franzosen.
Christopher schüttelte den Kopf. »Das glaube ich nicht, Sharpe. Monsieur Argenton wir für uns arrangieren, die Pontonbrücke in Oporto zu benutzen, wenn sie repariert ist, und falls das nicht klappen sollte, wird er die Fahrt auf einer Fähre arrangieren, und ich bezweifle, dass unsere französischen Freunde zulassen werden, dass eine halbe Kompanie von Schützen vor ihren Augen den Fluss überquert.«
»Wenn Sie mit ihnen reden, lassen sie das vielleicht zu«, sagte Sharpe. »Sie scheinen ja gut mit ihnen befreundet zu sein.«
Christopher warf Luis die Zügel zu. Dann forderte er Argenton mit einer Geste auf, abzusitzen und ihm ins Haus zu folgen. Er ging an Sharpe vorbei und wandte sich dann um. »Ich habe andere Pläne für Sie.«
»Sie haben Pläne für mich?«, fragte Sharpe spöttisch.
»Ich glaube, dass in der Armee Seiner Britannischen Majestät ein Lieutenant Colonel einen höheren Rang hat als nur ein Lieutenant, Sharpe«, sagte Christopher sarkastisch. »So werden Sie in einer halben Stunde ins Haus kommen, und ich werde Ihnen Ihre neuen Befehle geben. Kommen Sie, Monsieur.« Er winkte Argenton, blickte Sharpe kalt an und stieg die Treppe hinauf.
Am nächsten Morgen regnete es. Es war auch kälter. Graue Regenschleier trieben vom Atlantik mit einem eisigen Wind heran, der die Glyzinen von den Bäumen blies, die Fensterläden des Hauses klappern ließ und kühlen Luftzug durch die Räume schickte. Sharpe, Vicente und ihre Männer hatten im Stall übernachtet, bewacht von Posten, die in der Nachtkälte zitterten und durch die feuchte Dunkelheit spähten. Sharpe, der in den dunkelsten Stunden der Nacht Wache gehalten hatte, sah in einem Fenster des Hauses Kerzenschein flackern und glaubte einen Schrei wie von einem Tier im Obergeschoss zu hören, und sekundenlang war er überzeugt, dass es Kates Stimme war, dann führte er es auf seine Fantasie zurück und nahm an, dass nur der Wind in den Kaminen geheult hatte.
Im Morgengrauen schaute er nach Hagman und sah, dass der Verwundete schweißnass war, jedoch lebte. Er murmelte im Schlaf hin und wieder einen Namen: »Amy - Amy.« Der Arzt hatte ihn am vergangenen Nachmittag besucht, an der Wunde gerochen und gesagt, dass er sterben würde. Er hatte die Wunde gewaschen und einen neuen Verband angelegt. Er hatte sich geweigert, ein Honorar anzunehmen. »Halten Sie den Verband feucht«, hatte er zu Vicente gesagt, der für Sharpe übersetzt hatte, »und heben Sie ein Grab aus.« Die letzten Worte hatte der portugiesische Leutnant nicht übersetzt.
Kurz nach dem Sonnenuntergang war Sharpe zu Colonel Christopher geholt worden. Der Colonel saß im Salon, den Kopf umwickelt mit heißen Handtüchern, während Luis ihn rasierte. »Er war früher ein Barbier«, sagte der Colonel. »Nicht wahr, Luis, Sie waren ein Barbier.«
»Und ein guter«, sagte Luis.
»Sie sehen aus, als könnten Sie einen Barbier gebrauchen, Sharpe«, sagte Christopher. »Sie haben sich das Haar selbst geschnitten?«
»Nein, Sir.«
»Sieht aber so aus. Sieht aus, als hätten die Ratten daran geknabbert.« Das Rasiermesser schabte über sein Kinn. Luis wischte die Klinge mit einem Tuch ab und schabte weiter. »Meine Frau wird hierbleiben müssen«, sagte Christopher. »Ich bin ziemlich unglücklich. Aber sie wird nirgendwo sonst sicherer sein. Sie kann nicht nach Oporto gehen, denn dort wimmelt es von Franzosen, die alles vergewaltigen, was nicht tot ist, und vermutlich Dinge essen, die tot sind, sofern sie noch frisch sind, und sie werden die Stadt erst in ein, zwei Tagen unter Kontrolle bringen. So muss Kate hierbleiben, und ich würde mich weitaus behaglicher fühlen, wenn sie beschützt ist, Sharpe. Deshalb werden Sie meine Frau bewachen. Ihr verwundeter Kamerad soll sich erholen, und Sie können sich ausruhen. In einer Woche oder so werde ich zurück sein, und Sie können marschieren.«
Sharpe blickte aus dem Fenster zu einem Gärtner, der den Rasen mähte, vermutlich der erste Schnitt des Jahres.
»Mrs Christopher könnte Sie nach Süden begleiten, Sir«, sagte er.
»Nein, das kann sie verdammt nicht«, blaffte Christopher. »Ich habe ihr gesagt, dass es zu gefährlich ist. Hauptmann Argenton und ich müssen durch feindliche Linien, Sharpe, und das wird nicht leichter für uns, wenn wir eine Frau mitnehmen.« Der wahre Grund war natürlich, dass Kate ihre Mutter nicht treffen und ihr von der Heirat in der kleinen Kirche von Vila Real de Zedes erzählen sollte. »Kate wird also hierbleiben«, fuhr Christopher fort, »und Sie werden sie mit Respekt behandeln.« Sharpe sagte nichts, schaute den Colonel nur an. »Natürlich werden Sie das«, fügte der Colonel hinzu. »Bevor wir reiten, werde ich mit dem Dorfpriester sprechen und sicherstellen, dass seine Leute Ihnen Proviant liefern werden. Brot, Bohnen und ein Ochse sollten für Sie und Ihre Männer für eine Woche reichen. Und halten Sie sich um Himmels willen ruhig und unauffällig. Ich will nicht, dass sich die Franzosen dieses Haus unter den Nagel reißen. Es sind ein paar Schläuche mit erstklassigem Portwein im Keller. Und ich möchte nicht, dass Ihre Schluckspechte sich davon bedienen.«