Der Mai begann mit Regen und Wind. Die letzten Blüten wurden von den Bäumen geweht und bildeten pinkfarbene und weiße Streifen im Gras. Die Franzosen kamen immer noch nicht, und Manuel Lopes nahm an, dass sie einfach zu beschäftigt waren, sich um Vila Real de Zedes zu kümmern.
»Wir bekommen keine Probleme«, sagte er glücklich. »Silveira macht ihnen bei Amarante zu schaffen, und die Straße nach Vigo ist von Partisanen geschlossen worden. Die Franzosen sind abgeschnitten! Sie werden uns hier keine Schwierigkeiten machen.«
Lopes ritt häufig zu den nächsten Dörfern, wo er sich als Hausierer ausgab, der religiöse Schmuckgegenstände verkaufte, und er brachte stets Nachrichten von den französischen Truppen. »Sie patrouillieren die Straßen, sie betrinken sich des Abends und wünschen, wieder in der Heimat zu sein.«
»Und sie suchen nach Proviant«, sagte Sharpe.
»Das tun sie auch«, pflichtete Lopes bei.
»Und eines Tages«, sagte Sharpe, »wenn sie hungrig sind, werden sie herkommen.«
»Colonel Christopher wird das nicht zulassen«, sagte Lopes. Er schlenderte mit Sharpe über den Zufahrtsweg, beobachtet von Harris und Cooper, die auf Wache beim Tor standen. Regen drohte. Graue Wolken trieben über die nördlichen Hügel, und Sharpe hatte zweimal Donnergrollen gehört, das nicht von den Geschützen von Amarante stammen konnte, weil es zu laut war.
»Ich werde bald fortreiten«, kündigte Lopes an.
»Zurück nach Braganza?«
»Amarante. Meine Männer haben sich erholt. Es ist an der Zeit, wieder zu kämpfen.«
»Sie könnten noch eines erledigen, bevor Sie aufbrechen«, sagte Sharpe. »Sprechen Sie mit den Flüchtlingen, damit sie aus dem Dorf verschwinden. Sie sollen heimkehren. Sagen Sie ihnen, der heilige Joseph ist überarbeitet und wird sie nicht schützen, wenn die Franzosen kommen.«
Lopes schüttelte den Kopf. »Die Franzosen werden nicht kommen.«
»Aber wenn doch, dann kann ich das Dorf nicht verteidigen. Ich habe nicht genug Männer.«
Lopes blickte angewidert drein. »Sie werden nur die Quinta verteidigen, weil sie einer englischen Familie gehört«, sagte er.
»Die Quinta juckt mich kein bisschen«, sagte Sharpe ärgerlich. »Ich werde oben auf dieser Hügelkuppe sein und versuchen, am Leben zu bleiben. Um Himmels willen, wir sind weniger als sechzig Mann, und die Franzosen werden fünfzehnhundert Mann schicken!«
»Sie werden nicht kommen«, sagte Lopes. Er griff hinauf und pflückte eine verwelkte weiße Blüte von einem Baum. »Ich habe nie dem Portwein der Savages getraut«, sagte er.
»Wieso nicht?«
»Ein Holunderbaum«, sagte Lopes und zeigte Sharpe die Blüten. »Die schlechten Portweinwinzer geben Holundersaft in den Wein, damit er schöner aussieht.« Er warf die Blüte weg, und Sharpe erinnerte sich plötzlich an jenen Tag in Oporto, an dem die Flüchtlinge ertrunken waren und die Franzosen die Stadt eingenommen hatten. Christopher hatte ihm den Befehl, sich südlich des Douro zu halten, aufschreiben wollen, als eine Kanonenkugel in einen Baumwipfel geschlagen war und rosafarbene Blütenblätter herabgefallen waren, die der Colonel für die Blüten eines Kirschbaums gehalten hatte. Sharpe erinnerte sich an den plötzlich veränderten Gesichtsausdruck von Christopher, als er die Erwähnung des Namens Judas gehört hatte.
»Mein Gott«, stieß er hervor.
»Was?« Lopes erschrak bei Sharpes Ausbruch.
»Er ist ein verdammter Verräter«, sagte Sharpe.
»Wer?«
»Der Colonel.« Es war nur ein Gefühl, das ihn so plötzlich überzeugt hatte, dass Christopher sein Land verriet, die Erinnerung an den Zorn im Blick des Colonels, als er gesagt hatte, die Blüten stammten von einem Judasbaum. Seither hatte Sharpe einen vagen Verdacht gehabt, dass er an irgendeinem geheimnisvollen diplomatischen Spiel beteiligt war, aber jetzt hatte die Erinnerung an die Veränderung von Christophers Miene Sharpes Verdacht bestätigt. Christophers Miene hatte sich zu plötzlich verändert, und er hatte sowohl Furcht als auch Zorn in seinem Blick gesehen. Christopher war nicht nur ein Dieb, sondern auch ein Verräter. »Sie haben recht«, sagte er dem verwunderten Lopes. »Es ist an der Zeit zu kämpfen. Harris!«, rief er zum Tor hin.
»Sir?«
»Suchen Sie Sergeant Harper und schicken Sie ihn zu mir. Und Leutnant Vicente.«
Vicente kam als Erster, und Sharpe konnte ihm nicht erklären, weshalb er so sicher war, dass Christopher ein Verräter war. Aber Vicente hatte ohnehin keine Lust, über diesen Punkt zu debattieren. Er hasste Christopher, weil der Kate geheiratet hatte, und das Gammelleben auf der Quinta langweilte ihn ebenso wie Sharpe.
»Besorgen Sie Proviant«, sagte Sharpe. »Gehen Sie zum Dorf, bitten Sie den Bäcker, Brot zu backen, und kaufen Sie so viel gesalzenes und geräuchertes Fleisch, wie Sie bekommen können. Ich will, dass jeder Mann bis zum Abend fünf Tagesrationen bekommt.«
»Ich dachte, Sie haben Befehle, Sir«, sagte Harper.
»Die habe ich, Pat, von General Cradock.«
»Mein Gott, Sir, Sie werden doch nicht die Befehle eines Generals missachten!«
»Und wer hat diese Befehle geholt?«, fragte Sharpe. »Christopher. Er hat also Cradock genauso belogen wie jeden sonst.« Dessen konnte er nicht sicher sein, aber er sah keinen Sinn darin, untätig auf der Quinta zu bleiben. Er würde nach Süden marschieren und darauf vertrauen, dass Captain Hogan ihn vor General Cradocks Zorn schützte. »Wir werden heute Abend abmarschieren«, sagte er zu Harper. »Ich will, dass Sie die Ausrüstung und Munition von jedem Mann überprüfen.«
Harper blickte zum Himmel und schnüffelte. »Wir werden Regen bekommen, Sir. Starken Regen.«
»Deshalb hat der liebe Gott unsere Haut wasserfest gemacht«, sagte Sharpe.
»Ich dachte, es wäre besser, bis nach Mitternacht zu warten, Sir. Bis der Regen abgezogen ist.«
Sharpe schüttelte den Kopf. »Ich will von hier verschwinden, Pat. Plötzlich habe ich ein mieses Gefühl. Wir werden nach Süden marschieren. Zum Fluss.«
»Ich dachte, die Franzmänner haben alle Boote zerstört?«
»Ich will nicht nach Osten gehen ...«, Sharpe nickte gen Amarante, wo eine Schlacht tobte, wie die Gerüchte besagten, »... und im Westen wimmelt es von Franzosen.« Im Norden war Gebirge, aber im Süden war der Fluss, und er wusste, dass irgendwo jenseits des Douro britische Streitkräfte waren. Die Franzosen konnten nicht jedes Boot längs des langen, felsigen Ufers zerstört haben. »Wir werden ein Boot finden«, versprach er Harper.
»Es wird in der Nacht dunkel sein, Sir. Da können wir froh sein, wenn wir überhaupt den Weg finden.«
»Um Himmels willen«, sagte Sharpe, gereizt wegen Harpers Pessimismus, »wir haben hier einen verdammten Monat lang patrouilliert! Wir können unseren Weg nach Süden finden.«
Am Abend hatten sie zwei Säcke mit Brot, einiges geräuchertes Ziegenfleisch, zwei Käselaibe und einen Beutel mit Bohnen. Sharpe verteilte alles unter den Männern. Dann hatte er eine Idee und ging in die Küche, wo er zwei große Dosen Tee stahl. Er hielt es für an der Zeit, dass Kate etwas für ihr Land tat, und welch feinere Geste gab es, als guten Tee Schützen zu spenden? Er gab eine Dose Harper und verstaute die andere in seinem Tornister. Es hatte zu regnen begonnen, die Tropfen prasselten auf das Dach des Stalles, und ein wahrer Sturzbach ergoss sich in den Hof.
Daniel Hagman beobachtete den Regen vom Stalltor aus.
»Ich fühle mich prima, Sir«, versicherte er Sharpe.
»Wir können eine Trage machen, Dan, wenn du dich schlechter fühlst.«